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Eisen im Feuer

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Uns trennt eine unsichtbare glasige Wand, darum kannst du mich nicht verstehen. Du sagst: »Es ist nicht so schlimm«, und: »Es gibt Ärgeres«. Doch du bist mir viel zu fern – der feuerrote Strich brennt zwischen uns, der Schlussstrich unter meine Hoffnung, meine Jugend, mein Leben. Du brauchst deine Augen nicht rücksichtsvoll von der Narbe zu lösen, die mein Gesicht zerschneidet, Stirn, Nasenwurzel, Wange. Du weißt, ich spreche von ihr. Oh, diese abirrenden Augen, diese betretenen Gesichter, dieses Mitleid. Der purpurne Strich zerteilt mich wie eine fehlerhafte Schulheftseite. Aber vielleicht zertrümmere ich die Trennungswand, du willst es. Ich werde dir erzählen, damit du gehst und schweigst. Und ich muss dann nicht mehr allein denken, immer daran denken.

Der Tag begann wie viele andere – ich hatte schlecht geträumt. Doch die Dächer und Giebel der Kleinstadt, in der ich Erholung suchte, sprangen unbeschwert durchs Fenster, als ich den Vorhang aufriss und die Morgenluft tief einsog, trösteten ich, zeigten mir den blauen Himmel über ihnen. Vormittags lief ich in den winkeligen Gassen umher, besorgte dies und jenes. Und dabei gelangte ich zu jenem Haus. Einer der alten Kaufläden war geschlossen und ich öffnete die Haustür, um mich zu erkundigen. Hätte ich doch diese unheilvolle Schwelle nie überschritten! Einen Augenblick noch drang die Lichtflut der Straße hinter mir ein – ich stand geblendet still – und versiegte, als die Tür mit einem dumpfen Laut zufiel. Ich hatte das seltsame Gefühl, nicht mehr zu wachen. Zögernd tauchten verschleierte Kulissen auf, zäh tropfte die Dämmerung von ihnen ab, eine schmiedeeiserne Lampe, Fässer an der feuchten Wand, klobige Holzbohlen. Ich kannte diesen Ort, oh, wie oft hatte ich hier mein Blut durch die Schläfen drängen gespürt. In wie vielen Nächten musste ich mich über jene staubigen Stufen schleppen, eine fettige Türschnalle aufdrücken und in mein Unheil taumeln. Die Umgebung war unverkennbar, die drückende Atmosphäre packte mich am Genick wie stets.

Ich muss dir nun den Traum erzählen. Immer wieder packte und quälte er mich. Seit wann ich ihn habe? Ach, das liegt weit zurück. Zu meinen ersten Erinnerungen zählt ein schreckhaftes Erlebnis. Ich – damals ein kleiner Junge, der kaum sprechen konnte – ließ einem Nachbarskind einen glühenden Schürhaken auf die bloßen Beine fallen. Noch jetzt liegt mir der Geruch versengter Haut in der Nase. Und kurze Zeit danach kam der Traum. Ich trete in den Flur eines alterszerfressenen Hauses. Das Tor fällt hinter mir polternd ins Schloss. Ich schreite durch das Dunkel des Gewölbes, dem Unheimlichen entgegen, das irgendwo lauert. Über Stufen geht es zur Tür der Schmiede. Ich muss eintreten. Und nun kommt das Furchtbare, Grauenvolle, das mich immer schweißgebadet aus dem Schlaf trieb. Eine Gestalt tritt auf mich zu, in der Hand eine Stahlstange mit weißglühender Spitze. Ich schreie – sinnlose Laute – das glühende Ende kommt näher, näher, näher.

Den Abschluss meines Traumes bildete der Ansturm furchtbarer Eindrücke, denen ich wehrlos ausgesetzt war und die ich nicht näher zu beschreiben vermag.

Das waren Nachtschatten. Doch nun stand ich wirklich an der Stätte des Gerichtes. Mein Blick hing an den Holzdielen der Treppe, stetig rückte die Tür näher. Und dann hob sich meine Hand zur Klinke. Oh, ich wehrte mich dagegen, ich wollte fort, nur fort. Doch ich konnte nicht. Langsam drückte ich sie nieder. Laut dröhnte mein Herz, die Kehle war staubig trocken. Nun drehte sich mit einem kreischenden schmerzhaften Wehschrei die Tür in den Angeln und ich starrte das Wesen mit der Eisenstange in der Hand an, das meinen Blick erstaunt spiegelte. Mit überschlagender Stimme ächzte ich »Nicht brennen!« oder etwas Ähnliches.

Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Das Eisen ist kalt«, sagte er, »im ganzen Haus brennt kein Feuer.« Er strich mit den Fingern über das Eisenstück und lachte. Und ich lachte mit, heiser und kreischend. Er legte die Stange nochmals an seinen Handrücken und legte sie dann zum Beweis an meine Wange.

Und mein Gelächter ging in einen gurgelnden Schrei über. Ich spürte glühendes Metall an meinem Gesicht, ein zischender Laut wurde hörbar. Das Eisen klebte sich an der Wange und Stirn fest, als ob es sich einsaugen wollte, und ich fiel ins Bodenlose.

Jetzt weißt du alles, was du wissen wolltest, nun lass mich allein. Meine Geschichte kommt dir seltsam vor? Vielleicht bist du noch mehr erstaunt, wenn ich dir sage, dass der Raum, wo es geschah, zu gar keiner Schmiede gehörte, sondern nur das Magazin einer Eisenhandlung war. Und die Eisenstange war kalt wie eine Marmorplatte. Und wenn du mir nicht glaubst, dann schau mir noch einmal ins Gesicht.

Entstehungsdatum ca. 1946–1950

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