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4. Kapitel – Nach Istanbul

Es war die längste Zeit, die die Fischerjungen Jannis und Kosta jemals auf See verbracht hatten. Am Tag nach ihrer Gefangennahme überholte die Galeere eine tiefgehende Kaik, dann sahen sie nur hin und wieder in der Ferne ein winziges Fischerboot.

Der Kurs verlief mehr oder minder nach Norden. Nie steuerte das schnelle Kriegsschiff einen Hafen an, nie wurde in einer der weiten Buchten der Festlandküste, die sich im Osten zeigten, vor Anker gegangen, um zum Beispiel Frischwasser zu ergänzen. Die Galeere schien über schier unerschöpfliche Vorräte an Lebensmitteln und Trinkwasser zu verfügen, denn das Essen, das an die Devschirme-Knaben ausgeteilt wurde, war von stets gleich guter Qualität, und das Wasser schmeckte süß, als würde es aus einem klaren Quell geschöpft.

Was die Leidensgefährten Jannis und Kosta zuraunten, wenn sich zufällig einmal kein Wächter in Hörweite aufhielt – miteinander zu sprechen wurde unerbittlich mit Prügelstrafe geahndet – all diese Geschichten, die ihnen zugeflüstert wurden, waren kaum dazu angetan, sie heiter zu stimmen. Grundlos wurden die Jungen nicht geschlagen, dennoch waren etliche von ihnen der Verzweiflung nahe, denn sie sehnten sich nach zu Hause und vermissten ihre Familien. Keiner der Knaben wusste wirklich genau, was man mit ihnen vorhatte. Besonders die jüngeren Kinder weinten oft hemmungslos und so lange, dass nur die völlige Erschöpfung sie erst wieder zu beruhigen vermochte, wenn sie in den Schlaf fielen.

Jannis und Kosta bissen die Zähne zusammen und schworen, dennoch bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu fliehen, mochte man sie, falls man sie dann ergriff, auch auspeitschen oder sogar töten.

Manches, was die Zwillinge erfuhren, widersprach sich. Ein Mitgefangener behauptete zum Beispiel, dass man sie alle zu Ruderknechten machen würde, aber das glaubten sie ihm nicht. Die Ruderer unter ihnen an den langen Riemen, deren Schmerzensschreie gelegentlich bis an Deck zu vernehmen waren, wenn die Aufseher sie züchtigten, wurden bestimmt nicht gut gespeist. Und sie trugen sicherlich auch keine Hosen und Jacken aus weichem Tuch dort unten, wo der Gestank der Exkremente unerträglich sein musste, da schon die üble Luft, die sich bei offenen Luken über das Deck verströmte, nur schwer zu ertragen war. Plausibler klang, was der Junge hinter ihnen erzählte: Militärsklaven des Sultans waren sie jetzt und sein Eigentum, über das er nach Gutdünken verfügen konnte.

Aber was das exakt bedeutete, „Kul“, Militärsklave, zu sein, und was das für ihr zukünftiges Schicksal bedeutete, diese Fragen konnte er seinen Mitgefangenen nicht beantworten. Ein anderer Junge wusste zu sagen, dass die dicken Männer mit den wächsernen Gesichtern Eunuchen, Verschnittene, waren. Daraufhin ging bei allen die Angst um, dass man sie vielleicht auch verschneiden könnte.

Nach einigen Tagen begegneten ihnen mehrere Schiffe aller Größen, darunter auch etliche Galeeren und hochbordige, wuchtige Lastensegler. Schon lange waren Jannis und Kosta die Gewässer nicht mehr vertraut, die das Kriegsschiff durchpflügte.

Die Galeere mit den Devschirme-Knaben durchfuhr eine Meerenge, an deren Ufern die Zwillinge Dörfer, bebaute Felder, Obsthaine und sogar die hohen Befestigungsmauern und Türme einer Hafenstadt sahen. Am Ufer vor der Stadt gab es Werften, in denen seegängige Schiffe auf Kiel lagen, um die Rümpfe von Muscheln und angewachsenen Algen zu befreien. Auch neue Schiffe wurden dort gebaut. Die Zwillinge zählten zehn fast vollendete Galeeren. Zwischen den Schiffswerkstätten und den Befestigungsmauern befanden sich riesige Holzlager. Jannis und Kosta kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus; Mastbäume wie der ihrer Galeere waren gleich dutzendweise aufgestapelt, und der harzige Geruch von den Hügeln frisch gehobelter Deckplanken drang bis zu ihnen aufs Schiff herüber.

Dann steuerte die Devschirme-Galeere in ein Meer, dessen Namen sogar einer der Knaben kannte, denn sein Vater, ein Kaufmann vom Festland, hatte ihn einmal auf eine Handelsreise durch die lange Wasserstraße mitgenommen. Das Meer hieß Marmarameer. Auch den Namen der befestigten Stadt kannte der Knabe: Gelibolu. Und irgendwo an den Gestaden dieses Meeres lag die Hauptstadt Istanbul, in der Sultan Süleyman, der „Gesetzgebende“, einen prunkvollen Palast bewohnte.

Das Wetter war gut und die See, durch die sie glitten, ruhig. Der Galeere kamen nun regelmäßig Schiffe entgegen, zumeist vor dem leichten Wind aus Nordosten segelnd. Auch überholten sie viele Kaiks, die auf dem gleichen Kurs liefen.

Am dritten Tag, als die Sonne gerade den höchsten Stand erreicht hatte, bemerkte Jannis linkerhand Land, und kurz darauf entdeckte Kosta zu ihrer Rechten einige kleinere Inseln. Plötzlich rief ein Matrose im Mastkorb aufgeregt sich ständig wiederholende Worte. Bald sahen auch Jannis und Kosta die Stadt.

Die größte Ansiedlung, mit der sie vertraut waren, war das Dorf Pilos auf der Nachbarinsel Pharnox gewesen und dann vor drei Tagen dieser Hafen, Gelibolu. Istanbul nun mit seinen endlosen hohen Mauern und den in den Himmel ragenden Kuppeln und Türmen erschien den Knaben allein wegen der ungeheuren Ausdehnung unwirklich wie ein Traum oder ein Märchen.

Das Kriegsschiff steuerte auf zinnenbewehrte Mauern zu, die sich, soweit das Auge reichte, scheinbar direkt aus dem Meer erhoben. Eckige Türme, runde Türme, Türme mit Dächern geformt wie eine Speerspitze oder Türme mit Abdeckungen, die die Zwillinge an Schildkrötenpanzer erinnerten, Türme jedweder Form und Größe unterbrachen meerseitig diese gigantische Stadtumwallung. Die Galeere glitt vor eine Mole, an der etliche Kriegsschiffe lagen. Dahinter erhob sich mit dem Stadtwall verbunden ein Kastell. Jannis zählte sieben Türme.

„Wir scheinen hier anzulegen“, flüsterte Kosta und verstummte sogleich. Der bleichgesichtige Dicke mit dem kostbaren Gewand und der sternförmigen Narbe über der rechten Augenbraue näherte sich mit zwei von seinen Schwertträgern. Kostas Fußfesseln wurden gelöst. Ihm wurde befohlen, sich die Beine zu massieren, dann zerrten ihn die Soldaten hoch und führten ihn an die Reling.

Obwohl er den Matrosen mit dem Bambusrohr fürchtete, der durch die Reihen der Gefesselten patrouillierte, rief ihm Jannis nach: „Denk an unseren Schwur, Bruder!“ Der Matrose holte aus. Das Bambusrohr pfiff durch die Luft und traf klatschend auf Jannis’ Rücken.

Das große Beiboot der Galeere war bereits zu Wasser gelassen worden und Seeleute warfen eine Strickleiter über die Reling. Die Schwertträger durchschnitten nun auch Kostas Handfesseln. Mit blanker Klinge zwangen sie ihn, über die Bordwand zu klettern.

„Ja, Bruder, ich gelobe!“ rief Kosta noch, ehe sein Kopf unsanft von den Schwertträgern die Leiter nach unten gedrückt wurde.

‚Maria hilf!‘, betete Jannis. ‚Hilf, dass sie ihn nicht verschneiden!‘

Die Sklaven des Sultans

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