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Weihnachtswunder

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Am Weihnachtsabend können die Tiere sprechen. So erzählt ein Märchen unserer Kinderzeit. Aber ist es nicht durchaus möglich, dass ein Lebewesen durch die Besonderheit der Stunde Fähigkeiten erhält, die ihm sonst nicht geschenkt sind? Ich kann da eine kleine Geschichte erzählen.

Ich besuchte damals noch die Oberschule. Einer meiner Klassenkameraden stammte aus einem kleinen Ort inmitten der Alpen, wo sein Vater eine kleine ärztliche Praxis ausübte. Als die Weihnachtszeit heranrückte, lud er mich ein, die Feiertage bei ihm zu verbringen.

Diese Woche im winterlichen Gebirge zählte zu meinen schönsten Erinnerungen. Es war mein erstes Weihnachtsfest auf dem Lande. Tiefer Schnee bedeckte die Wiesen, hüllte die Wälder ein und vergrub Straßen und Wege unter meterhohen Wechten. In den Nächten knallte es aus den Wäldern wie von Kanonenschüssen, wenn die Bäume im Frost zersprangen.

Mein Freund und ich konnten uns den Winterfreuden ungestört hingeben. Wir liefen Schlittschuh auf einem nahe gelegenen zugefrorenen See und streiften mit Skiern durch die Täler. Währenddessen ging der Arzt seinen beruflichen Pflichten nach, er besuchte seine Patienten, wozu oft stundenlange einsame Wanderungen auf Gebirgspfaden nötig waren. Sein einziger Begleiter war der Wolfshund Rolf, ein prächtiges Exemplar seiner Rasse. Und wenn wir am Abend müde und durchfroren nach Hause kamen, so verlebten wir noch einige gemütliche Stunden in der warmen Stube des Arzthauses. Die Haushälterin brachte uns dampfenden Kaffee, und wir plauderten und lachten.

Den Weihnachtsabend wollten wir in einem eine gute Stunde entfernten großen Gutshof verbringen. Der Gutsherr pflegte Jahr um Jahr seine Bekannten aus den umliegenden Dörfern einzuladen und die Weihnachtsstunde mit ihnen in der zum Gut gehörigen Waldkapelle zu feiern.

Der Arzt hatte bereits alle Patientenbesuche erledigt und konnte sich mit ruhigem Gewissen einen freien Abend gönnen. Als wir losziehen wollten und dem Hund pfiffen, brachte dieser die Tasche mit Verbandszeug und Instrumenten herbei.

Wir lachten, und der Doktor sagte: »Heut’ ist Weihnachten, Rolf, da brauchen wir nicht zu arbeiten, aber das verstehst du ja nicht!«

Er nahm ihm die Tasche aus dem Maul und legte sie auf einen Stuhl.

Wir verabschiedeten uns von der alten Haushälterin und wollten aufbrechen, da kam der Hund schon wieder mit der Tasche zu uns.

»Bist du aber eifrig!«, rief der Arzt. Energisch nahm er die Tasche an sich und legte sie auf den Stuhl zurück.

Mit dem Hund an der Leine stapften wir in den Schnee hinaus.

Nach etwa zehn Minuten riss sich Rolf plötzlich los und jagte davon.

»Was hat er nur?«, fragte mein Freund.

Es dauerte nicht lange, da kam der Hund wieder angeschossen, die Tasche im Maul. Winselnd sprang er um seinen Herrn herum, man merkte ihm sein schlechtes Gewissen an.

»Na, da musst du sie eben tragen«, meinte der Doktor lachend und wir setzten unseren Weg fort. –

Nicht weit vor unserem Ziel querten wir eine Senke, in die ein Seitental einmündete. Durch dieses konnte man auf eine hoch gelegene Alm gelangen, die im Winter nur von einigen Holzfällern bewohnt war.

Als wir einen Blick hinauf warfen, bemerkten wir im letzten Licht der Dämmerung einen Schlitten, der den Weg herunterschoss. Wir vermochten natürlich nicht zu erkennen, wer darauf saß, aber wir bewunderten den verwegenen Fahrer. Schneller und schneller folgte er den Kurven des steilen Weges. Schon hatte er die auslaufende Halde erreicht, das Tempo war bereits stark verlangsamt – da geschah das Unglück. Ein roh zusammengenagelter Zaun versperrte den Weg und gab nur eine enge Einfahrt preis. Kurz davor geriet der Schlitten ins Schleudern und schon prallte er krachend auf.

Erschrocken eilten wir an die Unglücksstelle. Jetzt erkannten wir den Lenker, es war der älteste Sohn des Gutsbesitzers. Er blutete stark, eine Schlagader war verletzt, einige Splitter steckten tief im Fleisch.

Nach den wichtigsten Maßnahmen der Ersten Hilfe setzten wir den Jungen auf den Schlitten, der nur wenig beschädigt war, und fuhren ihn in den nahen Gutshof. Der Doktor konnte sofort die Splitter entfernen, sodass der Unfall ohne ernste Folgen blieb.

Zu danken hatten wir dies aber einzig und allein dem braven Rolf, der es sich nicht hatte nehmen lassen, die Instrumententasche mitzunehmen.

Später standen wir gemeinsam in der kleinen Kapelle und sangen die alten Lieder. Nie wieder habe ich das Wunder der Weihnacht so unmittelbar empfunden wie damals.

Entstehungsdatum ca. 1946–1950

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