Читать книгу Gekonnt leiden - Jürgen Löhle - Страница 19

ELEKTRO-SCHOCK DER RADCLUB IST GESPALTEN: SIND E-BIKER BETRÜGER ODER NICHT? ENTSCHEIDEN SIE SELBST 2015

Оглавление

Wenn sich das Jahr neigt, sind die Menschen meist in einer ziemlich gnädigen Stimmung. Das Jahr ist geschafft, irgendwie, allüberall leuchtet es weihnachtlich, der Urlaub rückt näher, und das Gemüt wird heiter. Das ist auch die Zeit, Bilanz zu ziehen und dabei selbst bei heiklen Fragen eine innere Gelassenheit zu bewahren. Meistens jedenfalls.

Der Radclub hat sich jedenfalls zunächst in durchaus friedlicher Absicht zum traditionellen Adventsempfang getroffen. Es wurden gleich zu Beginn geistreiche Getränke in respektabler Menge gereicht, dann ergriff Brägel wie jedes Jahr das Wort und gab es quälende 35 Minuten nicht mehr her. In meiner Erinnerung begann seine Rede mit: »Liebe Freunde und Gönner des Radclubs, werte Sportskameraden und Radhändler, liebe Kinder und vierbeinige Hausgenossen und auch noch ein herzliches Grüß Gott an alle Frauen« und endete mit »rufe ich Ihnen zum Ende meiner kurzen Ausführungen – ich bin ja kein Redner, gell – ein entschiedenes Prost zu«. Was dazwischen war, habe ich vergessen, nur dass der alte Hans eingenickt und mit dem Kopf auf die Tischplatte geschlagen ist, das weiß ich noch.

Danach gab es die traditionelle Gans mit ganz viel Rotwein, ehe der Höhepunkt des Jahres anstand, also das feierliche Verkünden der Jahreskilometer. Und dann war Schluss mit lustig. Die Zahlen waren bei manchen absurd hoch, was daran lag, dass einige auch die Tacholeistung ihres E-Bikes dazu zählten – und das auch noch eins zu eins. Und da mittlerweile fast jeder ein E-Bike als Zweit- oder Drittrad zu Hause hat, kam da ganz schön was zusammen. »Betrug«, donnert der alte Hans, »ein E-Bike ist überhaupt kein richtiges Fahrrad, eher so was wie Viagra für wadendünne alte Schwächlinge.« Streng genommen, denke ich, also genau das Richtige für ihn, kann das aber nicht loswerden, weil der Präsident das Wort an sich reißt. Wortreich erklärt er uns, dass er sehr wohl die elektrischen Kilometer addiere, weil er sich auf seinem Mountain-E-Bike im Wald genauso anstrenge wie auf der Straße auf dem Renner. »Nur bin ich dann eben deutlich schneller als früher unterwegs, und das ist geil.«

Danach wogte es ein wenig hin und her. Der alte Hans jaulte gequält, weil ihn einer »einen ewig gestrigen Mini-Macho« nannte. »Wieso Mini«, grantelte er immer wieder. Der Präsi bot sogar seinen Rücktritt an, sollte seine Kilometerzahl nicht offiziell anerkannt werden, zog dann aber zurück, weil ein Rücktritt aus ideologischen Gründen qua Satzung verboten ist. Nur Brägel hielt sich für seine Verhältnisse lange zurück. Schließlich erklärte er, dass er seine elektrischen Kilometer hälftig addiert habe, und ob das kein tragfähiger Kompromiss sei? Doch damit wollte auch keiner etwas anfangen, die Trennlinie ist klar – Männer gegen Memmen, Elektros gegen Realos, Bubis gegen Kerle und so weiter. Die weihnachtlich friedliche Stimmung drohte zu kippen, vereinzelt wurde sogar mit Anschlägen auf die Akkus respektive mit finalem Ventilklau gedroht.


Dann meldete sich Brägel doch noch mal. Sein Vorschlag: Für 2014 werden die elektrischen Kilometer gestrichen, und für 2015 wird eine verlässliche Regel aufgestellt. Die sieht ungefähr so aus, dass sich alle Clubmitglieder ein geeichtes und versiegeltes Gerät zur Leistungsdiagnose kaufen. Dieses Gerät muss dann jeder anlegen, sobald er E-Bike fährt. Wirft das Gerät hinterher eine Durchschnittsbelastung von mehr als 150 Watt aus, darf der E-Kilometer gerechnet werden. Sonst nicht. Mal abgesehen davon, dass keiner weiß, was so ein Gerät kostet – wer soll das Ganze auswerten? Dazu, so Brägel, werde unter seinem Vorsitz ein »Ethikrat für elektrisch sauberen Sport« gegründet, der dann auch Herr der Daten sei.

So weit kommt’s noch – Brägel als Letztinstanz. »Das wäre ja so, als hätten wir eine Frau als Bundeskanzler«, schimpft der alte Hans. Wir erklären ihm, dass Frau Merkel tatsächlich eine Frau ist, lehnen aber auch Brägel als Zählmeister kategorisch ab.

Danach war die Feier atmosphärisch ein wenig gestört. Wie es im neuen Jahr weitergeht mit den E-Kilometern, bleibt also noch ein wenig offen.

Gekonnt leiden

Подняться наверх