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3. Kapitel – Der Marsch ins Innere von Anadolu

Es war eine große Karawane, die sich am anderen Ufer vor den Mauern eines berghohen Muselmanentempels sammelte, den die Janitscharen Moschee nannten. Üsküdar hieß der Ort. Zu den Soldaten und Dev-schirme-Knaben gesellten sich Händler mit schwerbepackten Saumpferden. Zum ersten Mal sah Jannis Tragtiere mit Köpfen, die ihn entfernt an die von Maultieren oder Pferden erinnerten, nur waren die Tiere ungleich größer. Auf dem Rücken hatten sie ein oder auch zwei riesige Höcker. Die Höckertiere hießen bei den Muselmanen Kamele.

Mit den immer öfter erhobenen Sondersteuern des Sultans hatte sich auch die Anzahl der landflüchtigen Bauern erhöht. Sie rotteten sich zu Räuberbanden zusammen und verunsicherten die Karawanenwege. Die wohlbewaffneten Janitscharen waren ein willkommener Geleitschutz. Die Soldaten waren zur Residenz von Prinz Selim abgeordnet. Der Sohn des „Gesetzgebenden“ übte in Konya die Statthalterschaft aus. Einer der Spitznamen von Prinz Selim lautete „der Gelbe“, da er blond und hellhäutig war. Aber die Janitscharen und Händler belegten den Prinzen hinter vorgehaltener Hand auch noch mit einem weiteren, wenig schmeichelhaften Namen, denn seine Vorliebe für Zypern-Wein war kein Geheimnis. „Säufer-Selim“ nannten sie ihn dann.

All das erfuhr der Knabe in der leuchtendroten Kleidung von dem redseligen Soldaten, der ihm als Bewacher zugeteilt worden war.

„Wie heißt du?“, hatte er gefragt.

„Jannis.“

„Nenn diesen Namen nie wieder!“, hatte der Janitschar gesagt. „Sonst werde ich dich bestrafen! Also, wie heißt du?“

„Dschengis“, hatte der Knabe schnell geantwortet, als der Soldat, um die Ernsthaftigkeit seiner Drohung zu unterstreichen, den Schaft seiner Lanze zielgenau und spielerisch gegen einen Baum am Wegesrand schnellen ließ.

Die Karawane rastete bei Dunkelheit und zog im ersten Morgengrauen weiter. Außer dem Karawanenführer der Kaufleute besaß nur der Tschorbadschi ein Reitpferd. Es dauerte einige Zeit, bis Jannis das stramme Marschieren nichts mehr ausmachte, denn es war ihm verboten, sein Bündel einem Saumpferd aufzuladen.

Die Soldaten trugen dünne, gelbe Lederstiefel. Die Devschirme-Knaben liefen barfuß. Das waren sie gewohnt, unangenehm war nur der Staub, den die Lasttiere aufwirbelten. Er machte durstig, aber trinken durften die Jungen nur, wenn gerastet wurde.

Einmal entkorkte Jannis nach einer extrem sandigen und trockenen Wegstrecke den Wasserschlauch. Sein Janitscharen-Bewacher bemerkte es und prügelte mit hochrotem Gesicht mit dem Lanzenstiel auf den Jungen ein. Der Soldat war zwar redselig, aber auch jähzornig, und der Knabe nahm sich nach dieser Züchtigung in Acht, ihm fortan keinen Anlass zu einem Wutausbruch zu bieten.

Anfangs trafen sie noch häufig auf große Schafherden mit verwegen aussehenden Hirten und wolfsähnlichen Hütehunden, dann wurde der Marsch von Tag zu Tag eintöniger. Die staubigen Straßen führten nun seltener durch Dörfer oder kleinere Städte. Die Landschaft bot wenig Abwechslung. Sie war kaum bewaldet, erst hügelig und dann zunehmend gebirgiger. Manchmal zogen sie dort tagelang über kahle Hochebenen, ohne irgendwelchen Reisenden oder selbst Hirten zu begegnen. Um die Mittagsstunden herum brannte die Sonne bereits unangenehm, aber es gab auch noch Nächte, wo das Trinkwasser in den Lederschläuchen eiskalt wurde.

Mit der Zeit lernte Jannis das eine oder andere Wort der Muselmanensprache von seinem geschwätzigen Bewacher. Er war ein älterer Mann, der schon im Alter von acht Jahren zur Devschirme gepresst worden war und trotzdem das Griechische noch einigermaßen fließend beherrschte. An den Namen seines Heimatdorfs konnte der Soldat sich nicht mehr erinnern, nur dass es weit im Westen Rumeliens hoch in den Bergen gelegen hatte. Rumeli, erklärte der Janitschar dem Knaben, hieß all das Land des Sultans auf der Saray- und Galata-Pera-Seite von der Bosporus-Meerenge.

Der Janitschar trauerte der Zeit nach, die er gerade in Istanbul verlebt hatte. Ungeachtet des strengen Verbots des „Gesetzgebenden“, schien er sich häufig in Pera und Galata in verschwiegenen Weinschänken vergnügt zu haben. Seine Hauptsorge war, ob er wohl auch in Konya eine Kneipe finden würde. Von seinem Bewacher erfuhr Jannis auch, was ihn in Prinz Selims Provinz erwarten würde. Die Aussicht, in Zukunft hart arbeiten zu müssen, womöglich bei schmaler Kost, schreckte den Jungen wenig. Er war es gewohnt, karg zu leben. Und dass er von den Derwischen Unterweisung in der Religion der Muselmanen erhalten würde, ließ sich vermutlich nicht vermeiden. Jannis nahm sich vor, ein gelehriger Schüler zu sein, denn er wusste, dass er seine Peiniger in Sicherheit wiegen musste, um baldmöglichst zu fliehen.

Manchmal sehnte sich Jannis die Begegnung mit einer starken Räuberbande geradezu herbei. Bestimmt würde sich bei einem Überfall eine Fluchtmöglichkeit bieten. Aber eine von einer Orta Janitscharen geleitete Karawane war keine leichte Beute. Hin und wieder zeigten sich zwar vereinzelte Reiter in der Ferne, sie wagten sich aber nie näher an die vielköpfige Marschkolonne der Soldaten und Händler heran.

Gleichförmig verliefen die Tage. Fünfmal musste sich Jannis Füße, Hände, das Gesicht, Augen und Ohren mit Wasser reinigen: zu Sonnenaufgang, mittags, nachmittags, bei Sonnenuntergang und abends. Wenn kein Bach oder See in der Nähe war, deutete man die Waschbewegungen nur an. Danach kniete sich der Knabe mit allen Karawanenreisenden zum Gebet hin, nachdem der Tschorbadschi die Richtung festgelegt hatte, in die man sich verbeugen musste. Ein Vorbeter intonierte dann in der kehligen Sprache der Muselmanen: „La Ilaha illa…“

Ein halbes Dutzend Aufseher blieb zur abendlichen Rast bei den Knaben, die anderen Soldaten versammelten sich gesondert von den Händlern in einem engen Kreis um einen großen Bronzekessel, dem „Kazan“. Darin bereiteten die Köche der Janitscharen-Orta meist ein Reisgericht mit Hammel- oder Schafsfleisch oder gelegentlich auch eine dicke Bohnensuppe zu. Die Knaben aßen außerhalb des Kreises, wurden aber aus demselben Kessel gespeist. Es war die einzige Zeit, in der Jannis Gelegenheit hatte, mit Spiro von der Nachbarinsel Pserlendos zu reden. Spiro trug jetzt den Namen Hamza. Er war weder betrübt noch heimwehkrank. Jannis fand es rätselhaft, wie schnell der eine oder andere Knabe sich schon in sein Schicksal ergeben hatte.

Wenn bis auf die Wachen bereits alle schliefen, starrte Jannis noch lange in den unendlichen Sternenhimmel und dachte wehmütig an die Inseln, dachte an Mutter und Schwester daheim und den Bruder, den man ebenfalls entführt hatte. Wie mochte es Kosta jetzt wohl ergehen in dieser Fremde?

Je näher sie sich der Stadt des Prinzen Selim näherten, desto häufiger verließen zwei Janitscharen mit einem Knaben die Karawane, um ihn zu seinem neuen Herrn zu bringen. Der war zumeist ein Gutsherr oder Großbauer, der die Aufgabe übernommen hatte, den Devschirme-Jungen zu erziehen und auf die Janitscharen-Ausbildungstruppe vorzubereiten.

Die Karawane erreichte Konya zur Mittagsstunde. Die Stadt lag in einem fruchtbaren Oasengebiet inmitten einer großen Trockensteppe. Die Staubwolke, die die Karawane hinter sich her zog, blieb noch lange sichtbar, denn seit Tagen war es völlig windstill.

Die Bewohner von Prinz Selims Residenzstadt schienen die Räuberbanden nicht sonderlich zu fürchten. Zahlreiche Ansiedlungen, selbst eine Moschee, lagen unbewehrt außerhalb der Befestigungen.

Die Karawane machte an einem Brunnen vor der Stadtmauer halt. Der Brunnen stand im Zentrum eines mit quadratischen Steinplatten ausgelegten Platzes und war mit einem Bambusgestell überdacht, das man mit enggeflochtenen Binsenmatten als Sonnenschutz belegt hatte. Eine Doppelreihe alter Bäume mit staubigem Blattwerk führte auf den Brunnenplatz. Das ausladende Blattwerk der Bäume, deren Wurzeln teilweise die Steinplatten angehoben oder sie sogar zerbrochen hatten, spendete den Reisenden den ersten Schatten seit dem Aufbruch in der Morgendämmerung.

Die Kaufleute und ein Großteil der Soldaten zogen mit dem Tschorbadschi sogleich durch ein niedriges Tor in die Stadt. Zurück blieben die Devschirme-Knaben und ihre Janitscharen-Bewacher. Es wurde den Knaben gestattet, sich am Brunnen zu erfrischen, dann mussten sie sich dicht an dicht mit den geschulterten Reisebündeln auf die Steinplatten hocken. Von den vierzig Knaben aus Istanbul waren nur noch zwanzig beisammen, die übrigen waren schon während des Marsches bei den Gutsbesitzern in der Konya-Ebene abgeliefert worden.

Der Tschorbadschi kam schon bald mit einer großen Reiterschar aus dem Stadttor. Sie umringten die Knaben, und der Hauptmann verteilte die Zöglinge auf die Reiter. Einige von ihnen verließen den Brunnenplatz mit bis zu drei Knaben, aber die meisten führten nur einen mit sich fort. Jannis war unter den Letzten, die der Tschorbadschi aufrief.

Ein hagerer, wohlbewaffneter älterer Mann, der eine gefleckte Stute neben sich am Zaum führte, beugte sich von seinem Rappen zu dem Jungen hinunter.

Die Sklaven des Sultans

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