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GEKONNT LEIDEN RADSPORTLER SIND ALLES – NUR NICHT GESUND 2018
ОглавлениеWer krank ist, gehört ins Bett oder sollte sich zumindest schonen. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das natürlich anders aus, vor allem im Leistungssport. Und ganz besonders im Radsport, bei dem man als gesunder Mensch ja sozusagen chancenlos ist. Ein Profi-Peloton bei großen Rennen besteht zu sehr großen Teilen aus Asthmatikern, Allergikern und Menschen mit derart grausamen orthopädischen Gebrechen, dass sie tonnenweise entzündungshemmendes Kortison brauchen, um morgens ohne fremde Hilfe aus dem Bett zu kommen. Natürlich ist das kein Doping, sondern eine medizinische Notwendigkeit, schließlich lesen sich die Arztberichte großer Sieger oft wie eine Empfehlung, sich zeitnah um einen Hospizplatz zu bemühen. Brägel hatte deshalb schon mal die Geschäftsidee, in der gesunden Bergluft von Davos ein Seniorenstift für ehemalige Radprofis einzurichten, in dem man den Herren dann hilft, ihre Dosis pünktlich und richtig einzunehmen, wenn sie es nicht mehr selbst können. Oder einen Luftkurort als Dauerstartort der Tour de France zu etablieren. Zum Beispiel an der Nordsee.
Aber Brägel wäre ja nicht Brägel, wenn er das Thema nicht auf seine Art vertiefen würde. Krank Rad zu fahren ist bei ihm ein Dauerzustand, der ihm hilft, seine persönliche Leistungsschwäche so einzuordnen, dass wir anderen beinahe in Tränen ausbrechen – was auch daran liegt, dass der Lapp so geschwollen daherredet. Neulich kommt er leichenblass zur Ausfahrt. »Mich hindert eine infektiöse Rhinitis am Atmen«, jault er. Gut: Dass man bei einem Schnupfen schwer Luft kriegt – geschenkt. Allerdings nur durch die Nase. Da Brägel aber sowieso immer den Unterkiefer bis zur Brust aufklappt, sollte das eigentlich kein Problem sein. Und beim Schlucken von Hefe hell waren auch keine nennenswerten Einschränkungen zu beobachten. Aktuell habe sich übrigens die »Rhinitis acuta zu einer Rhinitis allergica ausgewachsen«, wie er sagt. Heuschnupfen ist in der Tat Mist. »Aber zum Glück mit Kortison gut in den Griff zu kriegen«, sagt Brägel. »Das ist Doping«, ereifert sich der alte Hans. Brägel kontert, das sei medizinisch notwendig. »Außerdem nimmst du gegen deine erektile Dysfunktion Viagra«, nölt Brägel, »und das ist auch im Sattel leistungssteigernd.« Der alte Hans bekommt eine roten Kopf und nuschelt: »Steht aber nicht auf der Dopingliste …« Das ist immerhin korrekt.
Beim nächsten Stammtisch präsentiert Brägel seine ausführliche frühsommerliche Krankheitenliste: Unter der Rubrik »Atemwegserkrankungen« listet Brägel auf: Bronchitis, Laryngitis, Epiglottitis und Sinusitis. Der Präsident will gerade sagen, dass Epiglottitis eigentlich eine Kinderkrankheit ist, da meldet sich Brägel schon. »Alles behandelbar mit Kortison.« Dazu knallt er ein Attest von einem Lungenfacharzt auf den Tisch, von dem wir nur die Datumszeile verstehen. Zudem plage ihn neuerlich eine Stoffwechselerkrankung der Muskeln namens PSSM, gegen die anabole Steroide helfen. »Streng genommen bist du tot«, sagt der Präsi, »aber zumindest zum Radfahren viel zu krank.« Brägel winkt ab, er werde ja gut behandelt. Nach Quellenstudium fragen wir dann aber noch mal nach, wie das so sei mit seiner Polysaccharid Speicher Myopathie (PSSM). Die Krankheit gibt es nämlich nur bei Pferden, und ein Gaul sei er bei aller Liebe nun wirklich nicht. Außerdem würde man PSSM nicht mit Steroiden behandeln. Brägel nuschelt etwas von Verwechslung, hat aber seltsamerweise auch für PSSM ein unleserliches Attest dabei.
Wir haben den Lapp dann ein wenig in die Zange genommen, und er hat uns schließlich gestanden, dass er Pillen und Säfte aus dem Netz und die Krankheiten aus dem Buch »Gekonnt leiden – alles für Hypochonder« entlehnt habe. Die Atteste stammen ebenfalls aus dem Internet. »Aber ich fühle mich wirklich schwach«, jammert er. Das freilich ist nicht neu, aber wir müssen als seriöser Verein natürlich reagieren. Beim nächsten Training bitten wir alle, die aktuell ärztlich verordnete, rezeptpflichtige Pharmazeutika einwerfen, sich zu einer eigenen Gruppe zusammenzufinden. Und schwupp: Bis auf drei stehen alle in der Pharmaabteilung. Damit ist der offensichtliche Beweis erbracht, dass Radler allesamt eher auf Kur als in den Sattel gehören. Und das offenbar nicht nur bei den Profis. Brägel wirft trotzdem noch ein Herzpillchen ein, ruft »Kette rechts«, und tritt an.