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PRIMAT DER TECHNIK RADFAHREN IST EINE GESUNDE, SPORTLICHE BETÄTIGUNG AUF EINEM GERÄT, DAS PERFEKT AUF DIE BEDÜRFNISSE DES MENSCHEN ABGESTIMMT IST. ODER? 1994 bis 2001

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Früher hockte der Mensch auf Bäumen, die Knie irgendwo bei den Ohren, zupfte ein paar Blätter und war eigentlich ganz zufrieden. Wenn er mal in die Welt hinein wollte, sauste er auf allen vieren durchs hohe Gras, schrie gelegentlich »Ugah, ugah«, damit nicht aus Versehen ein Mammut auf ihn drauftrampelte, und ließ es sich gut gehen. Das waren halt noch so richtig schöne Zeiten. Das Leben kam heiter daher und beschwingt.

Jetzt haben wir den aufrechten Gang und einen rechten Stress. Was hat uns denn die Evolution gebracht? Richtig – viel Arbeit, viel Ärger, und hätte nicht irgendein genialer und aufrechter Mensch die Braukunst erfunden, dann gäb’s noch nicht einmal ein Weizenbier.

Man kann nun aber leider nicht jeden Abend gläserweise Weißbier in sich reinschütten. Erstens leidet die Form, zweitens schmeckt’s im Winter nicht so recht und drittens jault die Gattin, weil immer die Zitronen aus sind. Dem Himmel sei Dank, gibt es aber noch das gute Radel und neuerdings eine Entwicklung, die am Zahn der Zeit ein paar Millionen Jährchen abschleift. Der Velo-Mensch hat allerlei aerodynamische Hilfen am Lenker entdeckt, die ihn zurück in die heitere Vergangenheit zwingen. Jetzt duckt sich der Homo Strampelcus aufs Gerät, krümmt sich zusammen wie ein Wurm, beugt wie einst der Primat das Kreuz dem Boden zu. Und wo sich der Mensch wieder zum Halbaffen entwickelt, ist einer natürlich nicht weit – genau, Kamerad Brägel.


Der kam neulich mit einer abenteuerlichen Konstruktion daher. Nach einer Fernsehübertragung vom Stundenweltrekord in Manchester war er in den Keller geflitzt, hatte den Wäscheständer seiner Freundin auseinandergeschraubt, aus den Einzelteilen ein Rechteck aus vier Rohren gebastelt und das Ganze mit Schraubschellen an seinen Lenker geklemmt. Danach sah das arme Velo aus wie eine Fernsehantenne auf Rädern, und wenn Brägel nach den Griffen (mindestens einen Meter vor dem Vorbau) fingerte, berührte sein Hintern gerade noch so die Sattelspitze. Kurzum – wieder einmal ein Bild des Jammers. »Genau wie Boardman«, jubelte der Lapp dagegen, als er mühsam die Straße runtereierte. Ein klarer Fall von Selbstüberschätzung. Der Brite hat sich bei seinem Stundenweltrekord flach gemacht wie ein Bierdeckel, Brägel dagegen klemmte wie ein aufgeklappter Zollstock auf seiner peinlichen Konstruktion. An jenem Tag waren das übrigens seine letzten Worte. Die Aluröhrchen gaben unter seinen 95 Kilo nach, er stieg kopfüber ab und musste sich auch noch vor seinem Hausbesitzer in Sicherheit bringen. Der war nämlich kurz zuvor fassungslos vor seinem durchgeschnittenen Gartenschlauch gestanden. Brägel hatte noch irgendetwas als Griff gebraucht …

Es dauerte fast vier Tage, um die Szenerie wieder zu beruhigen. Schließlich packte Brägels Freundin ihren Koffer wieder aus, der Vermieter nahm die Kündigung wegen Vandalismus zurück, Brägel wurde im Krankenhaus an der Stirn genäht und bekam 14 Tage Sportverbot.

Das Problem aber bleibt – Aerolenker, das muss jetzt einfach sein. Damit ist der Mann nun allerdings nicht allein auf der Welt. Wer was auf sich gibt, macht sich krumm. Angefangen hat das Ganze seinerzeit mit einem Ami namens Greg LeMond, der sich bei der letzten Etappe der Tour de France 1989 einen, damals nur Triathleten bekannten, Lenkerbügel ans Rad schraubte und im abschließenden Zeitfahren Laurent Fignon noch aus dem Gelben Trikot fuhr – um acht Sekunden nach 4.000 Kilometern. Das hat schon Eindruck gemacht auf die Szene. Und heute gibt es nun Sachen, die gibt es eigenlich gar nicht. Aberwitzig verbogene Rohre, mit Polster und ohne, Griffe mit Gummi oder mit Kork, Hörnchen und Sticks und weiß der Teufel, was noch.

Das Resultat dieser Art von Aufrüstung bleibt aber in jedem Fall das gleiche. Der Mensch bringt sich in eine Position, die ungefähr so bequem ist wie Unkraut jäten im Stehen.

Und weil bei vielen die Lendenwirbelsäule auch schon ein bisschen steif geworden ist, wird der Bügel eben solange nach oben gebogen, bis es wieder bequemer wird. Da sitzt nun unser Aeroradler, fast wieder aufrecht, aber mit zusammengedrückter Lunge, weil er den engen Bügel nicht loslassen will.

Genaugenommen können die ganzen Dinger ja nur von Orthopäden erfunden worden sein, die sich Gedanken um die Patienten von morgen gemacht haben. Der letzte Lenkerschrei bestätigt das. Die spartanischen Griffe vorn zwischen den Bremsen sollen ja schon Jan Ullrich über die Pyrenäen geholfen haben. Mittelgriff und dann rein ins Pedal. Man nennt das übrigens »Spinaci« (zu deutsch: Spinat), was bedeutet, dass man davon so dicke Arme wie weiland Popeye bekommt. Allerdings nicht wegen der Muskeln, sondern weil die Unterarme ungeschützt auf dem harten Lenkerrohr abgestützt werden müssen.

Nein, wir wollen hier nicht meckern. Streng wissenschaftlich gesehen ist es ja sogar gesund, sich ins Lenkerhorn zu legen. Aber nur dann, wenn alles stimmt. Auflage 20 Zentimeter unter Sattelhöhe, Winkel zwischen Ober- und Unterarm zwischen 90 und 105 Grad, desgleichen auch zwischen Oberarm und Oberkörper. Und wenn das Knie hochkommt, darf es maximal zehn Zentimeter am Ellenbogen vorbeidrehen. Soweit die Theorie: Wer Brägel gesehen hat, braucht keinen Winkelmesser. Seine Knie können gar nicht bis auf zehn Zentimeter an die Ellenbogen heran, weil dazwischen die Wampe schwabbelt. 90 Grad kennt der nur in der Sauna, und was passiert, wenn die Arme 20 Zentimeter unterm Sattel sind – siehe oben.

Es gibt eben einfach leichtere Wege zurück zu den Wurzeln der Menschheit. Zum Beispiel mit einem Weizenbier in der Hand auf einem Baum hocken, die Knie an den Ohren, warum nicht? Beim Radeln darf es aber schon noch ein bisschen mehr moderner Mensch sein. An dieser Stelle müssen wir leider aufhören – Brägel kommt mit farbigen Nasenpflastern über die Straße gehetzt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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