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RAUSCHMITTEL DIE PROMILLEGRENZE FÜR RADFAHRER MACHT BRÄGELS RADCLUB ZU SCHAFFEN. ZUMINDEST THEORETISCH 2019
ОглавлениеBrägel gehört zu den Menschen, die gern Statistiken lesen. Warum auch immer. Neulich überraschte er uns am Stammtisch mit Zahlen aus dem Jahr 2013, die die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie verbreitet hat. Ebenfalls warum auch immer. Demnach verunglückten 2013 insgesamt 71.420 Fahrradfahrer im Straßenverkehr. 3.432 von ihnen standen dabei unter Alkoholeinfluss. »Und was soll uns das sagen?«, fragt der Präsident zwischen zwei deftigen Schlucken Hefe hell. »Ganz einfach«, erklärt Brägel, »wer Rad fährt, sollte nicht trinken, und wer trinkt, sollte nicht Rad fahren.« Na, bravo. Mal abgesehen davon, dass man nur der Statistik glauben sollte, die man selbst gefälscht hat, würde das ja sozusagen die Grundfesten unseres ehrbaren Vereins sprengen. Gut, jetzt im Winter trinkt tatsächlich manchmal einer nach dem Training einen heißen Tee. Aber nur als Aperitif. Im Normalfall verlässt kaum einer den Stammtisch nach dem Training unter zwei Hefe hell – und fährt danach natürlich auch mit dem Rad nach Hause. Wie auch sonst.
»Das sollten wir künftig aber sein lassen«, sagt Brägel und regt an, dass wir einen Radanhänger kaufen, jeder sich eine Anhängerkupplung ans Auto baut und wir künftig reihum immer einen bestimmen, der nach dem Trainings-Stammtisch alle anderen samt ihrer Velos nach Hause kutschiert. »Und der darf dann gar nichts trinken?«, fragt der alte Hans. »Doch, aber deutlich weniger«, sagt Brägel, der dann noch erklärt, dass beim Autofahren die Grenze bei 0,5 Promille liege, Radfahrer aber erst ab 1,6 Promille gesetzlich fahruntauglich seien. 1,6 Atü Leitungsdruck – alle Wetter. Sensible Naturen würden das eine oder andere altgediente Mitglied der Trainingsgruppe zwar durchaus als rollenden Trinker würdigen, 1,6 Promille sind aber schon eine gewaltige Ansage. Brägel zitiert aus einer medizinischen Zeitschrift, wonach für diesen Wert bei einem 80 Kilo schweren Mann rund 100 Gramm Alkohol nötig seien, also vier Hefe hell. »Und die hat ja nun hier wirklich keiner nach dem Training«, sagt Brägel und erntet dafür emsiges Kopfnicken. Nur der Präsi schaut etwas verschämt und dreht lieber mal den Bierdeckel mit den Zählstrichen um.
Überhaupt sollte man die Kirche um Dorf lassen. Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren nur zwei Unfälle, wobei einer tatsächlich mit Alkohol zu tun hatte. Ausgerechnet Brägel hat sich einst in eine frisch ausgehobene Baugrube geschmissen, angeblich, weil die nicht beleuchtet war, was aber nicht stimmte.
»Wie fühlt man sich eigentlich mit 1,6 Promille?«, fragt der alte Hans. Brägel zitiert wieder einschlägige Fachliteratur. Demnach nennt man den Bereich zwischen einem und zwei Promille das »Rauschstadium«. Dann zählt er noch ein paar Symptome auf, wie verschlechterte Sehfähigkeit, gesteigerte Enthemmung, Verlust der Kritikfähigkeit, Verwirrtheit, Sprach- und Orientierungsstörungen. »Okay«, sagt der Präsi zu Brägel, »aber wenn das so ist, dann haust du dir ja schon vor dem Training 100 Gramm Alk hinter die Binde.« Brägel wirkt ein wenig indigniert, aber wir erklären ihm, dass er grundsätzlich jedes Hinweisschild auf der Runde übersieht, dass ein einziger hupender Autofahrer ihn komplett enthemmt, dass er seit jeher die Kritikfähigkeit eines Stahlträgers habe und dass er, zumindest gefühlt, in einem Zustand ständiger Verwirrtheit durchs Leben gehe.
Danach entbrennt eine lebhafte Diskussion, ob Brägel sozusagen ganz ohne Alkohol im Dauerrausch unterwegs ist, ob er heimlich trinkt, oder ob wir einfach nur gemein sind. Der Disput ist heftig und macht so durstig, dass wir uns zwei Stunden später, mutmaßlich juristisch ernsthaft fahruntüchtig, für den Heimweg in den Sattel schwingen. Brägel braucht ganze drei Minuten, um den Schlüssel ins Ringschloss und das Batterielicht in die Halterung zu fummeln, aber er kommt, wie alle anderen, gesund nach Hause.
Nach diesem unfallfreien Finale sind wir uns trotzdem einig, dass das Thema ernst ist. Wir verlagern es allerdings hinter die Fastenzeit in den April. Solange gibt es keine Anhängerkupplungen und vom 6. März an ohnehin sechs Wochen keinen Alkohol. Oder zumindest fast keinen …