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Das gelbe Tier

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Mit der Frau, die eben wegging, war ich einmal verheiratet. Jetzt rennt sie mit diesem miesen Kerl herum und ist froh, dass sie mich los ist. »Er hat immer schon gesoffen wie ein Loch«, sagte sie, »der Zusammenstoß hat ihm den Rest gegeben.« Aber als ich noch jung und dumm und mein Vater freigiebig mit den blauen Scheinen war, nahm sie das Saufen in Kauf.

Die Änderung kam ganz unvorhergesehen. Beim Rennen traf ich Charlie, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. In einer Bar stemmten wir dann ein paar scharfe Sachen. Gewiss hätte ich danach die Straßenbahn nicht links überholen sollen, aber ich hatte es eben eilig. Und dann lag ich über dem Steuerrad und streckte meinen Kopf durch die zersplitterte Windschutzscheibe.

Wie lange ich diese Stellung ausprobiert habe, weiß ich nicht. Ich erwachte, als jemand an der Wagentür rüttelte. Es kostete mich ungeheure Mühe, die Hand bis zur Klinke zu heben und diese hinaufzudrücken. Nachher war ich so fertig, dass ich wieder zusammenzuckte. Ehe ich ins Traumland wechselte, hörte ich noch jemand sagen: »Der kommt uns gerade recht.«

Ich kam bald wieder zu mir. Zwei Herren schleppten mich in einen Wagen. Mein Kopf tat höllisch weh, und ich unterdrückte einen Schmerzensschrei, als er am Chassis streifte. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte der eine, »ich bin Arzt, wir werden Sie sofort behandeln.«

Während der Fahrt wurde mir langsam besser, aber ich war willenlos genug, den beiden in eine Villa zu folgen, wo sie mich in ein chromblitzendes Ordinationszimmer brachten. Sie betteten mich auf die Schaumgummimatte eines weiß lackierten, gefährlich aussehenden Stuhls, der Begleiter des Doktors, der seinen Mantel nicht abgelegt hatte, schnallte mir Arme und Beine an und löste dann eine Schraube, worauf sich die Rückenstütze langsam senkte, sodass ich bald der Länge nach dalag.

Dann kam der Arzt und sagte: »Eine kleine harmlose Operation. Tonio, ziehen Sie die Gewinde an!«

Der Angesprochene klemmte mir den Schädel zwischen zwei Platten, dass mir die Tränen aus den Augen traten, dann streifte er meinen Ärmel hoch und stieß mir die Nadel einer Injektionsspritze in die Vene der Armbeuge. Lähmend rann es mir durch die Adern, eine Welle von Schlaf überschwemmte meinen Kopf.

Aber die feinen Herren hatten nicht mit dem Alkohol in meinem Blut und in meinem Gehirn gerechnet, der das Betäubungsmittel neutralisierte. Ich hörte und sah noch, als ich längst weder hören noch sehen können sollte. Aber als ich dann schreien wollte, aus der abgründigen Tiefe des Entsetzens heraus schreien, da blieben meine Stimmbänder tot.

Zuerst säbelte dieser Tonio mir die Haare vom Kopf und gab meiner Glatze mit dem Rasiermesser den letzten Glanz. Dann blinkte etwas über meinem Kopf, und ich spürte Schnitte in meiner Kopfhaut und das hässliche Vibrieren einer Säge. Ich fühlte keinen Schmerz, als sie in meinen Knochen eindrang, aber dieses hässliche Geräusch, das ich weniger hörte als empfand, zittert mir heute noch durch Mark und Bein.

Schließlich nahm ich wahr, wie der Doktor mit Instrumenten hantierte, ich spürte, wie in meinem Gehirn etwas locker wurde, und nun zog der Chirurg etwas Kleines, Zuckendes, Graues aus meinem geöffneten Kopf heraus.

Alles das wäre noch zu ertragen gewesen, doch dann schob der Gehilfe des Arztes eine über zwei Meter lange Kiste herbei und öffnete sie. Zum Vorschein kam der gelbliche Körper eines lang gestreckten amphibienartigen Wesens, mit acht Eidechsenbeinen und einem seltsam menschenkopfähnlichen, kugeligen Schädel. Der Arzt setzte nun dort eine Säge an – eine grüne Gallerte drang neben dem Metall heraus – und hob ein viereckiges Stück Schädeldach heraus. Und dann schob er mit einem löffelartigen Instrument die hervorquellende gallertartige Masse auseinander und pflanzte dort das Stückchen meines Gehirns hinein. Erst jetzt sank ich langsam in wohltuende Ohnmacht.

Als ich wieder erwachte, hatte ich eine eigenartige Empfindung; sie verließ mich zwei Jahre lang nicht: Ich lag in einem Spitalbett, verrichtete einfache Arbeiten und schlief wieder. Aber gleichzeitig führte ich eine unheimliche zweite Existenz: Ein Teil von mir und damit ein Stück meines Bewusstseins lebte im Körper des unheimlichen Wesens. Ich sah durch seine Augen und fühlte durch seine Haut. Und jedes Mal, wenn es Ammoniaklösung trank, was es oft und gern tat, dann stach und betäubte mich die scharfe Flüssigkeit und verursachte mir stundenlange Kopfschmerzen.

Langsam bekam ich eine Ahnung davon, was die makabre Operation bezweckt hatte: Das Tier war von einer überlegenen Intelligenz, aber ich merkte, dass es in menschlicher Umgebung nicht zu Hause war. Es gab einige Kreaturen, die ihm bei seinen Plänen halfen und ihm bedingungslos gehorchten. Aber stets dann, wenn es eine Entscheidung zu fällen hatte, die menschliche Dinge betraf, wurde ich befragt.

Ich wehrte mich dagegen – aber die Macht seines Denkens war stärker als meine. Nie aber ergab ich mich – unablässig wartete ich auf eine Gelegenheit der Schwäche, bei der ich das verhasste Wesen vernichten konnte – und wenn ich selbst mit draufging.

Eines Tages gingen wir wieder auf Reisen. Wir – das ist das Wesen und der Teil von mir, der in ihm steckte. Tonio ließ die Kiste mit uns auf das Schiff bringen. Dort setzte sich das Vieh in eine Badewanne und ließ unabhängig heißes Wasser auf seinen Buckel rinnen, was ihm offenbar Behagen verursachte – nicht aber mir.

Nach Tagen landeten wir an einem verlassenen Küstenstrich Ägyptens und verließen in der Nacht das Schiff. Nur Tonio und zwei mit Rucksäcken versehene Gehilfen gingen mit, das Wesen kroch bäuchlings über den Sand, der noch heiß von der Sonne war.

Nach einer kurzen Wanderung sahen wir einen spitzen Hügel in den flimmernden Sternenhimmel hineinstechen – eine kleine Pyramide. An ihrem Fuß mündete ein Gang, in den wir eindrangen. Tonio entzündete eine Maxilampe. Modrige Luft schlug uns entgegen, Staub kräuselte unter unseren Füßen auf. Sonst waren die Kammern leer. Schließlich standen wir am Ende eines blinden Gangteils. Das Vieh klopfte mit seinem Eidechsenfuß an eine Ecke und zog sich zurück.

»Hier muss es sein«, sagte Tonio, und seine zwei Begleiter legten einen Sprengsatz an. Hinter einer Ecke warteten wir die Explosion ab. Als der Luftstoß mit einer Wolke Staub an uns vorübergezogen war, sahen wir uns das Ergebnis an: Aus der Wand war eine schwarze Öffnung herausgeschlagen.

Tonio mit der Lampe drang als Erster hinein, dann folgten wir – das Tier samt mir. Das Erste, was ich sah, war ein kreisförmiger Raum, auf dessen Boden silbern schimmernde Metallstücke aufgeschichtet waren, keine Barren und kein Schmuck, sondern Gegenstände in Form von gekrümmten Doppelhanteln.

Tonio kniete im Schmutz und wühlte in den silbernen Dingen. In einer Ecke waren diese von einer schlaffen, grauen Haut bedeckt, die aussah wie verstaubte Spinnweben. Er griff danach, um sie von den Silberlingen wegzuschieben … da geschah etwas Seltsames: Die Haut spannte sich plötzlich, in der Ecke blähte sich etwas auf, ein spitzer Schnabel hackte nach Tonio, und mit knatternden Flügelschlägen flatterte etwas mehrmals im Kreis durch die Kammer, bis es durch die Sprengöffnung entwich.

Nicht das aber war das Eigenartige, sondern etwas anderes: Ich merkte, wie das Gehirn meines Gastgebers einen Augenblick lang vor Schreck gelähmt war … nur einen Augenblick – aber währenddessen galt nur ein Wille: seiner! Aber schon war alles vorbei.

Wir zogen dann zum Schiff zurück, die Rucksäcke vollgestopft mit dem Silberzeug. Tonio hatte seine Schulter, in die ihn der Schnabelhieb getroffen hatte, notdürftig verbunden und wankte mühsam durch den Sand. Mehrmals aber war mir, als hörte ich hoch über uns flatternde Geräusche. Als wir auf dem Schiff angekommen waren und am Waschraum vorbei kamen, flog das Wesen sofort hinein und ließ sich von Toni einsperren.

Es müssen viele Tage vergangen sein, bis sich die Tür wieder öffnete. Wir hatten schon seit einiger Zeit gemerkt, dass das Schiff stärker schlingerte. Tonio stürzte herein und schrie: »Wir sinken! Jesus hilf uns, du Vieh!«

Das Wesen kümmerte sich nicht um ihn. Wir wälzten uns träge aus der Badewanne heraus und schleppten uns die Treppe hinaus. Wasserstürze brausten uns entgegen und warfen uns zurück, zerbrochene Gegenstände rollten herunter … neben uns eine Tür, mit unheimlicher Kraft drückten wir sie auf – kamen in eine mit Getreide gefüllte Ladekammer. Wir lagen auf einem schmalen Steg, unter dem sich Korn zu Bergen türmte. Da … ein hartes Flattern – und wieder der lähmende Schreck in der Hälfte meines Gehirns, das nicht das meine war.

In dem Moment handelte ich blitzschnell – ich stieß uns von der Wand ab … wir landeten unten auf dem Getreidehaufen – der Rückweg war verschlossen. Und schon stürzte ein graues Etwas auf uns zu. Das Gehirn meines Wirtstieres arbeitete noch immer nicht normal. Mit aller Gewalt versuchte ich, jeden seiner Gedanken zu hintertreiben. Trotzdem begann ein mörderischer Kampf.

Das Schiff schwankte, der Getreideberg wogte hin und her und bedeckte uns immer wieder, von oben stieß eine graue Wolke herab, und dann versuchte das gelbe Tier, mit dem ich eins war, auf dem Rücken liegend seine bekrallten Beine in die Flügel des Flatterwesens zu schlagen. Schließlich begrub uns wieder das Getreide … wir tauchten wieder auf … das graue Tier stieß herunter, breitete die Flügel um uns und fesselte uns mit erstickender Umarmung.

Obwohl ich diesen Moment ersehnt hatte, in dem es meinem Vieh an den Kragen ging, kann ich nicht behaupten, dass mein Zustand nun angenehm war. Ich spürte alles, was ihm geschah, den lähmenden Druck der Flügel, in die wir wie mit einer Decke eingehüllt waren, den ekelerregenden, fauligen Geruch des Parasiten und die Saugnäpfe, die es in unsere Haut einsetzte. Ich spürte, wie wir immer schwächer wurden, wie das Wasser hereindrang, bis es mit einem Mal still war.

Offenbar war das Schiff, längst von allen Menschen verlassen, in die Klippen geworfen worden. Von Weitem hörte ich menschliche Stimmen, aber wir waren schon zu schwach, um uns zu bewegen. Einmal verließ uns der Vampir einige Zeit, aber er kehrte bald wieder zurück. Und dann nahm uns das Meer wieder auf – es drang mir kaum mehr ins Bewusstsein, es war wie ein sanftes Wiegen vor dem Einschlafen. Kurz darauf krachte und splitterte etwas – und mein zweites Ich im Körper des widerlichen Tieres erlosch.

Seither beschränkt sich mein Bewusstsein wieder auf meinen alten Körper – aber ich bin sicher, dass mir ein wichtiger Teil meines Denkens, meiner Fähigkeiten und meiner Erinnerungen fehlt. Leider vergesse ich aber nie jenen schrecklichen Augenblick meines Lebens, als ich auf dem Operationstisch lag, als sich das Wesen nach der geglückten Operation zu mir aufrichtete und ich seinen Kugelkopf mit den lidlosen Augen dicht vor mir sah, zu gleicher Zeit aber mit eben diesen Augen das entsetzte Gesicht meines menschlichen Selbst erblickte.

Entstehungsdatum ca. 1946–1950

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