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Gefährliche Fahrt

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Hast du den Mann am Lenkrad erkannt? Ja, es ist Claude. Sprich ihn nicht an, bleib ruhig sitzen, auch wenn er die bewusste Strecke fährt. Du weißt, die Straße über den Fischmarkt, die hart am Meer entlang läuft, bevor sie gegen den Residenzplatz abbiegt. –

Es ist nicht zu glauben, dass er nun nur wenige Handspannen von uns entfernt sitzt. Und dass er wieder durch die Windschutzscheibe blicken kann, in sprühende Regentropfen hinein oder in tändelndes Sonnenstrahlengespinst … Er hat noch die geduckte Haltung, wie zum Start ansetzend, sprungbereit …

Wie oft habe ich ihn seinerzeit gesehen! Nicht nur in den Zeitungen und Wochenschauen – oft genug sind wir zusammen die Allee hinuntergegangen, an lauen Frühlingsabenden, wenn das Dunkel voll war von unausgesprochenen Hoffnungen und Wünschen …

Ein Omnibuschauffeur! Wer hätte das damals geahnt? Zufall, Bestimmung, wer möchte darüber urteilen? …

Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, einige Worte mit ihm zu wechseln. Aber erst später, nach der Fahrt. Offen gestanden – ich bin etwas unruhig … Es ist damals manches geheim gehalten worden.

Wir fahren schon. Er ist pünktlich wie früher. Gleich werden wir zwischen den Bäumen hervorkommen und das Lichtermeer der Stadt sehen. Die Straße führt nun geradeaus. Das dunkle Gebäude, das sich dort vorn gegen den matten Glanz des Wassers abhebt, ist die Fischhalle. Man könnte sie für einen Tempel halten und die steinernen Pfeiler am Gestade, die im Mondlicht unwirklich weiß herüber blinken, für eine Reihe von Bildern, die sich ihrem Heiligtum nähern …

Wenn der Wagen so leicht schaukelt wie gerade jetzt wieder, möchte man meinen auf einem Boot zu schwimmen. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos schießen uns wie Leuchtspurgeschosse entgegen. Bemerkst du, wie sie immer erst im letzten Augenblick nach links ausweichen?

Rechts neben uns wogt bereits das Meer. Du kannst den Steilhang nicht erkennen, er liegt tief im Mondschatten …

Bis zur Unglücksstelle haben wir noch fünf Minuten. Über diese Strecken gingen früher die Autorennen um den Großen Preis der Stadt. Claude war damals ein bekannter Rennfahrer; wo er sich sehen ließ, jubelte man ihm zu, fremde Leute sprachen ihn in Lokalen an und drückten ihm die Hände. Er hatte eine Braut – Silvie hieß sie – ein graziöses, hübsches Mädchen, das abgöttisch an ihm hing. –

Es war das erste Mal, dass Claude beim großen Rennen mitwirkte – er war erst kurz zuvor hierhergekommen. Eine unbeschreibliche Spannung lag über der Stadt. In dichten Reihen säumten Schaulustige die Straße. Silvie stand dort, wo die Straße sich vom Meer abwendet und von wo man einen guten Teil der Fahrbahn und die Zielgerade zugleich einsehen kann, während ich den Platz am girlandengeschmückten Ziel vorzog.

Die Autos fuhren damals noch nicht so schnell wie heute. Trotzdem überlief mich ein aus Stolz und Bangen gemischtes Gefühl, das ich auch jetzt wieder ergreift, bei dieser nächtlichen Fahrt neben dem Abgrund – Stolz auf die technische Leistung, auf das Tempo und das leichte Reagieren der Maschinerie auf jeden Fingerdruck, Bangen, ob sich dieses kraftvolle Wesen, das Fahrzeug, dem menschlichen Geist auch endgültig unterworfen habe?

Ich beobachtete Wagen um Wagen an der Biegung, hörte das Gemurmel der staunenden Menge, spürte ihren Atem und ihre Aufregung. Es war ein wunderbares Rennen, das erst in der Zielgeraden entschieden wurde.

Als die ersten Wagen dicht hintereinander um die letzte Kurve bogen, ging es wie ein Aufbäumen durch die Menschenmasse. Ich sah nur, wie sich der gelbe Wagen Claudes vor die anderen schob und er schließlich als Sieger durchs Ziel schoss.

Hier bemerkte keiner, was sich am Beginn der Einfahrt zum Ziel abgespielt hatte. Einer der ersten Wagen – durch die Kurve schlitternd, wie es bei solchen Rennen üblich ist – kam etwas näher als vorausgesehen an die äußere Straßengrenze, fing sich wieder, brauste unbehindert weiter. In unwillkürlicher Reaktion waren jedoch die dicht gedrängten Menschen zurückgewichen – einige der in der hintersten Reihe stehenden wurden dabei über den Abgrund gedrängt und zerschlugen unten an den Klippen – dabei war auch Silvie …

Claude war untröstlich. Aus dem offenen heiteren Menschen wurde ein melancholischer Grübler. Er zog sich vom Rennsport zurück, und oft konnte man ihn beobachten, verloren durch die Straßen laufend oder übers Meer in ungewisse Ferne starrend.

Eines Tages besuchte er mich unerwartet. »Das Unglück kam nicht von ungefähr«, sagte er. »Ich weiß jetzt, wessen Wagen die Schlitterfahrt ausführte – es war der graue Ferrari mit Ricardo am Steuer. Du weißt, der stolze Spanier, der Silvie immer mit seinen Blicken verschlang, ohne je etwas zu erreichen …« Er war zu keinen weiteren Äußerungen zu bewegen. Wie erfroren hockte er auf seinem Stuhl, die Lider zusammengekniffen, die Hände ineinander verkrampft.

Ich traf ihn dann lange nicht mehr. Monate verliefen – ich war viel auf Reisen, ich richtete damals meine Filiale in Bordeaux ein – und schließlich nahte das nächste Rennen um den Großen Preis. Da hörte ich wieder von Claude, er trainierte wieder – und ich war darüber erstaunt. Aber ich freute mich auch, dass er seine Depression überwunden zu haben schien. Bis ich erfuhr, wer als der zweite Favorit galt: Ricardo.

Von da an fand ich keine Ruhe mehr – ohne eigentlich zu wissen, was mich ängstigte. Als ich mich um Claude kümmern wollte, wies er mich fast höhnisch zurück.

Die Stunde der Rennfahrt kam. Ich stand an der Innenkurve der letzten Biegung und sah die Autos heranrasen. Staub wirbelte auf, eine gläserne Sonne brannte – meine Kehle war trocken. Vergeblich suchte ich mich zur Ruhe zu zwingen. Mit kalten Fingern griff die Beklemmung nach mir – gelbe Sterne tanzten vor meinen Augen.

Je näher der Pulk an der Spitze kam, umso heftiger wurde meine Abneigung gegen dieses waghalsige Spiel mit dem Tod, diese irrsinnige Schnelligkeit, bei der doch kein Mensch mehr menschlich fühlen und denken kann, bei der jede kleinste Kleinigkeit, ein Zittern der Hände, ein unbeabsichtigter Druck auf dem Gashebel, das Leben kostet.

Voran rauschte Ricardo – er fuhr wieder einen grauen Wagen. Hinter ihm Claude, der sich näher und näher an Ricardo heranschob, ihn erreichte und sich dann an seine linke Seite setzte. Dicht nebeneinander schossen sie nun vorwärts, in unvorstellbarem Tempo, die Steilküste entlang.

Kurz vor der letzten Biegung geschah es. Ich hatte es erwartet, obwohl ich nicht wusste, was es sein würde.

Eben versuchte sich Claude vor Ricardo zu schieben, aber – hatte er dessen Schnelligkeit unterschätzt? – Das Hinterteil der Karosserie streifte den Kühler von Ricardos Wagen und drückte ihn nach rechts – ein tausendstimmiger Schrei – das graue Fahrzeug glitt über den Rand der Stufe zum Meer – zwei Pfeiler knickten um wie Streichhölzer – und verschwand in der Tiefe …

Die Stelle muss gleich kommen – ich werde sie dir zeigen, wenn Claude uns nun daran vorbeifährt. Seltsam – er hat einen fast fröhlichen Ausdruck um den Mund, ich erkenne es durch den Rückspiegel.

Es hat damals umfangreiche Untersuchungen gegeben. Aber wen will man in einem solchen Fall schuldig sprechen?

Ich habe Claude seither nicht mehr gesehen – heute ist es das erste Mal nach vielen Jahren. –

Siehst du, dort wo die einsame Pinie steht, dort ist es passiert …

Es ist kaum zu glauben, dass Ricardo mit dem Leben davongekommen ist, wenn er auch fast ein Jahr im Krankenhaus lag.

Übrigens, ich will es dir nicht verschwiegen – auch er ist in unserem Omnibus. Schau dich unauffällig um.

Ja, es ist der grauhaarige Fahrgast, der jetzt die Hand vor die Augen legt …

Entstehungsdatum ca. 1946–1950

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