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1. Kapitel - Kaptan Sokrates’ erlauchter Kunde

Nico, der rhodische Tavernenwirt, hatte alles bestens organisiert. Kaptan Sokrates’ Kaik „Seeschwalbe“ lag kaum sichtbar hinter einem entladenen Schwarzmeersegler. Offiziell hatte die Kaik Essig geladen, das bestätigte dem Skipper ein teuer erkauftes Dokument, das er sich in Gelibolu beschafft hatte. Rüstem, einstiger Devschirme-Knabe aus Bulgarien und schon seit langem himmelhoch aufgestiegen zu Rüstem Pascha, dem „Träger der Reichslasten“, berechtigt, eine Standarte mit vier Rossschweifen als Ehrenzeichen zu führen, war todkrank, das berichteten alle, die ihn in letzter Zeit gesehen hatten, und jeder in Istanbul rechnete mit seinem baldigen Ableben. In seiner Geldgier indes blieb der Großwesir des „Gesetzgebenden“ unersättlich wie eh und je. Den Spitznamen „die Glückslaus“ verlor er auch auf dem Totenbett nicht beim einfachen Volk. Aber wer im Reich der Osmanen die Möglichkeit und Macht besaß, Rüstem Pascha in Sachen Bestechlichkeit nachzueifern, tat es mit Fleiß.

Die kurdischen Träger, die der Wirt gegen gutes Geld angeheuert hatte, warteten, bis die Janitscharenwache auf dem Galata-Kai ihre Runde beendet hatte, dann bildeten die Männer eine Kette und löschten in Windeseile die Ladung der „Seeschwalbe“. Während sie die eimergroßen Weinfässchen auf der Hafenmauer stapelten, vergewisserten sich Wirt und Skipper, ob die Janitscharen auch wirklich zum Werftgelände weitermarschiert waren, das im Nordwesten an den Galata-Kai grenzte. Nur ein paar Katzen balgten sich um eine tote Taube.

Nico gab das verabredete Zeichen. Er verstand es trefflich, den Ruf eines Käuzchens zu imitieren. Die Träger machten sich mit den Weinfässchen an den Aufstieg ins Pera-Viertel. Niemand begegnete den Männern in den verwinkelten Gassen. Nico hatte in der Schlacht um Rhodos, auf osmanischer Seite, als Bogenschütze in einer von Süleymans Hilfstruppen eine Beinverwundung erlitten und hinkte seitdem. Dennoch hielt er mit allen gut Schritt.

Seine Weinschänke lag unweit des Pera-Turms, gut versteckt vor zufälligen Blicken im zweiten Hof einer Holz- und Brennstoffhandlung. Wer sich nicht auskannte, der mochte die zwölf ausgetretenen Stufen, die bei Dunkelheit von zwei Lampen notdürftig beleuchtet wurden und hinab in das geräumige Kellergewölbe unter dem halbverfallenen Steinschuppen führten, für den Zugang zu einem Öllager halten. Die Vorderfront des Schuppens und auch die Treppe waren mit Olivenölbehältnissen jeglicher Form und Größe verstellt. Nicos Bruder Theo und drei wolfsähnliche Hunde wachten darüber, dass kein Unbefugter das Durchgangstor zum zweiten Hof erreichte. Dort lagerte das Bauholz: Bretter, Bohlen, aber auch lange Vierkantbalken.

Die Hunde blieben weggesperrt, als die Träger dem Wirt die Zypernwein-Fässchen durch ein Kellerfenster anreichten. Nach getaner Arbeit wurden alle Hoftore sorgfältig abgesperrt und die vierbeinigen Wächter wieder freigelassen. Nico entzündete eine Wachskerze und warf einen Geldbeutel auf den Teppich zwischen sich und den Kapitän.

Theo brachte Brot, Oliven und einen kleinen Laib Feta-Käse. Der Wirt stach eines von den gerade gebrachten Fässern an. Vier Tonbecher wurden gefüllt. Nico leerte seinen Becher in einem Zug und wischte sich dann die Mundwinkel mit dem Handrücken ab.

„Ah! Vortrefflich!“

Sein Bruder Theo machte es ihm nach und nickte dann ebenfalls anerkennend.

„Wahrlich. Ein guter Tropfen, den du uns da gebracht hast, Kaptan!“

Der Skipper lachte – Steuermann, Matrose und Schiffsjungen waren an Bord geblieben – und verschränkte die kräftigen Arme über seinen tonnenförmigen Brustkorb. „Hattest du etwa Zweifel an meiner Ware?“

„Letztens hat mir ein Händler aus Kappadokia gekippten Wein unterjubeln wollen“, sagte Nico ernst. „Nun, es empfiehlt sich, heutzutage alles doppelt und dreifach zu prüfen, denn zum Kadi kann man ja nicht gehen, um einen Panscher anzuzeigen.“

„Reine Routine, Kaptan“, beschwichtigte Theo schnell, als er Sokrates’ säuerliche Miene sah. „Bei dir ist derartige Vorsicht natürlich überflüssig. Wir waren stets mit deinem Wein zufrieden.“

„Ja, Kaptan“, sagte der Wirt. „Und wir wollen baldmöglichst wieder beliefert werden. Hier ist erst einmal dein Geld. Bitte!“ Nico entnahm dem Beutel vier Goldstücke und reichte sie dem Skipper.

„Ich sagte fünf!“, protestierte der Kapitän.

Nico machte ein bestürztes Gesicht. „Oh, ja, fünf sagtest du. Verzeih, ich vergaß!“ Er fingerte umständlich ein weiteres Goldstück hervor. „Wie nachlässig von mir!“

Kaptan Sokrates strich es grinsend ein. Er kannte den Rhodier schon seit Jahren. Nico würde nie auch nur den hundertsten Teil einer Kupfermünze vergessen, den ihm jemand schuldete. Vergesslichkeit überkam ihn ausschließlich zu seinen Gunsten. „Ich nehme natürlich auch Kupferplatten in Zahlung, Nico.“

„Vergiss Kupfer, Kaptan! Die Werften zahlen zurzeit Höchstpreise dafür. Da braut sich etwas zusammen. Überall werden neue Schiffe auf Kiel gelegt.“

„Schade. Kupfer würden die mir auf Zypern auch gerade günstig abnehmen. Aber egal, Nico. Nur eines noch. Ich kann dir momentan leider nicht versprechen, ob ich das nächste Mal noch zum gleichen Preis liefern werde.“

Es hätte nicht viel gefehlt und der Rhodier und sein Bruder Theo wären in Tränen ausgebrochen.

„Du willst uns ruinieren, Sokrates!“, wimmerte der Wirt. „Bei der Heiligen Jungfrau! Mehr als fünf Goldstücke für zehn Fässchen sind einfach nicht machbar!“

Der Kapitän zuckte mit den Achseln. „Dann wird eben nichts aus einem neuen Geschäft zwischen uns. Der nächste Transport kostet bei gleicher Qualität sieben Goldstücke und keine Kupfermünze weniger! Erstens sind die Preise für Zypern-Wein inzwischen geklettert, und zweitens hat mein Bekannter beim Zoll in Gelibolu mir schon dieses Mal verkündet, dass er demnächst gezwungen sein wird, seine ‚Bearbeitungspauschale‘ erneut anzuheben.“

Nico seufzte. „Sechs, Kaptan, dann werden wir handelseinig.“

Der Skipper schüttelte entschieden den Kopf. „Unmöglich, Nico. Dann wäre es für mich weitaus profitabler, den Wein gleich in Gelibolu zu verkaufen.“

Theo hob beschwörend die Hände. „Nun sei doch nicht gleich so vergrätzt, Sokrates! Sieben Goldstücke, das treibt uns in den sicheren Ruin!“ Der Wirt verdrehte schmerzlich die Augen und stöhnte laut auf. „Aber einverstanden, weil du es bist und unserer alten Freundschaft wegen.“

„Dein Wort drauf, Nico. Sieben?“

„Sieben“, sagte der Wirt. „Bei der Heiligen Jungfrau!“

‚Wenn sich dieser Geizknochen auf sieben einlässt, dann hat er einen Abnehmer, der mindestens das Doppelte dafür hinlegt‘, dachte der Skipper. ‚Paolo wird bestimmt wissen, wer das ist.‘

Als Kaptan Sokrates am nächsten Morgen Paolo de Teresta in seinem Ladengeschäft auf der Saray-Seite des Goldenen Horns unterhalb der Süleyman-Moschee aufsuchte, regnete es in Strömen. Dem Skipper war das nur recht, denn das bedeutete, dass kaum Menschen unterwegs sein würden, die sich gegebenenfalls an ihn erinnern konnten. Jedes Mal, wenn er zu dem Portugiesen ging, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Paolo de Teresta war Seiler und belieferte die Großherrliche Flotte mit besonders strapazierfähigen Tauen, die in christlichen Ländern gefertigt und auf verschlungenen Wegen in das Reich des „Gesetzgebenden“ gebracht wurden, mal durch ein Schiff der Genuesen, mal durch einen Segler des französischen Königs. Keiner der Agenten, die im Auftrag des Kapudan Paschas, des Großadmirals, für die Ausrüstung der Galeeren und Galeoten zuständig waren, ahnte, dass der Portugiese der Kopf der Spione war, die Informationen für den Großmeister der Maltaritter zusammentrugen.

Auch Kaptan Sokrates wusste nicht, an wen die Nachrichten weitergeleitet wurden, die Paolo ihm entlockte. Seine beiläufigen Fragen, wie viele Kriegsschiffe wo mit welcher Bewaffnung und auf welchem Kurs der „Seeschwalbe“ von Zypern bis Istanbul begegnet waren, diese Fragen waren zu gezielt, als dass sie sich Kaptan Sokrates, der es sehr wohl verstand, eins und eins zusammenzuzählen, nur mit bloßer Neugier erklären konnte.

Aber der Fluss der Neuigkeiten war nicht einseitig. Paolo diente den christlichen Kapitänen als Nachrichtenbörse, Makler, Postagent und Bankier, der über allerbeste Beziehungen zum Saray verfügte.

Kaptan Sokrates fand den Portugiesen über einen Frachtbrief gebeugt, den das Großherrliche Siegel, die Tugra Süleymans, schmückte. Mehr als den Schriftzug des „Gesetzgebenden“ konnte der Skipper von dem Schriftstück nicht erblicken, denn der Portugiese bedeckte die Urkunde schnell mit einem Stück Segeltuch.

„Kaptan Sokrates, was verschafft mir die Ehre?“

Er schnippte mit dem Finger, und augenblicklich erschien ein Knabe aus einem der hinteren Räume der Seilerei. Paolo trug ihm auf, Kaffee vom Kahvehane zu holen. Der Knabe eilte davon.

Sokrates schlüpfte aus den Sandalen und setzte sich zu dem Portugiesen auf das teppichbedeckte Podest unter dem überdachten Ladeneingang. Der Blick über das Goldene Horn auf Pera und Galata wurde nur von der Krone einer einzigen Zypresse verstellt. Einen günstigeren Aussichtspunkt für das Geschehen auf dem Wasser und den gegenüberliegenden Marinewerften hätte Paolo de Teresta schwerlich finden können.

„Erzähl, Sokrates, wie gehen deine Geschäfte?“

Der Skipper schnaubte erbost. „Hoffentlich besser, wenn die ‚Glückslaus‘ einmal das Zeitliche gesegnet haben wird! Dieses glückliche Ereignis scheint ja unmittelbar bevorzustehen!“

„Oh, darauf würde ich nicht bauen. Schon seit Jahren gibt es immer wieder Gerüchte über sein baldiges Ableben.“

„Sehr tröstlich! Und was ist mit dem Sultan? Auch über ihn sagt man, dass er es vermutlich nicht mehr lange macht.“

Paolo deutete auf die Werften. „Die gewaltige Flotte, die dort gerade entsteht, wird auf ausdrücklichen Befehl des ‚Gesetzgebenden‘ gebaut. Gerüchte, Kaptan, Gerüchte sind viele im Umlauf.“

„Nico hat mir gesagt, die Werften kauften derzeit Kupfer zu Höchstpreisen an. Das kann ja nur bedeuten, dass sie einen immensen Bedarf an rostfreien Nägeln und Klammern haben. Meines Wissens werden die teuren kupfernen Nägel nur bei Galeeren und Kriegsschiffen verwendet.“

„Das, Kaptan, ist wohl wahr.“

Der Junge brachte den Kaffee und stellte die Tassen mit einer Verbeugung vor Polo und seinem Gast ab. Der Portugiese sprach erst weiter, als der Knabe sich wieder ins Innere des Geschäfts zurückgezogen hatte.

„Also: Es heißt, Süleyman will im nächsten oder übernächsten Jahr gegen Malta segeln. Die Ritter auf den Inseln dort sind ihm schon lange ein Dorn im Auge. Ohne Malta zu erobern kann die Pforte nicht nach Sizilien greifen. Wie gesagt, Sokrates, mit dem ‚Gesetzgebenden‘ und Rüstem Pascha sollte man schon noch eine Weile rechnen. Aber nun berichte du! Wie verlief deine Fahrt?“

So war es immer, wenn der Skipper Paolo besuchte. Erst musste er Bericht erstatten, dann konnte er Fragen stellen. Da der Portugiese gelegentlich ebenfalls ein Kunde für Zypern-Wein war, fügte sich der Kapitän dem Ritual ohne großes Sträuben. Als er seinen Bericht beendet hatte, faltete der Seiler die Hände und schaute nachdenklich auf das gegenüberliegende Ufer und das geschäftige Treiben in den Werften, wo gerade eine Galeere vom Stapel gelassen wurde.

Kaptan Sokrates legte die Stirn in Falten und sagte ohne Umschweife: „Weißt du, wen der hinkende rhodische Halsabschneider mit meinem Wein beliefert?“

Paolo grinste. „Das ist nun wirklich kein Geheimnis. Er versorgt damit unseren zukünftigen Padischah, den Schehzade Selim in Konya, und dessen Zechgenossen. Und natürlich auch diverse Paschas hier in Istanbul.“

„Wie!? Dass Nico den Großwesir und die weißen Palasteunuchen beliefert, das habe ich gewusst. Aber er schafft den Wein auch zum Prinzen Selim nach Konya? In Kappadokia soll es doch auch gute Weinberge geben. Und der Weg dorthin ist viel kürzer als der zur Hauptstadt, habe ich mir sagen lassen. Weshalb denn bloß dieser enorme Aufwand?“

Der Portugiese schüttelte ungläubig den Kopf. „Das weißt du nicht, Sokrates? Jeder auf der Straße könnte dir darüber ohne groß nachzudenken Auskunft geben! Prinz Selim ist geradezu verliebt in Zypern-Wein. Sein persischer Bogenmeister kommt zweimal im Jahr nach Istanbul zu Nico, um den Nachschub in die Provinz zu organisieren.“

„Bin ich womöglich sogar der einzige Lieferant?“

„Bewahre! Du solltest doch deinen hinkenden Rhodier kennen, Kaptan! Nico geht da schon auf Nummer sicher. Ich weiß mindestens noch von drei anderen Kapitänen, die ihn mit Schmuggelwein beliefern.“

Kaptan Sokrates pfiff leise durch die Zähne. „Könntest du gegebenenfalls herausfinden, wie viel Nico ihnen pro Fässchen zahlt?“

Aber der Portugiese zuckte nur entschuldigend mit den Achseln. „Sie würden mir eh nicht die Wahrheit sagen, Sokrates.“

Paolos Auskunft erfreute den Skipper: Nico, der alte Gauner, belieferte den Kronprinzen! Deshalb hatte er nur symbolisch gegen die Androhung einer Preiserhöhung protestiert! Kein Wunder, der designierte Thronfolger war als großzügig bekannt.

Kaptan Sokrates rieb sich verstohlen die Hände. Wenn der Rhodier an den Schehzade Selim weiterverkaufte, dann schmerzten ihn auch acht oder neun Goldstücke für eine Ladung Zypern-Wein nicht!

„Du scheinst guter Dinge zu sein, Sokrates!“

„Ich will es nicht verhehlen.“ Er grinste den Seiler an. „Schließlich bin ich ja quasi zum Hoflieferanten aufgestiegen.“

„Deine lukrative Tätigkeit mag nicht lange währen. Es ist nicht zum Besten um die Eintracht zwischen dem Schehzade Selim und seinem jüngeren Bruder Beyazit bestellt.“

„Du musst dich schon deutlicher ausdrücken, Paolo.“

„Verzeih, ich vergaß, dass du ja eben erst nach Istanbul gekommen bist. Also: Prinz Selim ist von niemandem so recht gelitten.“ Er lachte. „Außer natürlich von den Weinhändlern! Aber die Janitscharen, Kaptan, die verehren Prinz Beyazit. Er ist ein kriegerischer junger Anführer ganz nach ihrem Geschmack. Und die Mullahs sind selbstverständlich auch gegen einen Thronanwärter, der im Volksmund nur ‚der Betrunkene‘ heißt. Sultan Süleyman und Rüstem Pascha scheinen allerdings dennoch zu Prinz Selim zu halten. – Noch!“

„Na, das ist doch wohl das Wichtigste“, sagte der Skipper.

Der Portugiese verdrehte die Augen. „Süleyman hat schon oft anders gehandelt, als man es vermutet hatte. Aber eines zeichnet sich ab: Prinz Beyazit wird um den Thron kämpfen. Es gibt viele Unzufriedene mit dem ‚Gesetzgebenden‘ im Reich, auf deren Unterstützung er bauen kann. Du wirst dich an meine Worte noch erinnern, Sokrates!“

Der Kapitän nickte bedächtig. „Mag sein, mein Freund! Aber von heute auf morgen wird sich dieser Bruderzwist ja wohl nicht gleich zu einem Krieg ausweiten, der das ganze Reich erfasst.“ Und die Gedanken des Skippers kehrten zu den weitaus angenehmeren Kalkulationen zurück, wie viele Goldstücke er dem hinkenden Rhodier tatsächlich für die nächste Ladung Zypern-Wein abnehmen konnte.

Die Sklaven des Sultans

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