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GLEICHBERECHTIGUNG WENN ZWEI DAS GLEICHE TUN, IST DAS NOCH LANGE NICHT DASSELBE… 2002

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Es hat sich doch einiges geändert in den vergangenen hundert Jahren. Zum Beispiel sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Das steht sogar im Grundgesetz, wobei das Thema Radfahren dort leider nicht explizit erwähnt wird. Auf dem Velo sind Männer deshalb immer noch ein bisschen gleicher als Frauen, was besonders für unseren Sportskameraden Brägel und seine Viola gilt. Brägel hat im Frühjahr beschlossen, seine mittlerweile Angetraute und Mutter seines Sohnes in die Geheimnisse des sportiven Radfahrens einzuführen. Brägel junior ist aus dem Gröbsten raus, also will der Lapp die Mutter des späteren Toursiegers Jan-Miguel ein bisschen auf ihren künftigen Lebensinhalt einstimmen.

Dazu hat er zuerst einmal sein Equipment für knapp 1.500 Euro »upgedated«, wie er das nennt: Einen Satz neue Laufräder, superleichte Pedale, Schuhe und einen Wahnsinnscomputer, der Dinge misst, von denen er nicht mal weiß, was sie bedeuten. Außerdem versucht er, das in TOUR vorgestellte Buch von Richard R. Türck zu bestellen, weil er sich unbedingt Seegurken ans Tretlager schrauben will. Darüber lachen wir im Radclub seit zehn Tagen, aber das ist ein anderes Thema. Brägel ist jedenfalls bereit.

Für Viola hat Brägel auch was passendes gefunden. Ganz hinten im Keller, sein altes Staiger-Zehngang, mit dem er vor gut 30 Jahren in die Schule geradelt ist. Rund 18 Kilo schwer und mit sehr hübschen, antiken Rostblüten im Lack. Das bringt er zwecks Modernisierung zum Händler, der allerdings lapidar zum sofortigen Verschrotten rät. Brägel juckt das aber nicht. Er wühlt ein bisschen in der Altmetall-Sammelkiste seines Händlers und legt dem Mechaniker eine uralte Siebenfach-Schaltung, Riemenpedale, Unterrrohrschalthebel und einen gebrauchten Ledersattel auf die Werkbank. Und ein paar museumsreife Modolo-Bremsen. »Sie soll fahren, nicht bremsen!«, scherzt Brägel. Keiner lacht. Und weil er schon mal da ist, kauft er noch ein neues Telekom-Trikotset und eine smarte Sonnenbrille. Für sich.

Ausfahrt am nächsten Sonntag. Brägel sitzt in Magenta und mit geölten Waden auf seinem 4.000-Euro-Renner und zupft gutgelaunt an der verspiegelten Brille. Der neue Computer ermittelt leise summend Außentemperatur, Blutdruck und anaerobe Schwelle, die Sonne blitzt in den blanken Speichen. Dahinter Frau Viola in Tennisschuhen, Shorts und einem T-Shirt der örtlichen Bausparkasse. »Wir fahren locker, maximal mit Puls 120, runder Tritt, etwa 25 Kilometer. Du fährst vorne, denn wenn ich das mache, muss ich dauernd zurückschauen, ob du mitkommst«, doziert Brägel mit öligem Lächeln. Viola nickt brav und rollt an. Brägel gibt ihr noch gönnerhaft einen Klaps auf den Po und will dann auch losfahren. Leider kommt er nicht richtig ins linke Pedal, sucht erst fluchend den Klick, und dann, als er endlich drin ist, Viola. Die hat sich aber schon hundert Meter abgesetzt. »Weiber«, denkt er. Ein kurzer, geschmeidiger Antritt à là Cipollini, und schon ist er wieder dran.

Viola fährt und freut sich, und Brägel gibt schlaue Anweisungen: »Mehr über das Tretlager setzen, höhere Frequenz, auf den Puls achten, schalten.« Viola antwortet nicht und fährt. Nach zehn Kilometern kommt ein kleiner Hügel. Brägel wird einsilbig. »Wenn du weiter so drückst, geht dir gleich die Luft aus.« Viola sagt nix und drückt. Brägel sagt auch nicht mehr viel – weil er Luft braucht. »Hey, ruhiger, Himmelhergottnochmal, fahr’ einen Gang leichter«, bellt er sie an. Viola sagt nix, schaltet nicht, fährt. Eine Gruppe Hobbyradler saust vorbei und freut sich an dem Anblick: Die Dame auf dem Oldtimer, und dahinter der High-Tech-Macho mit leicht rotem Schädel. »Du brauchst wohl Windschatten, Alter?«, ruft einer. Brägel kocht über. »DU BIST VIEL ZU SCHNELL«, herrscht er nach vorn. Viola sagt nix und fährt.


Nach 20 Kilometern bekommt Brägel echt Probleme. Rührt im Getriebe, tritt mal schneller, mal langsamer, nimmt einen Schluck aus der Trinkflasche. Viola trinkt nicht und fährt. »Du kannst morgen vor Muskelkater nicht mehr laufen«, keucht Brägel, »wir sind hier beim Radfahren und nicht auf der Flucht.« Viola sagt nix. Brägel auch nicht. Dafür beginnt jetzt sein Pulsmesser zu piepsen. Der Kerl verflucht den Tag, als er für seine Flamme das Rad entdeckt hat. »Entweder ich bin krank oder die ist gedopt«, presst er kaum hörbar hervor.

Finale. Die letzten fünf Kilometer, es geht leicht bergauf. Viola sagt nichts und fährt, Brägel verliert den letzten Rest Selbstachtung, macht sich ganz klein, konzentriert sich auf das Hinterrad seiner Holden und würde ihr liebend gern in die Waden schießen oder sie in siedendem Kettenfett braten. Sagen kann er nichts mehr. Den Pulsmesser hat er ausgeschaltet. »Ist das sehr langsam für dich, Schatzi?«, kommt es plötzlich von vorn. Brägels Schädelfarbe wechselt von Rot zu Purpur, was Viola aber nicht sieht. »Geht schon, Mausi«, flötet der Dampfkochtopf hinter ihr mit letzter Kraft.

Ziel. Viola strahlt, wischt sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. »War richtig klasse, Männe, das können wir jeden Sonntag machen.« Brägel sagt nichts mehr. Erst am Abend in der Kneipe. »Ich lass mich scheiden!«, mault er beim ersten Hefeweizen. Aber dann grinst er maliziös und beschließt, einen Kinderanhänger zu kaufen. Für Viola – damit die Mutter-Kind-Bindung während des Trainings nicht leidet.

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