Читать книгу Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung - Jörg Gottschalk - Страница 12
Warum sind Sie Chefarzt bzw. -ärztin geworden?
ОглавлениеWarum sind Sie Chefärztin bzw. Chefarzt geworden? Oder wieso wollen Sie es einmal werden? Warum hat man ausgerechnet Sie ausgewählt? Warum haben Sie die Stelle überhaupt angenommen?
Mit den Antworten auf diese Fragen verbinden sich sämtliche Erwartungen, die an sie gerichtet sein werden, ebenso wie Ihre eigenen Erwartungen an diese Position. Die Erwartungen Ihres Arbeitgebers führen zu seiner persönlichen Bewertung Ihrer Arbeit. Ihre eigene Erwartung bestimmt Ihre persönliche Zufriedenheit.
Denn Zufriedenheit und Erfolg hängen nicht zuvorderst von einem erzielten Ergebnis ab, sondern von der Erwartung an das Ergebnis. Das gilt für beide Seiten.
Erfolg = Ergebnis - Erwartung.
So lautet die Weltformel für Erfolg(sbewertung). Erfolg kann niemals objektiv sein, nicht an der Börse, nicht in der Liebe und schon gar nicht im Beruf. Genau deshalb ist es so ungemein wichtig, beide Erwartungsrichtungen genau zu kennen und sie explizit zu benennen.
Sie selbst sind daran interessiert, eine lange Zeit mit Ihrem Job zufrieden zu sein, vielleicht gar bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand. Die Voraussetzung dafür ist, dass sich Ihre persönlichen Erwartungen erfüllen. Dazu gehört immer Erfolg - in Ihren Augen und in den Augen Ihres Arbeitgebers.
Die Erwartungen der jüngeren Generation der Ärzte und Ärztinnen sind bei weitem nicht mehr so homogen, wie es in den letzten drei Jahrzehnten zu erleben war. Immer mehr Ärzt_innen möchten ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Arbeit und Privatem erreichen und streben eine Work-Life-Balance. Geld spielt keine dominierende Rolle mehr, es geht vielmehr um Anerkennung oder Selbstverwirklichung. In der immer stärker frauendominierten Ärzt_innenschaft zeigt sich dabei eine Rückbesinnung auf die ureigenste Funktion des Arztberufes: Heilung.
Ihr Arbeitgeber möchte mit Ihnen erfolgreich sein, es ist das persönliche Anliegen des Geschäftsführers und das der Klinik als Ganzes. Der Arbeitgeber setzt darauf, dass Sie der Klinik lange erhalten bleiben, solange Sie erfolgreich sind. Doch hat er Sie bereits im Auswahlprozess hinters Licht geführt, zumeist ohne es selbst zu wissen.
In der Regel wird ein Chefarzt bzw. eine Chefärztin anhand von vier Hauptkriterien ausgewählt
Medizinisches Spektrum, Spezialisierung und fachlicher Ruf
Akquisepotenzial
Einkommenserwartung und
Zeitpunkt der Verfügbarkeit.
Zunehmend wird auch Ihre soziale Kompetenz „getestet“. Die oben genannten vier Faktoren dominieren aber in jedem Fall die Entscheidung. Sie werden also vor allem danach ausgewählt, wie Sie 50 Prozent der tatsächlichen Erwartungen an Ihre Funktion erfüllen.
Die restlichen 50 Prozent spielen keine wirkliche Rolle in der Auswahl, obwohl sie weit mehr zu Ihrem künftigen Erfolg oder Ihrem Misserfolg beitragen werden: Ihre Führungs- und Veränderungskompetenz. Auch wenn diese Kompetenzen bei der Einstellung keine Rolle gespielt haben, existieren sie von Beginn an, ohne explizit benannt zu werden. Übernehmen Sie als Mediziner_in erstmals eine explizite Führungsrolle, sind Sie in der Regel auf diesem Gebiet ein Greenhorn. Anderen Berufsgruppen in anderen Branchen geht es ganz ähnlich. Sie werden (fast immer) als Expert_in ausgewählt und sind anschließend als Führende_r gefordert.
Aus diesem Grund halte ich es für wesentlich, diese offen versteckten Anforderungen und Erwartungen sehr genau zu kennen und sich eingehend mit ihnen zu beschäftigen. So vermeiden Sie, in die typische 50-Prozent-Falle zu tappen.
Beschäftigen Sie sich ausschließlich mit den Dingen, die Sie kennen und die Ihnen selbst wichtig sind, der Medizin also und halten sich zu lange in Ihrer individuellen Komfortzone auf, laufen Sie Gefahr, Ihren Job von Beginn an nur halb zu erledigen. Ein erheblicher Anteil der latenten Konfrontation zwischen Ärzt_innen und Geschäftsführung resultiert genau aus diesem Defizit: der Nicht-Kommunikation (gegenseitiger) Erwartungen.
Kaum jemand, der sich für die Übernahme der Position des leitenden leitenden Arztes entscheidet, wählt diesen Posten, weil er führen möchte. Dieser Punkt taucht nicht auf dem ganz persönlichen Wunsch-Radarschirm auf. Genau deshalb betone ich es so deutlich: Führung wird Ihre Tätigkeit dominieren, die daraus erwachsenden Erwartungen werden Ihre eigene Bewertung und die Bewertung Dritter prägen. Es lohnt sich also, sich intensiv mit Führung, den notwendigen Kompetenzen und Erwartungen zu beschäftigen. Die Zeiten sind vorbei, in denen ein Schutzzaun um Chefärzt_innen gezogen wird. Die Bedeutung Ihrer Rolle wird wachsen. Ihre hierarchische Position und ihre Bedeutung als Person für eine Klinik aber wird abnehmen, je mehr das Gesamte an Bedeutung gewinnt. Man mag das bedauern: Kein Chefarzt und keine Chefärztin wird mehr mit herausragender Medizin, dem persönlichen Ruf oder einer besonderen Akquisitionsstärke erfolgreich durch das ärztliche Berufsleben gelangen. Die zweiten 50 Prozent werden an Einfluss gewinnen.
Befragen Sie Ihren Geschäftsführer zu seiner ganz persönlichen Erwartung an Sie als Führungskraft, wird er Ihnen genau Ihre Ziele für die nächsten drei Jahre nennen können: Ergebnis, Wachstum oder Fluktuationsrate. Erwartungen und Ziele sind aber bei weitem nicht das Gleiche. Selbstverständlich leiten sich Erwartungen aus Zielen ab. Und dennoch es geht um viel mehr:
Wie führen Sie?
Wie strategisch denken und agieren Sie?
Wie führen Sie Kooperation herbei?
Wie lösen Sie Konflikte?
Wie schaffen Sie eine Organisation, die lernt sich kontinuierlich zu verändern?
Wie werden Sie der Verschwendung Herr?
Welche Initiativen starten Sie?
Wie viel Energie bringen Sie ein?
Wie innovativ sind Sie?
Was wird Ihr Beitrag zum Gesamterfolg sein?
Vielen dieser Themen werde ich mich in diesem Buch widmen. Einige Fragen werden offen bleiben müssen und wollen im Verlaufe Ihres Arbeitslebens von Ihnen selbst entdeckt werden.