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2.2 Verschiedene Bildungsbegriffe

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Bildung als Menschenrecht

Bildung wurde von der UNESCO als Grundrecht in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte definiert. Denn Bildung ermöglicht es, am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben einer jeden Gesellschaft teilzuhaben und auch weitere Grundrechte wahrzunehmen. Doch was genau ist mit Bildung gemeint? Geht es um die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben? Oder geht es um die Vermittlung von Fertigkeiten, Qualifikationen und Bildungsabschlüssen? Tatsächlich ist das Verständnis von Bildung keineswegs einheitlich. Im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in der wissenschaftlichen Forschung ist Bildung ein facettenreicher Begriff.

Bildung in Humanismus und Aufklärung

Bildung wird in der Tradition von Humanismus und Aufklärung in erster Linie als die zweckfreie Entfaltung von Individuen in deren Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der sozialen und materiellen Umwelt verstanden. Wilhelm von Humboldt etwa sah Bildung als eine dialogische Beziehung oder einen Prozess der Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Welt. Entsprechend der an einen idealistischen Bildungsbegriff angelehnten humboldtschen Vorstellung sollte allgemeine und zweckfreie Bildung in Form eines institutionalisierten dreistufigen Bildungswesens – bestehend aus Elementarbildung, schulischer und universitärer Bildung – vermittelt werden. Das aus Primar-, Sekundar- und Hochschulbildung bestehende Konzept eines dreistufigen Bildungssystems wurde im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert für Deutschland geschaffen und später auch für die Entwicklung der Bildungslandschaft im internationalen Rahmen aufgegriffen (DÖRPINGHAUS & UPHOFF 2012, S. 76–85; zit. in FREY-TAG & JAHNKE 2015; Kap. 4.3).

Bildung als Ressource

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Bildungsdiskurs zunehmend in Richtung eines Ökonomismus und Funktionalismus verschoben. In der politischen, öffentlichen und sozialwissenschaftlichen Debatte wird Bildung zunehmend als Humankapital oder Humanressource konzipiert, welches in den Kategorien von „Bildungsinvestition“ und „Bildungsrendite“ gelesen wird. Die zugrunde liegende Humankapitaltheorie postuliert, dass sich die Investition in Bildung später auf dem Arbeitsmarkt durch höhere Löhne bzw. durch eine höhere Produktivität auszahlt. Diese Logik liegt beispielsweise den Berichten der OECD-Staaten zugrunde, wenn diese mit Blick auf ökonomische Entwicklungsprozesse nach der Rentabilität nationalstaatlicher Bildungsinvestitionen fragen.

Pädagogischer Funktionalismus

Für den pädagogischen Funktionalismus stellt der Kompetenzerwerb das vorrangige Ziel von Bildung dar. Begrifflich bezieht sich Kompetenz auf eine geistige Erschließungskompetenz und zugleich auf eine praktische Handlungskompetenz, die sich in einer situationsadäquaten, zieloptimierten Performanz äußert. Entsprechend erfolgt die Leistungsmessung von Bildungseinrichtungen heute als Kompetenzmessung, wie sie z.B. in den internationalen Vergleichsstudien PISA oder TiMMS durchgeführt wird. Durch die starke Fokussierung auf institutionalisierte Bildungsprozesse kam es lange Zeit zu einer Vernachlässigung von informellen Lernprozessen, die außerhalb von Bildungseinrichtungen stattfinden und erst seit wenigen Jahren eine stärkere Beachtung finden.

Wissen und damit auch die Räumlichkeit von Wissen zählt zu den Arbeitsschwerpunkten des Bildungsgeographen Peter Meusburger. Er hebt hervor, dass der Wissensbegriff sehr vielschichtig ist und mehrere Bedeutungen umfasst, „wie z.B. etwas durch die Sinne erfahren und verinnerlicht zu haben, sich einer Sache bewusst zu sein, etwas für wahr zu halten (Wahrheit), eine Tatsache zu kennen, das Wesen der Dinge intellektuell verarbeitet zu haben, die Handlungsfähigkeit zu haben, um ein Ziel zu erreichen“ (MEUSBURGER 2002, S. 44ff.). Weiterhin können die drei folgenden Kategorien von Wissen unterschieden werden (MEUSBURGER 2002, S. 45): 1) Leistungs- oder Fachwissen, das der äußeren Daseinsgestaltung dient; 2) Bildungswissen, das die Persönlichkeit formt und den geistigen Horizont erweitert, sowie 3) Heils- oder Erlösungswissen, das die religiöse oder politische Existenz begründet. MEUSBURGER (2002, S. 45) zufolge kann man „auch zwischen wissenschaftlichem Wissen und narrativem Wissen differenzieren. Narratives Wissen steht häufig im Widerspruch zu wissenschaftlichem Wissen, es ist nicht einem Beweis unterworfen, erlaubt eine Vielfalt von Ansichten und besteht aus Mythen, Legenden, religiösen Traditionen und eigenen Erfahrungen“.

Grundstruktur des Bildungssystems

Das Bildungswesen in Deutschland lässt sich in fünf große Bereiche untergliedern (Abb. 2.2). Der Elementarbereich umfasst Kinderkrippe und Kindergarten. Es folgen i.d.R. neun Jahre allgemeine Schulpflicht, die sich auf den Primarbereich mit der Grundschule und den Sekundarbereich I mit unterschiedlichen Schultypen aufteilen. Der Sekundarbereich II besteht neben der gymnasialen Oberstufe aus beruflichen, allgemeinbildenden und berufsbezogenen Bildungsgängen. Der tertiäre Bereich umfasst u.a. das Studium an Hochschulen, Fachhochschulen und bestimmte Weiterbildungsangebote (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2014, S. XII). Seitens der Bildungsforschung richtet sich ein besonderes Interesse darauf, unter welchen Umständen die Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer den Übergang von einem Bildungsbereich in den nächsthöheren Bereich vollziehen.

Non-formale Bildung und informelles Lernen

Aus der Perspektive eines ganzheitlichen Verständnisses bleibt Bildung als menschliche Entwicklung nicht auf den Rahmen der formalen Bildung begrenzt, sondern umfasst auch non-formale Bildungsangebote und informelles Lernen (Abb. 2.3).

Das hier skizzierte Bildungsverständnis im weiteren Sinn ist an eine Reihe von Institutionen gebunden. Zunächst einmal umfasst es die vorschulische Bildung, die seit mehreren Jahren eine zunehmende politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfährt. Zudem sind auch Angebote der Weiterbildung und Erwachsenenbildung wichtige Bestandteile eines erweiterten Bildungsbegriffs. Dies betrifft z.B. Volkshochschulen, Goethe-Institute, das duale System des Berufsschulwesens, Angebote für lebenslanges Lernen oder digitale Ressourcen für ein Fernstudium. Insgesamt lässt sich im Bereich der Bildung eine zunehmende Diversifizierung, Spezialisierung und Flexibilisierung beobachten. In den vergangenen Jahren wurde institutionalisierte Bildung ebenso wie die nicht an Institutionen gebundene Bildung auf neue Themen und Zielgruppen ausgeweitet. Für die Bildungsgeographie besteht eine Herausforderung darin, sich neben der formalen Bildung als Forschungsstand künftig auch stärker der non-formalen Bildung und dem informellen Lernen zuzuwenden.

Abb. 2.2: Grundstruktur des Bildungssystems in Deutschland (Quelle: AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2014, S. XII)

Abb. 2.3: Erweiterter Bildungsbegriff (Quelle: FREYTAG & JAHNKE 2015, S. 77)

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