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2. Kapitel – La Ilaha illa ’Allah! Mohammed rasul Allah!

Nachdem man um die Mittagstunde herum allen Knaben die Vorhaut entfernt hatte, wurden sie gespeist und mussten sich danach wieder in Zehnerreihen auf die Hofwiese stellen. Das Gras war noch nass, und der Himmel zeigte sich in einheitlichem Grau, aber es regnete nicht mehr. Bald darauf erschien der Befehlshaber. Über dem Brokatgewand trug er einen offenen pelzverbrämten Mantel. Ihn begleiteten die bärtigen Derwische.

Der Alte vom Vortag hatte Jannis in der ersten Reihe ausgemacht und trat lächelnd auf ihn zu. „Friede sei mit dir, mein Sohn!“ Er lächelte. „Nun, hat man dich verschnitten?“

„Nein, aber warum hat man mir die Haut abgetrennt?“

„Weil das der erste Schritt ist, um deinen Unglauben abzulegen und ein wahrer Muslim, ein Rechtsgläubiger, zu werden.“ Jannis wollte den Alten anbrüllen, dass er niemals die Religion der Muselmanen annehmen würde, beherrschte sich aber, als er die Soldaten sah, die wieder einen Kreis um ihn und seine Mitgefangenen gebildet hatten. Nein, im Moment war offen kundgetaner Widerstand nicht klug. Hier hieß es, listig sein. „Stimmt es, was die anderen sagen, dass wir alle zu Militärsklaven ausgebildet werden?“

„Ja. Ihr seid dazu auserkoren, einmal in der Großherrlichen Gardetruppe der Janitscharen zu dienen. Deshalb müsst ihr auch eurem alten Glauben abschwören.“

„Ihr sagtet, das Beschneiden ist der erste Schritt, um Muselmane zu werden. Und was wäre der Zweite?“

„Du wirst ihn gleich vollziehen. Sprich mir nach: ‚La Ilaha illa ’Allah!‘“

Jannis zögerte, es waren Worte der gleichen kehligen Sprache, die er in der Früh bei der Beschneidung vernommen hatte.

„‚La Ilaha illa ’Allah!‘ Sprich mir das nach!“, wiederholte der Alte freundlich, aber nachdrücklich. „Und du darfst in diesem Fall auch laut und deutlich sprechen, denn es sind gottgefällige Worte, die dem Herrscher aller Gläubigen zur Freude gereichen. Ich weiß, für die ungeübte Zunge ist es anfangs schwierig, aber versuch es, so gut es dir gelingen will.“ Er wiederholte langsam.

Jannis hörte, wie die Knaben rechts und links neben ihm bereits den Derwischen die kehligen Worte nachsagten.

‚Mach, was man von dir verlangt, sei listig!‘, dachte der Junge. Stockend begann er: „La Ilaha illa ’Allah!“

„…Mohammed rasul Allah!“, half der Alte ihm weiter.

Jannis sprach ihm nach. Doch der Derwisch schüttelte den Kopf. „Du musst die Worte anders betonen. Hör genau hin!“ Ganz langsam sagte er die kehligen Laute noch einmal auf.

Als Jannis endlich alles zur Zufriedenheit des bärtigen Alten nachgesprochen hatte, erschien der Begleiter des Befehlshabers wieder mit dem braunen Buch und redete kurz mit dem Derwisch.

Dann baute er sich vor Jannis auf und sagte mit leiser gepresster Stimme: „Du heißt jetzt Dschengis. Jannis gibt es nicht mehr!“ Ohne ihn weiter zu beachten, ging er zum nächsten Knaben in der Reihe. Jannis schaute den Alten fragend an.

„So ist es, mein Sohn. Als Rechtsgläubiger bekommst du auch immer einen neuen Namen“, flüsterte der Alte. „So will es die Sitte.“

„Aber ich bin doch getauft worden!“

Der Alte nickte. „Das war, als du noch im falschen Glauben erzogen wurdest. Man hat dich heute beschnitten und du hast dich soeben zu Allah und Mohammed, seinem Propheten, bekannt. Was früher war, zählt nicht mehr als ein Wassertropfen im Ozean.“

„Es waren meine eigenen Worte, die mich zum Muselmanen gemacht haben? So ist es doch, oder?“

„Ja, du hast die Formel ausgesprochen, die dir den Zugang zum Paradies geöffnet hat.“

Jannis verzog keine Miene, aber in ihm wirbelten die Gedanken.

‚Der Teufel soll dich holen‘, dachte er, ‚dich und alle Muselmanen!‘ Dann sagte er leise: „Ich verstehe.“

Konnte der Alte Gedanken lesen oder warum schüttelte er langsam den Kopf. „Nein, mein Sohn. Du gibst nur mit den Lippen vor zu verstehen. Aber so Allah will, ändert sich das mit der Zeit.“

„Und woher nehmt Ihr Eure Überzeugung, dass es einmal so kommen wird?“, entfuhr es Jannis.

„Weil“, der Alte lächelte, „weil auch ich einmal von einem Popen getauft wurde und erst nach vielen langen Jahren zum rechten Glauben fand, mein Sohn.“

Am nächsten Morgen sah Jannis den Alten zum letzten Mal. „Ich habe vom Tschorbadschi gehört, dass man euch morgen fast alle nach Konya zur Arbeit aufs Land schickt, damit ihr unsere Sprache lernt und richtige Muslime werdet. Die dortigen Hodschas werden euch eingehend in der wahren Religion unterweisen. Wahrscheinlich sind es auch Brüder meines Ordens, Bektaschi-Derwische, die sich um euch kümmern.“

„Ich dachte, ich soll zum Soldaten ausgebildet werden.“

„Erst, wenn du dich bei harter, körperlicher Arbeit bewährst und eifrig beim Lernen bist, kommst du in eine Schulungstruppe der Janitscharen. Also streng dich an!“

‚Sei unbesorgt, Alter‘, dachte der Knabe, ‚mich anstrengen, um ein guter Krieger zu werden – bei der Heiligen Jungfrau Maria! – daran will ich es nicht fehlen lassen!‘

Aber wieder hatte er das Gefühl, dass der bärtige alte Derwisch in seinen Kopf blicken konnte und dort las, was er wirklich dachte, so, als hätten die in einer weiteren schlaflosen Nacht in dem riesigen Schlafsaal ausgebrüteten Rachepläne verräterische Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen.

Noch am gleichen Morgen erhielten die Knaben einen Reisesack. Er enthielt außer der Marschverpflegung – bestehend aus hartem Brot, Dörrfleisch, Zwiebeln und Oliven – eine Schlafdecke, einen Wasserschlauch und Essnapf sowie andere Dinge des täglichen Gebrauchs.

Wieder ging es durch die verwirrenden Gassen der Stadt hinunter zu den Ankerstellen unterhalb des Palasts. Dann überquerte Jannis, nun Dschengis genannt, mit seinen Leidensgenossen und begleitet von einer Orta Janitscharen die Meerenge hinter der Saray-Spitze.

Eine tief im Wasser liegende Kaik, gerade im Begriff, das der Saray-Halbinsel gegenüberliegende Galata-Viertel anzusteuern, wechselte mit einer geschickten Positionsänderung des Segels den Kurs und glitt knapp hinter dem letzten Boot einer Flotille am „Tor der Kanonen“ in das Goldene Horn. Der griechische Skipper der Kaik stieß einen Schwall von wüsten Flüchen angesichts der rotgekleideten Knaben aus, die auf den Schiffen von den Gardesoldaten des Sultans hinüber ans anatolische Ufer transportiert wurden.

Die Sklaven des Sultans

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