Читать книгу DAS GUTENBERG-KONZIL - Jörg Weigand, Ulrich Blode - Страница 14
Der Fotoapparat
ОглавлениеSchon lange leistet sie mir gute Dienste – eine einfache Kamera, wie man sie für wenig Geld in jedem Fotogeschäft kaufen kann. Ich pflege meine Filme in einer engen Dachstube, die ich als Dunkelkammer eingerichtet hatte, selbst zu entwickeln und habe bereits eine erkleckliche Anzahl von guten Aufnahmen gesammelt.
Eines Abends – Marga war bei mir gewesen, hatte mich aber schon früh verlassen – ging ich noch in den Speicherraum, um den Film zu wechseln. Nachher erinnerte ich mich, dass ich dabei aus Versehen den Kameraverschluss geöffnet hatte, maß dem aber keine Bedeutung zu, da sowieso Rotlicht eingeschaltet war.
Als ich den Film dann aber aus dem Fixierband nahm, musste ich ärgerlich feststellen, dass die letzte Aufnahme doch gelitten hatte, sie war etwas verschleiert. Trotzdem fertigte ich die Positive an.
Wer beschreibt nun mein Erstaunen, als sich der Schleier als ein überlagertes Bild Margas entpuppte. Deutlich konnte ich sie erkennen, aber nicht sie allein: Neben ihr stand Walter, dessen Interesse für Marga mir schon lange aufgefallen war. Und nicht nur das: Sie hatte auch ihren Arm in den seinen gelegt …
Ich sprach nichts über diesen unerklärlichen Vorfall, doch er beschäftigte meine Gedanken noch lange und beunruhigte mich. Dennoch hätte ich ihn wahrscheinlich vergessen, wenn ich nicht auf Kurt aufmerksam geworden wäre.
In mir machte sich stets eine leichte Nervosität bemerkbar, sooft ich ihn mit Marga zusammen sah. Es lag etwas Eigenes in ihren Blicken, wenn sie einander ansahen, und obwohl ich keinen greifbaren Grund hatte, reimte ich mir diese und jene Beobachtung zusammen und litt darunter.
Eines Nachmittags wartete ich vergebens auf Marga. Eine sich stündlich steigernde Unruhe erfasste mich. Da kam ich plötzlich auf eine List: Ich nahm meinen Fotoapparat, ging in die Dunkelkammer, dreht das Rotlicht auf und drückte den Auslöser herunter. Unverzüglich entwickelte ich den Film. Als er endlich fertig war und ich ihn gegen die Lampe hielt, sah ich darauf Kurt und Marga. Sie saßen auf einer Bank, seine Hand ruhte auf ihrer Schulter …
Das erste Mal konnte es noch ein Zufall sein, das nochmalige Auftreten der Erscheinung überzeugte mich aber davon, dass hier andere Dinge mitspielten. Und als ich Marga direkt fragte, was sie an jenem Tag mit Kurt zu tun gehabt hätte, leugnete sie das Beisammensein nicht. Doch sie fand eine glaubwürdige Erklärung.
Zu den beiden Aufnahmen, die ich immer wieder aus der Schreibtischlade hervorholte und mit klopfendem Herzen anstarrte, gesellten sich noch einige weitere: Marga mit Willi, dann wieder mit Kurt, dann mit einem, den ich nicht kannte. Sie gaben mir aber keinen Grund, Marga zur Rede zu stellen, ich konnte sie nicht in einen Käfig sperren. Dennoch plagte mich die Eifersucht unerträglich, und ich schwankte unablässig zwischen Hoffnung und Zweifel.
Ich glaube, ich habe mich verändert, seit ich die wunderbaren Eigenschaften meiner Kamera erkannt habe. Ich konnte Marga nicht mehr so unbefangen gegenübertreten wie früher, doch sie merkte scheinbar nichts davon. Und wenn wir länger beisammen waren, wurde alles wieder wie früher. Bis zum gestrigen Tag.
Wir feierten Günters Geburtstag. Bis nach Mitternacht tanzten wir, der Wein steigerte die Stimmung bis zum Übermut. Dann war Marga plötzlich verschwunden. Und mit ihr Günter.
Ich suchte überall. Drang in alle Räume des Hauses ein. Tappte im dunklen Garten umher. Dann drehte ich mich um und rannte nach Hause. In der rotbeleuchteten Dunkelkammer verknipste ich einen ganzen Film. Mit zitternden Händen steckte ich ihn in die Entwicklerdose und wartete. Wartete wie im Fieber. Beim ersten fahlen Licht des Morgens hielt ich die Negative in den Händen …
Marga, was hast du mir angetan? Ich weiß, ich hab’ kein Recht auf dich, aber hast du alles vergessen, was zwischen uns war?
Doch das hat jetzt alles keinen Sinn mehr. Es ist vorbei. Ich kann es aber nicht fassen. Hätte ich die Kamera nicht gehabt, dann wüsste ich nichts und alles wäre beim Alten. Du würdest schweigen, und ich könnte noch glücklich sein. Doch der Fotoapparat hat alles zerstört.
Oder sollte er mich diesmal getäuscht haben?
Entstehungsdatum ca. 1946–1950