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4. Kapitel – Prinz Selims Monolog in Kütahya

Nach der Schlacht von Konya wies der „Gesetzgebende“ Prinz Selim die Statthalterschaft von Kütahya zu, denn Kütahya lag näher an der Hauptstadt. Rüstem Pascha verstarb bald darauf an Wassersucht und Sokollu Mehmet Pascha, der Besieger Beyazits, wurde mit dem Amt des Großwesirs betraut und erhielt so das Recht, vier Rossschweife als Ehrenzeichen zu führen. Im Januar des Jahres 1562 nach christlicher Zeitrechnung zog der Schehzade mit seinem gesamten Hofstaat um. Ende Juni des gleichen Jahres traf ein berittener Bote in der prinzlichen Residenz von Kütahya ein.

Lala Mustafa Pascha, der Großherrliche Prinzenerzieher, kreuzte die Arme vor dem Leib, als wäre der „Schatten Gottes auf Erden“ selbst gegenwärtig, und verbeugte sich tief. Dann erst drückte er das Schreiben mit der Tugra von Sultan Süleyman, das der Bote aus Istanbul ihm soeben ausgehändigt hatte, an seine Stirn, räusperte sich vernehmlich und steckte den Kopf durch die Türöffnung zum Privatgemach des Schehzade.

„Hoheit?“

„Komm ruhig näher, Lala. – Was gibt es?“ Prinz Selim saß mit übereinandergeschlagenen Beinen an einem niedrigen Pult vor einem Stoß rechteckig geschnittener Papiere und beschwerte die dicken, weißen Blätter mit Gewichten aus Silber, die die Form von Schildkröten und Tintenfischen hatten. Er winkte Mustafa Pascha heran und griff zu einem halbvollen Weinkelch aus geschliffenem Kristallglas.

Der Kelch war ein Geschenk des venezianischen Gesandten. Haseki Nûrbanu, Selims Erste Frau, war ursprünglich das Präsent eines nordafrikanischen Korsaren an Süleyman. Das Mädchen, eine der Töchter des Gouverneurs von Zypern, war auf einer Kaperfahrt erbeutet worden. Der venezianische Gesandte schickte regelmäßig Kostbarkeiten in die prinzliche Residenz, denn er war ein guter Kenner der Gepflogenheiten des osmanischen Hofes. Als Roxelane, die Russin und einzige Frau des „Gesetzgebenden“, noch gelebt hatte, wurde sie nur „die Hexe“ genannt, weil sie stets ihren Willen durchsetzen konnte. Der Schehzade Selim, so dachte der Gesandte, war wohl kaum willensstärker als sein Vater: Nûrbanus Herkunft konnte irgendwann einmal von Nutzen für Venedig sein – zumal Nûrbanu überdies dem Prinzen den ältesten Sohn geboren hatte.

„Hoheit haben gedichtet?“

„Nur eine flüchtige Eingebung, die ich zu Papier bringen musste. Möchtest du hören, was ich geschrieben habe, Lala?“ Er schnippte mit den Fingern und deutete auf den Pascha. Der Mundschenk brachte dem Erzieher ein Glas, stellte es vor ihm auf ein Tablett mit silberbeschlagenen Beinen und schenkte seinem Herrn randvoll nach.

Lala Mustafa verneigte sich, hielt die Arme weiterhin vor dem Leib gekreuzt und machte keinerlei Anstalten, sich zu seinem Herrn zu setzen. „Zu gütig, Hoheit. – Wenn Ihr mir die Ehre widerfahren lasst …“

Der Prinz schaute hoch. „Was ist los mit dir, Lala? Du bist doch sonst nicht so förmlich. Ist etwas Außerordentliches geschehen? – Rede!“

„Sehr wohl, Hoheit. Soeben traf ein Bote aus der Hauptstadt ein.“ Lala Mustafa reichte dem Prinzen den Brief des „Gesetzgebenden“.

Der Schehzade runzelte die Stirn, als er die mit goldener Tinte vom Hofkalligraphen gezeichnete Großherrliche Tugra sah. Der kunstvolle Schriftzug von Süleymans Namen beanspruchte mehr Platz auf dem Papier als die eigentliche Nachricht. Die Botschaften, die „Gottes Schatten auf Erden“ an seinen Sohn und designierten Nachfolger schickte, waren stets knapp und nur selten erfreulich.

Der Schehzade trat ans Fenster zum Residenzgarten. Ein Sonnenstrahl brachte die goldenen Lettern der Tugra zum Glänzen. Prinz Selim lehnte sich an den Fenstersims und las.

Als er den Brief mit einer achtlosen Bewegung aus der Hand legte, schüttelte er langsam den Kopf. Plötzlich begann er zu lachen. Erst verhalten, dann ungehemmt, bis das Lachen in einen Hustenanfall überging. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus den Augen und rang nach Luft.

Mustafa Pascha verharrte reglos, bis der Schehzade wieder normal atmete.

Prinz Selim ließ sich neben das Schreibpult auf die dicken Teppiche fallen und begann erneut zu lachen. „Komm, setz dich endlich zu mir, Lala!“

Der Großherrliche Prinzenerzieher verneigte sich und streifte die Pantoffeln ab. „So Ihr gestattet, Hoheit.“

Prinz Selim zupfte seinen Lehrer am Ärmel. „Du kennst den Inhalt des Schreibens?“

„Ja, Hoheit.“

„Und, was sagst du dazu?“

„Nun, was Euer Vater – Allah halte seinen schützenden Arm über ihn – Euch mitteilt, hat mich nicht sonderlich überrascht.“

Der Schehzade tätschelte Mustafa Paschas Hand. „Mein guter Lala! Mein unerschütterlicher Fels in der Brandung der Zweifel! – Wie hast du es nur geschafft, alles so vorauszusehen, wie es der Allmächtige in seiner unergründlichen Weisheit schließlich geschehen ließ?“

Der Pascha senkte bescheiden den Blick und murmelte etwas von „unverdienter Gnade“ und verschmähte jetzt auch den Wein nicht, den ihm der Prinz eigenhändig kredenzte.

„Von allen Vertrauten warst immer du es, der nie daran zweifelte, dass ich einmal der einzige Anwärter auf den Thron der Osmanen sein würde, so mein Vater – Gott schenke ihm noch ein langes Leben – einmal nicht mehr ist.“ Der Prinz trank dem Pascha zu. „Lala! Mein ältester Bruder, Mustafa, sein erklärter Liebling, verspielte bereits vor vielen Jahren rätselhafterweise das sichere Erbe, indem er sich bereits schon Sultan nannte, während unser Großherrlicher Erzeuger noch straffer als heute die Zügel des Reiches in den Händen hielt. – Warum? Er war doch so klug, dieser Mustafa. Sagten das nicht alle von ihm? Und nun trat auch noch Beyazit fehl, Beyazit, dem mein Vater schon als Kind immer nur – im Gegensatz zu mir – mit Zuneigung begegnete! Er hätte sich nur in Geduld fassen müssen, mein kleiner ehrgeiziger Bruder, bis einer meiner erklärten Feinde mich irgendwann aus dem Weg geräumt hätte, oder mein Vater selbst meiner doch schließlich überdrüssig geworden wäre. Aber nein! Beyazit – auch seine Klugheit wurde allerorts gerühmt, obgleich das einzige Gedicht, das ich von ihm kenne, unsäglich schlecht ist – Beyazit, der stolze Krieger, verfällt in den gleichen Machtwahn wie dereinst Mustafa und verstößt gegen die ehernen Gesetze des Hauses Osman, denen mein Vater wie der Geringste seiner Sklaven gehorchen muss! Warum, Lala, warum, sag es mir, lässt die Gier nach Macht auch die sogenannten klugen Menschen blind und obendrein überheblich werden?“

„Ich weiß auch nicht genau, weshalb es gekommen ist, wie es kam, Hoheit. Aber Gottes Wege sind bisweilen sehr verschlungen. Euer Bruder, ich weiß es schließlich besser als jeder andere, war hochfahrend und herrschsüchtig – schon als Knabe.“ Mustafa Pascha nippte am Wein. „Prinz Beyazit hat die gerechte Strafe für seinen Frevel ereilt. Er und seine Nachkommen werden Euch jedenfalls nicht mehr den Thron streitig machen. Sie alle sind durch die Seidenschnüre der Großherrlichen Henker unwiderruflich ausgelöscht worden. Es gibt kein Hindernis mehr zwischen Euch, Hoheit, und dem Thron der Osmanen!“

Der Schehzade Selim schlug sich belustigt auf die Schenkel. „Man könnte es wirklich für die Fügung des Allerhöchsten halten, Lala. Erinnere dich nur! Was haben Mustafa und Beyazit nicht alles angestellt, um würdige Herrscher zu werden. Sie haben sich bei den Janitscharen eingeschmeichelt, sie haben die Mullahs umgarnt und waren jahrelang der Stolz ihres Vaters, bis erst der eine und dann der andere vom Größenwahn gepackt wurde.“

„So ist es Hoheit.“

Prinz Selim leerte sein Glas und hielt es dem Mundschenk entgegen. „Und ich, Lala? Wie habe ich um die Macht gebuhlt?“

Mustafa Pascha wusste, dass der Schehzade keine Antwort von ihm verlangte und schwieg, so wie er immer schwieg, wenn die Weinseligkeit von seinem Herrn Besitz ergriffen hatte. Lala Mustafa streckte sich dem Schehzade gegenüber auf den weichen Teppichen aus und lauschte geduldig dem Monolog Selims, wie er dem Murmeln eines Baches zuhören würde.

„Gedichte geschrieben habe ich, Lala. Hunderte! Gedichte über den Schmerz und die Vergänglichkeit, Gedichte über Freundschaft und Liebe.“ Der Prinz erhob sich erneut und begann, mit dem Weinkelch in der Hand im Raum umherzuwandeln.

Der Großherrliche Prinzenerzieher blieb liegen. Das war eine Vertraulichkeit, die er sich bei Mustafa und Beyazit, deren Lehrer er früher auch gewesen war, nie hätte erlauben dürfen. Sich nicht zu erheben hätte ihm vermutlich bei Selims Brüdern den Kopf gekostet, denn Beyazit und Mustafa waren aufbrausend und herablassend gewesen. Der Schehzade Selim indes blieb, selbst wenn er betrunken war, freundlich und beherrscht. Sicher, er hatte seine Eigenarten, aber blutrünstig wie seine Brüder war er gewisslich nicht.

Lala Mustafa murmelte von Zeit zu Zeit geduldig: „So ist es, Hoheit“, während er gegen den Schlaf ankämpfte.

Ein viertes Glas Wein wurde ihm vom Schehzade gereicht. „Ich danke dir, mein guter Lala, dass du bei allem immer zu mir gehalten hast. Wenn ich erst einmal den Thron der Osmanen bestiegen habe, werde ich mich erkenntlich zeigen. Das verspreche ich dir!“

Er war gut, der Tropfen, aber er machte den Prinzenerzieher schläfriger und schläfriger. Lala Mustafa war kein erklärter Freund des Rebsaftes, der die Menschen dazu verleitete, mehr zu reden, als sie im Grunde genommen zu sagen hatten. Der Pascha bevorzugte das beruhigende Opium, das die Seele wattegleich in die Träume entführte, jedoch dem Prinzen Selim einen Trunk auszuschlagen war eine der wenigen Gelegenheiten, die ihn zu einem Wutanfall reizen konnten. Also trank Lala Mustafa und hoffte, dass es wie immer enden würde, wenn der Schehzade zu viel zechte.

Der Schehzade begann gerade über die Schönheit des Gesangs einer Nachtigall zu philosophieren.

„Jetzt sollst du auch endlich das Gedicht hören, das ich vorhin verfasst habe, Lala!“

„Welch große Ehre, Hoheit.“

Prinz Selim ließ sich leicht schwankend am Schreibpult nieder und entfernte die silbernen, tierförmigen Papiergewichte von dem rechteckigen Blätterstoß. Ein Page eilte mit Kissen herbei. Der Schehzade strich zärtlich über das oberste Blatt und sagte mit tränenerstickter aber immer noch erstaunlich klarer Stimme, trotz seines angeborenen Lispelns: „Willst du es wirklich hören, mein guter Lala?“

Der Großherrliche Prinzenerzieher vernahm die belegte Stimme seines Herrn und wusste, dass der Prinz bald ermattet von den unzähligen randvoll gefüllten Weinkelchen in den Schlaf hinübergleiten würde.

„Aber ja doch, mein Gebieter. Eure Poesie ist Balsam für die Zuhörenden.“

Der Schehzade lächelte. „So denn!“

Und mit einem Mal schien alle Trunkenheit von dem Prinzen zu weichen. Sogar sein Lispeln störte nicht mehr, denn das Bild, das der Schehzade mit dem Gedicht erweckte, war klar und stark und ließ auch den müden Pascha plötzlich aufmerksam zuhören.

„Wir sind der Rosengarten,

nach dem die Nachtigall sich verzehrt.

Der sanfte Ostwind darin

wird zum Lied der Sterne.“

Kaum hatte der Prinz zu Ende gelesen, bettete er, das Blatt noch in der Rechten haltend, den Kopf auf die weichen Seidenkissen.

„Und jetzt lass meinen Bogenmeister und den Schwertträger rufen, Lala! Ich möchte, dass sie mit uns weiter pokulieren!“

Mustafa Pascha nickte, rührte sich aber ansonsten nicht. Wenig später war Prinz Selim eingeschlafen. Lala Mustafa bedeutete den Pagen mit einer Geste, ihren Herrn mit dem leichten Angoraüberwurf zu bedecken, der gefaltet neben dem Schreibpult lag. Er verließ das prinzliche Privatgemach und nickte den beiden Leibwächtern zu, die mit entblößtem Krummsäbel, dem Yagatan, vor der Tür Wache hielten. Die Soldaten verneigten sich vor dem Pascha. Sie würden, bis der Schehzade Selim wieder aufwachte, außer den persönlichen Pagen niemanden passieren lassen.

Mit dem Großherrlichen Boten aus Istanbul war auch Hussein, der persische Bogenmeister, wieder in der Residenz eingetroffen. Mit ihm war ein hinkender rhodischer Weinhändler gereist, der den Schehzade bereits in Konya mit seinem Lieblingswein versorgt hatte. Lala Mustafa war zwar müde, den neuesten Hauptstadtklatsch wollte er sich dennoch erst anhören, bevor auch er sich zur Ruhe begab.

Die Sklaven des Sultans

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