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I. Die Humiliaten – Verketzerung und Versöhnung

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Die Humiliaten in der Lombardei (Mailand) waren eine Bruderschaft von Handwerkern (Wollwebern und Tuchmachern), die im Gegensatz zu vielen Gemeinschaften von Wanderpredigern innerhalb eines bürgerlichen Daseins ein Leben nach dem Evangelium führen wollte. Konkret sah deren Leben so aus:

„Vermeidung des Kleiderluxus, Erwerb des Lebensunterhalts durch Handarbeit, Enthaltung von Wucher und Rückgabe von unrecht erworbenem Gut, Abgabe überschüssiger Einkünfte als Almosen an die Armen, Einhaltung der Ehepflichten, und ein friedfertiges sittenreines Leben in Demut, Geduld und Liebe.“304

Wie Waldenser und Katharer lehnten auch die Humiliaten den Eid ab und wollten ihren Mitgliedern das Schwören ganz verbieten.305 Mit ihrem Lebensstil nach dem Evangelium wollten sie den ketzerischen Sekten entgegenwirken und den katholischen Glauben verteidigen. Diese Zielrichtung „tritt bei den Humiliaten zuerst deutlich hervor.“306 Dennoch wurden sie – wegen ihrer evangelischen Lebensform – selbst der Ketzerei bezichtigt. Deshalb begab sich – gleichzeitig wie die Waldenser – eine Abordnung der Humiliaten nach Rom, um die Erlaubnis für ihre Lebensweise zu bekommen und von den Verdächtigungen freigesprochen zu werden. Zugleich baten sie um Genehmigung, gegen die Irrlehren predigen und öffentliche Versammlungen abhalten zu dürfen. Papst Alexander III. (1159 – 1181) genehmigte 1179 zwar deren Lebensform, verbot allerdings – wie auch den Waldensern – die Predigt und öffentliche Versammlungen.307 Die Humiliaten waren jedoch nicht dazu bereit, das Predigen zu unterlassen bzw. das Versammlungsverbot zu befolgen. Ein Teil der Humiliaten ging daraufhin zu den Waldensern über und wurde von Papst Lucius III. (1181 – 1185) 1184 als Ketzer exkommuniziert.

Erst Innozenz III. (1198 – 1216) erkannte die Bedeutung der religiösen Bewegungen für die Kirche.308 Unter seinem Pontifikat kam es endlich zur Versöhnung mit den romtreuen Humiliaten (aber auch mit Teilen der Waldenser309). Dieser Teil der Humiliaten wurde 1201 als regulierter Orden bestätigt.310 Innozenz versuchte mit Beginn seines Pontifikats,

„die Kluft zwischen der religiösen Bewegung und der hierarchischen Kirche zu überbrücken..., indem er der Forderung der apostolischen Wanderpredigt und der evangelischen Armut Wirkungsmöglichkeiten innerhalb der Kirche selbst zugestand, sofern nur dabei die rechtgläubige Lehre unangetastet und die päpstliche und hierarchische Autorität grundsätzlich anerkannt blieb.“311

Damit wurde das Bekenntnis zur apostolischen Armut und Predigt nicht mehr grundsätzlich mit Ketzerei identifiziert. Zugleich war es Anhängern dieser Bewegung möglich, innerhalb der Kirche wirksam zu sein. Diese neue Politik des Papstes begann mit den Verhandlungen und der Versöhnung mit den Humiliaten, mit einigen Gruppen der Waldenser und führte schließlich zur Förderung der neuen Bettelorden (Franziskaner und Dominikaner).312 Vor allem an den Dominikanern wird die neue Gangart des Papstes offenbar: Die Prediger sollten auf gleiche Weise wie die Ketzer auftreten, als arme Wanderprediger, und sie argumentativ und durch ein glaubwürdiges Leben zur Rückkehr in die Kirche bewegen.313

Die ethische Maxime der Humiliaten wurde – wie bereits von Alexander III. – anerkannt. Innozenz erlaubte nun aber auch öffentliche Versammlungen und sogar die Predigt. Zwar galt weiterhin die Erlaubnis der Bischöfe als Voraussetzung, doch Innozenz forderte ausdrücklich, „diese Erlaubnis nicht zu verweigern.“314 Um die Erlaubnis zur Predigt zu ermöglichen, wurde zwischen Sittenpredigt und dogmatischer Glaubenspredigt unterschieden. Der Papst erlaubte den Humiliaten fortan die Sittenpredigt über das praktische religiöse Leben.315 Dadurch blieb der Grundsatz,

„dass niemand predigen dürfe, der nicht dazu ordiniert sei, ... gewahrt, aber er wurde wesentlich modifiziert, dass zum ersten Male eine Laiengemeinschaft die päpstliche Vollmacht erhielt, ihre eigenen Prediger aufzustellen – ein Ereignis von weittragender Bedeutung für die Zukunft.“316

Eine weitere große Aufgabe war, eine Gemeinschaft, die inzwischen aus Kanonikern, Mönchen und Laien bestand, zu einem gemeinsamen kirchenrechtlichen Verband zusammenzuschließen. Es musste zunächst eine neue Form gefunden werden.317 Die Humiliaten lebten, nach Abschluss der Verhandlungen (1199 – 1201), fortan als Kleriker und Chorfrauen nach der Regel des hl. Augustinus, als Klosterbrüder und Nonnen nach der Regel des hl. Benedikt sowie in einem „dritten Orden“ als Laien, die ihre bürgerliche Lebensform nicht aufgaben.318 Ab 1246 ist ein General-Minister verbürgt, der die Leitung über alle drei Zweige des Ordens hat.319

„Die große Masse der Humiliaten ... hat in den neuen kirchlich anerkannten Formen eine rege Tätigkeit entfalten können. Fünfzehn Jahre nach der Neuordnung berichtet Jakob von Vitry, dessen Blick für die Erscheinungen der religiösen Bewegung durch reiche Erfahrung geschult war, er habe in der Ketzerstadt Mailand feststellen können, dass die Humiliaten fast die einzigen sind, die der Ketzergefahr wirksam standhalten und entgegenwirken. 150 Gemeinschaftshäuser dieser frommen Männer und Frauen gab es nach seinem Zeugnis um 1216 allein im Bistum Mailand, ungerechnet die Angehörigen des 3. Ordens, die in ihren Häusern lebten; sie haben alles um Christi willen verlassen, leben von der Arbeit ihrer Hände, predigen und hören das Wort Gottes – denn sie haben vom Papst die Erlaubnis zu predigen und gegen die Ketzer zu wirken.“320

Mit der Kurie haben die Humiliaten kaum noch Schwierigkeiten gehabt. Allerdings spielten sie später auf wirtschaftlichem Gebiet, gerade in der Wollindustrie, und in der städtischen Verwaltung eine größere Rolle als innerhalb der religiösen Bewegungen.321 Für die Weiterentwicklung der religiösen Bewegungen bleiben die Humiliaten dennoch bedeutend,

„weil der Kurie mit ihnen zum ersten Male die Durchführung der dringenden Aufgabe gelungen war, die Anhänger der religiösen Bewegung … durch rechtliche Neuordnung in den Verband der Kirche einzugliedern und sie zugleich als Gegenwirkung gegen die häretische Gefahr zu benutzen.“322

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