Читать книгу Die Sklaven des Sultans - Jürgen Ebertowski - Страница 17
Оглавление7. Kapitel – Die Belagerung durch die Haydutlar
Bereits seit den Morgenstunden war der Himmel wolkenverhangen, ohne dass es regnete. Ein Jäger meldete das Nahen der Räuberbande am späten Nachmittag. Zufällig hatte er beobachten können, wie die Briganten sich in einer Senke neben dem Konya-Weg sammelten. Hassan ließ daraufhin das Vieh von den umliegenden Weiden in den Hof treiben und die Mauern und Schießscharten besetzten.
Das Gut war ein rechteckiger, nach außen hin fensterloser Gebäudekomplex mit einem Tor zur Seeseite hin. Dieses Hofportal war aus dicken Eichenholzbalken gefügt. Dort, wo die Häuser nicht direkt aneinander stießen, war Hassans Herrensitz mit dicken, zinnenbewehrten Mauern verbunden.
Hatten die Haydutlar bei ihrem vorangegangenen Versuch, ins Gut einzudringen, noch versucht, durch eine frontale Reiterattacke die Torwächter auszuschalten, so gingen sie jetzt umsichtiger vor und umstellten die Gebäude erst einmal in sicherem Abstand. Da ein Ausfall der zahlenmäßig weitaus unterlegeneren Verteidiger – Hassan besaß zwanzig waffenfähige Streiter des Schehzade – nur aus dem Hofportal zu befürchten war, konzentrierten die Briganten den Hauptteil ihrer Leute dem Tor gegenüber und verteilten die übrigen Belagerer in regelmäßigem Abstand rund um die Anlage. Als die Abenddämmerung nahte, begannen sie die Weidenkörbe mit Sand und Kies zu füllen, und ein Trupp der Belagerer schob mehrere hochbordige Eselskarren neben die Arbeiter.
Die Ostmauer des Guts verlief dicht am Seeufer, wo auch die Fischerkähne vertäut waren. Die Briganten lagen – ebenfalls in sicherem Abstand – mit zwei wohlbemannten Booten dort auf der Lauer, falls es die Verteidiger wagen sollten, auf dem Wasserweg Verstärkung herbeizuholen.
Hassan blickte grimmig auf die schaufelnden Banditen. „Sie werden sich im Schutz der Körbe Stück für Stück vorarbeiten. Um sie wirksam zu stoppen, müssten wir ein Geschütz besitzen.“
Von Hassans Leuten waren nur drei mit einer Hakenbüchse bewaffnet. Die Haydutlar hoben die gefüllten Körbe auf die Eselskarren.
Der Gutsherr winkte die Musketiere zu sich heran. „Wenn die Karren in Schussweite sind, konzentriert euch ausschließlich auf sie. Dschengis?“
„Ja, Herr?“
„Du kannst doch schwimmen.“
„Ja, Herr.“
„Traust du dir zu, bei Dunkelheit unbemerkt an den Booten vorbeizukommen?“
„Schon, Herr, aber…“
„Sprich!“
„Es wäre gut, wenn man sie währenddessen irgendwie weglocken könnte. Es sieht zwar so aus, als würde der Himmel bedeckt bleiben, aber wir haben fast Vollmond.“
Hassan überlegte einen Moment, dann sagte er: „Wir werden einen unserer Kähne auf sie zutreiben lassen. Nachts weht der Wind meist ablandig. Bis sie bemerkt haben, dass unser Boot unbemannt ist, müsstest du es allerdings geschafft haben.“
Dschengis nickte. „Das erscheint mir gut machbar, zumal ich den Hauptteil der Strecke tauchen werde.“
Der Gutsherr nickte zufrieden. „Lauf dann zum Derwischkloster! Der ehrwürdige Scheich soll umgehend alle Nachbarn mobilisieren.“
Immer näher wurden die Karren mit den Weidenkörben in der Abenddämmerung herangeschoben. Kurz bevor sie in Reichweite der Verteidigermusketen gelangten, hielten sie an.
„Sie warten natürlich mit dem Vorrücken, bis es richtig dunkel ist“, knurrte Hassan und gab Anweisung, rings um den Gutshof langsam brennende Holzstapel aufzuschichten, damit sich niemand ungesehen anschleichen konnte. Als die Sonne ihre letzten Strahlen über den See schickte, wurde das Holz in Brand gesetzt.
Dschengis wartete ab, bis es völlig dunkel war, dann rieb er den ganzen Körper dick mit Öl ein und verstaute Jacke und Hose in einem wasserdichten Lederschlauch, den er sich quer über die Schulter band. Seine einzige Bewaffnung war ein langer Dolch, dessen Scheide an den Leibriemen geknüpft war, der das Schamtuch festhielt.
Die Angreifer arbeiteten sich im Schutz der Eselskarren bis zu den Feuern vor. Bald brannten nur noch die unmittelbar vor den Mauern aufgeschichteten Holzstöße. Das Näherrücken der Briganten war trotz der drei Musketiere und der guten Bogenschützen unter den Verteidigern nicht aufzuhalten, denn die mit Erdreich gefüllten Körbe erwiesen sich als idealer Kugelfang.
Hassan lauschte in die Nacht. „Sie werden bald versuchen, Sturmleitern anzusetzen. Geh jetzt, Dschengis! Das Boot ist vorbereitet. Und möge Allah seine schützende Hand über dich halten!“
Dschengis schlüpfte durch eine schmale Pforte neben dem Haupttor auf den Uferstreifen vor dem Gutshof. Ali und zwei weitere Männer schoben einen Fischerkahn ins Wasser. An einem behelfsmäßigen Mastbaum bauschte sich ein helles Segel. Der Gutsherr hatte mit seiner Voraussage Recht gehabt, dass nach Einbruch der Dunkelheit ein ablandiger Wind einsetzen und den Kahn geradewegs auf die beiden Blockadeboote zutreiben würde. Es blieb nur zu hoffen, dass der Segler die Briganten lange genug beschäftigte. Um den Kahn bedrohlicher erscheinen zu lassen, hatte man ihn mit vier stoffumwickelten Strohpuppen bemannt. Die Puppen wurden mit langen Stangen versehen, damit sie aus der Ferne wie mit Lanzen bewaffnete Kämpfer wirkten.
Hin und wieder durchbrach das Mondlicht die Wolkendecke für einen Augenblick, dann sah Dschengis die Silhouetten der Belagererschiffe. Deren Besatzungen hatten offenbar den Kahn mit den Strohpuppen gesichtet, denn beide Schiffe steuerten auf den hellen Fleck des Segels zu.
Dschengis ließ sich ins Wasser gleiten. Als erfahrener Schwimmer und Taucher blieb er ohne Luft zu schöpfen eine weite Strecke unter Wasser. Er schwamm dann in Rückenlage an die Oberfläche, so dass nur das Gesicht aus dem Wasser ragte, und tauchte nach zwei, drei tiefen Atemzügen sogleich erneut unter. Fünfmal wiederholte Dschengis dieses Tauchmanöver, bis er es wagte, ganz normal zu schwimmen. Da sah er, dass die Blockadeschiffe sich anschickten, das Segelboot aufzubringen: Das Ablenkungsmanöver war also geglückt!
Dschengis schwamm noch eine Weile parallel zum Ufer nach Süden, um dann durch den Schilfgürtel, der fast den gesamten See einfasste, an Land zu waten.
Die Wolkendecke riss auf. Der Wind bog das übermannshohe Riedgras in gleichförmigen Wellen seewärts. Die sich aneinander reibenden Stängel verursachten ein Geräusch, das dem verhaltenen Knistern eines Reisigfeuers ähnelte. Die Schneise, die Dschengis im Röhricht hinterlassen hatte, glänzte im Mondlicht wie ein zerbrochener Spiegel.
‚Wenn ich erst jetzt losgeschwommen wäre, hätten sie mich bestimmt entdeckt!‘ Dschengis wrang das Lendentuch aus und erbrach die Wachsversiegelung des Lederschlauchs. Die Abdichtung hatte das Tauchen unbeschädigt überstanden. Er zog Jacke und Hose an, dann steckte er den Dolch in den Gürtel.
Durch die lanzettförmigen Schilfblätter leuchtete hier und da ein Streifen heller Sandstrand. Der junge Mann war bestens mit diesem Teil des Ufers vertraut, denn es war Hassans bevorzugtes Jagdgebiet. Er wusste, dass er jetzt besonders vorsichtig sein musste: Der Sandstreifen, der sich durch die Blätter zeigte, war eine der wenigen Uferstellen, an denen man bequem Pferde tränken konnte. Das wussten auch mit Sicherheit die Briganten.
Und richtig! Als der Wind für einen Moment aussetzte, hörte Dschengis eine menschliche Stimme. Sie kam vom Seeufer. Dann schnaubte ein Pferd. Verdeckt durch die Schilfwand pirschte sich Dschengis an.
Ein Bewaffneter stand inmitten der Sandfläche und redete begütigend auf ein ungesatteltes Pferd ein, während er es voller Hingabe striegelte. Zwischendurch warf der Mann einen Blick auf den See. Plötzlich näherte sich ein Schiff. Dschengis erkannte eines der Belagerungsboote. Es wurde bis dicht an die Uferlinie gerudert.
„Was gibt es?“, rief der Bewaffnete und führte sein Pferd näher ans Wasser.
„Sie planen etwas. Ist dir hier Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Nein. War bei euch was?“
„Ja. Reite zum Kumandan und sag ihm, sie haben gerade ein unbemanntes Boot auf uns zutreiben lassen. Da steckt doch sicher irgendeine Teufelei dahinter!“
„Hier jedenfalls war alles ruhig“, sagte der Reiter.
Das Boot wendete und steuerte auf die Seemitte zu. Der Reiter hatte es nicht besonders eilig. Sorgfältig sattelte er sein Reittier.
‚Das Pferd!‘, dachte Dschengis. ‚Wenn ich ihm das Pferd…!‘
Er erinnerte sich an den Pfad, der sich durch das Röhricht zum Sandstrand wand. Er verlief nicht gradlinig zur Küstenstraße, sondern beschrieb einen weiten Bogen. An einer Stelle führte er dicht an einer Felswand vorbei.
Der Wind setzte wieder ein. Er übertönte bei weitem die Geräusche, die Dschengis verursachte, als er sich durch den Schilfgürtel pirschte. Mit etwas Glück würde er vor dem Briganten bei den Klippen sein.
Der Pfad zwischen der Wand und der Wasserlinie war mit Geröll bedeckt und bot gerade Platz für einen Reiter. Dschengis suchte zwei faustgroße Steinbrocken und kletterte mit ihnen auf einen säulenförmigen Felsen, wo er sich niederkauerte. Der Kopf des Reiters würde in Reichweite sein.
Dschengis hörte das Pferd des Briganten auf dem Pfad, bevor er es sah. Ein Stein traf die Schläfe des Mannes, der andere dessen Rücken. Das scheuende Pferd warf seinen Reiter ab und galoppierte davon.
Dschengis kletterte vom Felsen. Der Brigant lag bäuchlings auf dem Schotterpfad und rührte sich nicht. Dschengis nahm ihm das Messer und den Säbel ab und rannte dem Pferd hinterher. Es stand auf der Küstenstraße, zupfte an den jungen Trieben der Wegrandsträucher und ließ sich ohne Anstrengung einfangen.
Zwei Stunden später schickten die Derwische berittene Boten in alle Himmelsrichtungen los, und bereits am nächsten Morgen vertrieb die vereinigte Streitmacht von Hassans Nachbarn die Räuberbande endgültig vom Beyschehir-See.
Der Entsatz war gerade noch rechtzeitig eingetroffen, denn der Kampf um das Gut hatte schon auf den Hofmauern getobt.
Unter den Verteidigern und den Nachbarn gab es viele Verwundete, aber nur ein paar Tote waren zu beklagen gewesen. Dafür war reiche Beute an Reittieren und Waffen gemacht worden, denn die Räuber hatten an die zwanzig Mann eingebüßt.