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SELBSTVERSUCH DOPING IST, KEINE FRAGE, ALLERSTRENGSTENS ZU VERURTEILEN. WOBEI MAN JA DOCH MAL GERN WISSEN MÖCHTE, OB’S WAS BRINGT … 2006

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Aus gegebenem Anlass müssen wir erst einmal darauf hinweisen, dass dieser Radschlag in weiten Teilen leider äußerst unappetitlich ausgefallen ist. Menschen mit vorhandenem Schamgefühl sollten also an dieser Stelle aussteigen und auf das nächste Heft warten. Danke.

Sie sind noch da? Also gut, Sie ahnen es, es geht um Doping. Und natürlich geht es auch um Brägel, der ja bekanntlich jeden Mist ausprobiert, wenn er sich auch nur den allergeringsten Vorteil davon verspricht. Im Moment ist er aber froh, wenn er einigermaßen schmerzfrei laufen kann, weil er die Sache mit dem Hodenpflaster natürlich völlig falsch verstanden hat (Sie können auch jetzt noch weiterblättern).

Nicht – also gut, das war so. Wir im Radclub sind nach den furchtbaren Enthüllungen der Tour de France natürlich in eine Sinnkrise gefallen. Wir haben das Training reduziert und den Hefe-hell-Konsum zur Frustbewältigung intensiviert. Nur Brägel verschlang alles, was er über die Affäre Landis in die Finger bekam. Danach ging er in die Apotheke, kaufte sich Pflaster und umwickelte ohne vorherige Rasur (ich hatte Sie gewarnt) besagtes Teil und, damit es noch mehr peppt, auch noch angrenzende Regionen, wobei jetzt nicht ins Detail gegangen wird. Die Pflasterrolle enthielt allerdings kein Testosteron, dafür sehr viel, sehr hartnäckigen Kleber. Brägel lief auch noch dauernd mit Nasenpflaster herum, was sich als doppeltes Missverständnis herausstellte.

Es kam, wie es kommen musste – nach einigen Tagen wurde der Lapp von Juckreiz geplagt und von Fliegen umsurrt (ich weiß, ich weiß, aber Sie lesen ja auch einfach weiter), sodass er zur Entfernung der Pflaster schritt. Nach einem halben Millimeter wurde ihm schlagartig klar, dass er einen großen Fehler begangen hatte. Aber statt zum Arzt zu gehen, riss er die ganze Chose mit einem Ruck ab. Seine Nachbarn schwören heute noch, dass an diesem Tag bei Brägel eine illegale Hausschlachtung irgendeines riesigen Tieres stattgefunden haben muss, aber es war nur Brägel, der mit blutenden Geschlechtsmerkmalen eine Art rituellen Tanz aufführte und brüllte wie Bruno der Bär. Dass er heute nicht geschieden ist, verdankt der Lapp nur der Tatsache, dass seine Gattin Viola für drei Tage mit den Kindern im Kurzurlaub war. Brägel überlebte wie durch ein Wunder unverstümmelt, musste aber vorzeitig die Saison beenden.

Am Stammtisch gibt er sich geläutert. Jede Art von Doping sei für ihn künftig kein Thema mehr, sagt er. »Ist auch besser, sonst kannst du demnächst bei den Frauen mitfahren«, höhnt der alte Hans. Es bleibt aber die Frage: Warum machen Männer so einen Mist? Brägel erklärt, er habe mit dem Testosteron nur das Altern ein wenig verlangsamen wollen, schließlich sei Nachlassen das Allerschlimmste. Mal ganz abgesehen davon, dass er dann locker 20 Jahre zu spät damit angefangen hat, riskiert man doch dafür nicht seine Gesundheit. »Doch«, sagt der Präsident, »ich verstehe das, es ist einfach superscharf, wenn man am Berg noch einen Gang härter drauf hat.« Alle nicken, und auch Brägel rutscht ein wenig verlegen auf seinem Kissen herum, auf das er sich zur Schmerzlinderung gesetzt hat.

Gott behüte, lauter Irre. An diesem Abend beschließt der Radclub den Selbstversuch im großen Stil. Einmal Allmacht – dann soll es gut sein. Der alte Hans wird beauftragt, seine Internetkontakte zu nutzen, um die echten Hodenpflaster zu besorgen. Alle wollen mitmachen, nur Brägel muss verzichten, da bei ihm so schnell kein Pflaster mehr hält, nicht mal auf der Nase. Der alte Hans leistet dagegen ganze Arbeit, und eine Woche später soll der Versuch beginnen, wobei die Mitglieder zuerst einmal ganz allein zu Hause mit verschiedenen Enthaarungstechniken (Sie wollten es ja unbedingt lesen) die Teile vorbereiten sollen, auf die die Pflaster kommen. Dabei schied der Präsident für den Versuch leider aus, weil er sich eine tiefe Schnittwunde zufügte. Der Rest gibt dem alten Hans einen ordentlichen Betrag und schreitet dann zur Tat. Und danach aufs Rad zur Trainingsrunde. Hinterher prosten wir uns glücklich zu. Sensationelle Wirkung, wir waren auf den 65 Kilometern glatte 23 Sekunden schneller als sonst und das mit nur einem Pflaster. Insgesamt haben wir jeder sechs.

Zwei Tage später treffen wir uns wieder und gewinnen weitere 13 Sekunden dazu. Supersupi, dummerweise wachsen dem alten Hans büschelweise Haare aus der Nase und den Ohren, einer klagt über Pickel, ein anderer über unruhigen Schlaf. Keiner sagt allerdings was dazu, ob seiner Frau zu Hause etwas aufgefallen ist, aber das wäre ein ganz anderes Thema. Bei mir schiebt sich im übrigen das Kinn so seltsam nach vorn. Schau an, der Schumacher, denke ich, auch so ein Schummler. Am Ende der Testwoche haben wir gut eine Minute gewonnen, den Schnitt von 26,21 auf 26,34 gesteigert. SENSATIONELL. Ernüchternd ist allerdings der Fakt, dass gedopt die gleichen vorn sind wie ungedopt. Aber, mein Gott, wir sind schneller! Allerdings berichtet plötzlich einer, dass ihm das Pflaster gestern ganz leicht abgegangen sei und er befürchtet, nun ja (Sie hören ja nicht auf zu lesen), dass da etwas kleiner geworden sei. Ehrlich gesagt, geht mir das ähnlich, ich schiebe es allerdings auf die herbstliche Kühle. Denkste. Der alte Hans, der Fach-Doper, räumt schließlich leise ein, dass bei äußerlicher Zugabe von Testosteron die interne Produktion gedrosselt wird. »Und was heißt das konkret?«, frage ich ärgerlich. »Schrumpfhoden«, nuschelt der alte Hans. Betroffenes Schweigen, nur Brägel und der Präsident lächeln selig.


Fünf Minuten später ist klar, dass der Radclub bis ans Ende der Zeitrechnung für sauberen, dopingfreien Sport stehen wird. Ab sofort keine Manipulationen mehr, nur noch Müsli, Training, Disziplin. Und Pflaster gibt es nur zur Wundversorgung nach Stürzen. Das ist sicher.


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