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Figuren im Staub

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Das Bild meiner zweiten Volksschulklasse liegt wie in einer Dämmerung vor mir, sodass ich die Umrisse nur verschwommen erkennen kann; auch die Farben sind etwas verblasst und mit einem grauen Farbton gemischt, doch noch sind die Gegenstände deutlich zu erkennen, wie das von den zwei schwarzen Tafeln bewachte Lehrerpult und die Gaslampen, die der Schuldiener mit seiner Lunte anzünden musste und die mir damals etwas unheimlich vorkamen. Und ich sehe noch den Deckel des Tintenfasses flimmern – es war stets mein besonderer Stolz gewesen, ihn auf Hochglanz zu halten, und ich polierte immer wieder mit straff gezogenem Ärmel. Ich saß damals auf der Fensterseite und schräg vor mir war eines der hohen, oben mit einem Gitter überzogenen, spitz zulaufenden Fenster. Ich sah dadurch nur die Dächer der Häuser und der gegenüberliegenden Kirche, die Straße war durch das hohe Gesims meinen Blicken entzogen. Doch ich sah den Himmel über den Giebeln, sah ihn von Wolken behängt oder auch hellblau und leuchtend.

Eines Tages jedoch, als ich wieder einmal durch dieses Fenster schaute, erblickte ich auf den Scheiben ein Gebilde, ein kleines Haus, halb von Büschen und Bäumen verborgen, alles hauchzart, nur vom Staub und meiner Fantasie gebildet. Und nun gab es etwas, was nur ich wusste, ich hatte ein Geheimnis und ich hütete es gegen jeden. Und jeden Tag am Morgen, wenn ich meinen Platz eingenommen hatte, suchte ich mein Häuschen und entdeckte immer neue Einzelheiten daran.

Warum es mir gerade jetzt in den Sinn kommt? Warum ich es für wert halte, aufgezeichnet zu werden? Ich weiß es selbst nicht. Ich erinnere mich aber, dass ich eines Tages etwas traurig war, damals nämlich, als die Fenster einmal von der alten Scheuerfrau geputzt worden waren, die sicher nicht geahnt hat, was sie mit dem Staub weggewischt hatte …

Entstehungsdatum ca. 1946–1950⏵

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