Читать книгу Wirksam führen - Ärztinnen und Ärzte in Führung - Jörg Gottschalk - Страница 20
ОглавлениеStehen Sie vor einem Problem, lautet die Frage zunächst, wer außer Ihnen ein Interesse daran hat, zu einer Lösung beizutragen. Mangelnde Motivation bzw. mangelndes Interesse können durch ein Maß an Hierarchiemacht oder das Wecken von Gemeinsinn ausgeglichen, selten aber vollkommen ersetzt werden. Worin besteht also das gemeinsame Problem und wer wird von seiner Lösung profitieren? Was könnte dazu führen, dass die Beteiligten ihr Problem als ein gemeinsames empfinden?
Eine Geschäftsführung, die durchgreifende organisatorische Anpassungen von ihren Chefärzt_innen erwartet und als Grund dafür ein wirtschaftliches Problem anführt, das die Klinik in drei Jahren treffen könnte, wird in der Regel keine Energie für die gemeinsame Lösung wecken können. Menschen funktionieren kurzfristig, ein Problem in drei Jahren ist für sie zu weit weg. Ob diese Chefärzt_innen von der wirtschaftlichen Situation in drei Jahren überhaupt persönlich betroffen sein werden, lässt sich bezweifeln. Was für einen Geschäftsführer ein echtes Problem in der Gegenwart und in der Zukunft bedeutet, spielt für seine Mediziner_innen aktuell keine Rolle. Sein Problem ist nicht ihr Problem, deshalb muss seine Lösung auch nicht die ihrige sein. Für jede schwierige Aufgabe wird es eine Lösung geben, allerdings braucht es zur Lösungsfindung wirkliche Beteiligte und Betroffene.
Konflikte
Die größte Hürde für das Finden herausragender, innovativer Lösungen besteht nicht in mangelnder Kompetenz, sondern in der Bereitschaft, Konflikte konstruktiv auszutragen. Konflikte sind anstrengend, es gibt sichtbare Sieger und Verlierer. Vorgesetzte goutieren keine Konflikte, denn sie sehen sie nicht in ihrer wichtigsten Bedeutung: als Problemlösungsmotoren. Sie werden als beunruhigend erlebt.
Ein stillschweigender, gesellschaftlicher Konsens befördert ein Verhalten, das Konflikte vermeidet. Es wird ausgewichen und ignoriert. Die Folge dieser Vermeidungspolitik ist nicht Frieden, Harmonie und Fortschritt, sondern angestauter Ärger, Wut, Enttäuschung, Schweigen und Stillstand. Dieser unter der Oberfläche verborgene Ärger sucht sich Wege, entweichen zu können, die nur schwer zu durchschauen sind. Es passiert dann, wenn niemand damit rechnet - in Teamsitzungen oder zwischen Kolleg_innen, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Dieses ganze Universum von Konflikten und Problemen stellen Möglichkeiten für Lösungen und Fortschritt dar.
In jeder Klinikorganisation existieren Strukturen, die Kooperation bereits im Ansatz verhindern: Abteilungen. Abteilungen grenzen sich von anderen Abteilungen ab. Gäbe es keine Abgrenzung, bräuchte es sie nicht. Erst die Abgrenzung zu anderen Organisationseinheiten gibt ihnen ihre Existenzberechtigung und Identität. Abteilungen entwickeln immer ihre eigene, oft sehr mächtige Identität und stellen häufig - befördert von einer starken Leitungspersönlichkeit - ein solides Bollwerk gegen jede Form von Kooperation dar.
Im traditionellen System eines Krankenhauses mit seinen deutlich abgegrenzten Abteilungen unter chefärztlicher Leitung bedeutet jede Form der Kooperation eine geradezu überdimensionale Kraftanstrengung. Kaum ein wirtschaftliches Unternehmen ist intern derart stark fragmentiert wie eine Klinik. Diese Abgrenzung wird durch Managementsysteme sogar noch befördert. Zielvereinbarungen beinhalten beinahe ausschließlich Ziele, die eine Abteilung nur auf Kosten einer anderen erreichen kann.
Die Fähigkeit von Führenden, Kooperation zu fördern, stellt in Kliniken den mächtigsten Erfolgsfaktor dar. Kooperationsförderndes Verhalten könnte künftig den Unterschied ausmachen zwischen guten und herausragenden Ärzte_innen, Führungskräften oder Führungssystemen.