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3. Kapitel – Jannis und Kosta

Der Großvater der Zwillinge, so wussten die alten Leute im Dorf zu berichten, war einer der fränkischen Ritter auf Rhodos gewesen, denn als Iolanthe nach Thiratois zurückehrte, kam sie als verhältnismäßig reiche Frau, die sogar eine Marien-Ikone mit einem Bildnis der Heiligen Jungfrau Maria für die Kapelle der Fischer stiften konnte. Viele der armen Dorfbewohner, ob Mann oder Frau, hatten sich nach Rhodos verdingt, bevor der „Gesetzgebende“ die Ritter vom Orden des Heiligen Johannes dort vertrieb. Wenn die Dörfler es zu etwas Wohlstand gebracht hatten, kehrten sie häufig zu ihren Familien nach Pharnox, Pserlendos und Thiratois heim. Die Leute von Thiratois nannten ihre und die anderen Inseln übrigens nie mit Namen. Pharnox war die „Große“, Pserlendos die „Mittlere“ und Thiratois die „Kleine Insel“. Meist waren es ältere Heimkehrer, aber auch immer wieder unverheiratete, schwangere Frauen wie Iolanthe. Der Pope fühlte sich dann zwar befleißigt, wortgewaltig gegen das „Sündenbabel Rhodos“ zu wettern, nahm aber doch die zumeist reichlichen Geldspenden der Frauen immer an.

Gleich nach ihrer Ankunft hatte Iolanthe eine Tochter geboren, die Mutter der Zwillinge, und dieses Mädchen Helena war nicht das einzige hellhaarige Kind mit blauen Augen auf Thiratois. Und aus diesem Grund entrüstete sich auch nur der Pope wieder einmal – höchst moderat – über ein weiteres uneheliches Kind in seiner Gemeinde. Moderat, denn er hatte das Geld für eine weitere Marien-Ikone bereits eingestrichen.

Helena wuchs auch ohne Vater wohlbehütet in der großen Familie ihrer Mutter auf. Iolanthe verstarb ein paar Jahre nach der Geburt ihrer Tochter an einem Schlangenbiss. Helena heiratete, als sie in das richtige Alter kam, den Fischerssohn Manolis aus dem Nachbardorf. Auch unter dessen Vorfahren hatten etliche für längere Zeit in Rhodos gelebt: Manolis war blond und blauäugig wie ein Franke.

Seitdem die Insel an die Osmanen gefallen war und die Ritter schließlich auf dem fernen Malta heimisch wurden, ging niemand mehr nach Rhodos, und damit endeten auch die reichen Jahre, in denen der Kapelle beinahe jährlich Ikonen gestiftet werden konnten.

Das Leben für die Insulaner war dennoch kaum beschwerlicher als früher, als noch die Lehensträger der Ritter über den Archipel geherrscht hatten. Zwar mussten unter dem Sultan Süleyman alle, die nicht Anhänger der Religion des Propheten Mohammed waren, eine Kopfsteuer entrichten, aber sie fiel eher gering aus, verglichen mit den Abgaben, die man an die alten Grundbesitzer zu leisten hatte. Da die ehemaligen Herren der Inseln sich zudem dem „Gesetzgebenden“ noch vor Beginn seines Rhodos-Feldzugs bedingungslos unterworfen und sogar Schiffe für die Invasionsarmada zur Verfügung gestellt hatten, waren Pharnox, Pserlendos und Thiratois „auf ewig“ von der Devschirme ausgenommen.

Manolis, der Fischer, war ein ruhiger, wortkarger Mann, der lieber alleine zum Fang auslief und auch eine ausreichende räumliche Entfernung zu seinen Nachbarn schätzte. Er baute für sich und seine junge Frau Helena ein Haus abseits des Dorfes. Bald gab es einen Garten und kleine terrassierte Felder, auf denen genügend Getreide und die verschiedensten Gemüse geerntet werden konnten. Manolis’ Boot lag außer Sichtweite des Hauses in einer fjordähnlichen Einbuchtung an einen Felsen vertäut. Der schweigsame Mann galt als der geschickteste Ok-topusfänger der Insel.

Helena brachte erst eine Tochter zur Welt, die man nach der Großmutter Iolanthe taufte und die alle nur Io nannten. Drei Jahre später gebar Helena zwei Knaben: Jannis und Kosta. Letzterer wurde vermutlich nur bei der Taufe mit seinem vollen Namen Kostandino gerufen. Bald nach Iolanthes Hochzeit – sie heiratete einen Bauern auf Pharnox – starb Manolis an einer Muschelfleischvergiftung.

Die Zwillinge Jannis und Kosta waren mit ihren fünfzehn Jahren schon alt genug, um für sich und die Mutter zu sorgen. Beide waren wie der Vater hervorragende Fischer, und auch die Feld- und Gartenarbeit ging ihnen leicht von der Hand. Sie waren schlank, von muskulöser Gestalt, mittlerer Größe und hatten die Eigenschaft von ihrem Vater geerbt, recht wortkarg zu sein. Dennoch gab es viele Eltern unverheirateter Töchter, die die beiden blonden Knaben gerne als Schwiegersöhne gesehen hätten, denn Jannis und Kosta waren fleißige Arbeiter.

*

„Es scheinen Brüder zu sein“, flüsterte der Hauptmann.

„Zwillinge“, korrigierte ihn der Anführer der Weißen Eunuchen erfreut. „Ich bin mir sicher: Die beiden da unten sind Zwillingsbrüder!“ Zwei Dutzend Augenpaare beobachteten in der ersten Morgendämmerung das Haus der Witwe Helena. Von der Hügelkuppe aus blieben die anderen Inseln des Archipels unsichtbar, über dem Wasser lag dicht der Frühnebel. Ein linder Wind strich durch die Baumgipfel.

Zwei Knaben, fast schon junge Männer, bewässerten sorgfältig ein Gemüsefeld, fütterten das Federvieh und knoteten schließlich ein längliches Fladenbrot und eine Handvoll Zwiebeln in ein Baumwolltuch, das einer der Jungen sich an einem Bootshaken über die Schulter hängte. Der andere schulterte ein engmaschiges Wurfnetz. Die Knaben riefen einen Abschiedsgruß in Richtung Haus. Eine Frauenstimme antwortete.

Der Anführer der Weißen Eunuchen nickte dem Hauptmann vielsagend zu. Als die Janitscharen die Zwillinge auf dem Weg zum Meer umstellten, versuchte Jannis sich mit dem Bootshaken zu wehren. Der Hauptmann schlug ihn von der Seite mit dem Stil seines Streitkolbens nieder. Kosta wurde gezwungen, den bewusstlosen Bruder über die Dornenbuschhügel zur Bucht der Galeere zu schleppen. Ein Soldat zischte ihm auf Griechisch zu, dass man sie augenblicklich töten würde, falls er auf die Idee käme, um Hilfe zu rufen.

In der Bucht untersuchte ein Leibwächter des Eunuchen den immer noch reglosen Knaben. „Er ist jung und kräftig und wird es überleben, Herr.“ Der Verschnittene nickte zufrieden und dankte dem Schicksal, das ihm gleich zwei blonde, blauäugige Jungen beschert hatte. Einen als Ersatz für den Pagen und einen, der die Devschirme-Liste wieder stimmig werden ließ. Ein anderer Janitscharentrupp hatte, bevor sie die Zwillinge hier auf dem abgelegenen Anwesen entdeckten, schon einen Dorfknaben auf der Nachbarinsel Pserlendos aufgegriffen, der ohne Weiteres für den zweiten am Vortag geflohenen Knaben durchgehen würde.

‚Das Schicksal hat es sogar in mehrfacher Hinsicht mit uns wohlgemeint‘, dachte der Verschnittene erleichtert und betrachtete den reglosen Jannis. ‚Die Narbe, die der Streitkolben auf seiner Stirn hinterlassen wird, würde es mir unmöglich machen, ihn als Rüstem Paschas Pagen auszugeben. Aber – Allah sei Dank und Lob! – gibt es ja diesen Zwillingsbruder.‘

Der Dicke drückte die Säbelspitze leicht gegen Kostas Kehlkopf: „Wie heißt du?“

„Kostas.“

„Und er?“ Die Säbelspitze zeigte auf den immer noch leblos wirkenden Bruder.

„Jannis.“

„Ihr seid Geschwister, nicht wahr?“

„Ja.“

„Ja, Herr!“ Die Säbelspitze berührte wieder den Kehlkopf des Knaben.

„Ja, Herr.“

Kosta, der nun gefesselt neben Jannis im Beiboot der Galeere lag, verstand zwar kein Wort von der Sprache, in der sich die Ruderer und Soldaten jetzt gedämpft unterhielten, aber er wusste, dass die muselmanischen Fischer vom Festland, denen sie bisweilen auf dem Meer begegneten, auch in dieser Zunge redeten.

Auf der Galeere kam bald darauf auch Jannis wieder zu Bewusstsein, und man befahl ihnen, die leuchtendrote Kleidung der Devschirme-Knaben anzulegen. Kosta musste seinem Bruder dabei helfen. Die Brüder erfuhren von ihren Schicksalsgenossen, dass sie nun im fernen Istanbul zu Soldaten des Sultans Süleyman erzogen werden sollten. Augenblicklich dachten Jannis und Kosta an Flucht, Jannis trotz der Kopfschmerzen, die ihn bereits bei der kleinsten Bewegung schwarz vor Augen werden ließen.

Unter ihren Leidensgefährten entdeckten sie auch einen Jungen namens Spiro von der Nachbarinsel Pserlendos, aber sie konnten nicht mit ihm reden, da er weit entfernt von ihnen saß und niemand seinen Platz an Deck ohne Aufforderung der Soldaten verlassen durfte.

Der Gedanke einer möglichen Flucht beschäftigte die beiden beständig, bis sie sahen, wie ihre Fänger mit einem Mitgefangenen umsprangen, der nur ansatzweise zu fliehen versucht hatte. Mehrmals täglich kontrollierte jemand ihre Fesseln. Die Soldaten des Hauptmanns waren nach dem geglückten Entkommen zweier Devschirme-Knaben erklärlicherweise ungleich wachsamer als zu Beginn ihrer Rückreise nach Norden. Es hatte ausgereicht, dass man bei dem besagten Jungen einen durchgescheuerten Strick der Fußfessel entdeckte, um ihn bäuchlings um den Mast in der Schiffsmitte zu binden und seinen Rücken bis aufs Blut zu peitschen.

Bald schon lernten die Knaben, dass viele der Soldaten und Matrosen die griechische Sprache beherrschten, auch wenn sie untereinander die Zunge der Muselmanen bevorzugten. Die Matrosen hatten keine einheitliche Bekleidung, aber die Soldaten trugen alle die gleiche Uniform: blaue Pluderhosen und rote Jacken. Besonders seltsam sah ihre Kopfbedeckung aus, eine eigenartige, hohe, Filzmütze, die mit einem weißen Tuch umwunden war. Das Tuch hing breit wie ein Schal von der Mützenspitze bis auf den Rücken der Soldaten. Aber das Merkwürdigste war, dass auf der Stirnseite der Mütze in einem Stofffutteral ein länglicher Gegenstand steckte, der wie ein Suppenlöffel aussah. Nur ihr Anführer – die Soldaten redeten ihn mit „Tschorbadschi“ an – besaß ein aus Silberblech getriebenes, oben geschlossenes Futteral, dem man nicht ansah, was es enthielt. Einige der Knaben beherrschten die Sprache der Muselmanen. Sie sagten, „Tschorbadschi“ würde „Suppenkoch“ bedeuten. Jannis und Kosta fanden es reichlich merkwürdig, dass Kriegsleute sich mit Löffeln schmückten und ihre Hauptmänner Suppenköche genannt wurden.

Die Zwillinge trösteten sich so gut es ging gegenseitig, dass sich bestimmt irgendwann eine günstigere Gelegenheit ergeben würde, als ausgerechnet von einer gutbemannten Galeere auf hoher See zu fliehen. Sie ahnten nicht, dass der dicke Riese mit der wächsernen Gesichtsfarbe, der immer ein glänzendes Brokatgewand mit einem kostbaren Säbel am reich verzierten Leibgurt trug und der des Öfteren zu ihnen kam, um sie dann minutenlang stumm anzustarren – Jannis und Kosta ahnten nicht, dass der Anführer der drei Weißen Eunuchen sie gleich nach ihrer Ankunft in Istanbul für immer zu trennen beabsichtigte.

Die Sklaven des Sultans

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