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3.1 Vorläufer und frühe Arbeiten der raumbezogenen Bildungsforschung
ОглавлениеKirchenbücher und Rekrutenlisten als Quellen
Bereits im 19. Jahrhundert gab es erste Vorläufer einer raumbezogenen Bildungsforschung, deren theoretische Überlegungen, methodische Ansätze und empirische Arbeiten in der Bildungsgeographie aufgegriffen und fortgeführt wurden. Im Rahmen der britischen Sozialstatistik (social survey movement) wurden beispielsweise umfangreiche Daten zu Bildung und anderen gesellschaftlichen Bereichen erhoben, analysiert und zum Teil kartographisch dargestellt (MEUSBURGER 1998, S. 191). Als Datenquelle dienten kirchliche Dokumente (z.B. Heiratsbücher) oder Aufzeichnungen des Militärs zur Schreib- und Lesekundigkeit von Rekruten.
Die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen Bildung und moralischer Reife war damals weit verbreitet. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Politik und Öffentlichkeit ging man davon aus, dass Bildung ein geeignetes Mittel sei, um die im Zuge von Industrialisierung und Verstädterung anwachsende Armut und Kriminalität zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund zeigten wohlhabende Bürger und Wissenschaftler großes privates Engagement, um armen Menschen einen besseren Zugang zu Bildung zu ermöglichen.
Rolle des öffentlichen Bildungswesens
In Europa erfolgte der Aufbau nationalstaatlicher Schul- und Bildungssysteme maßgeblich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Die Errichtung öffentlicher Schulen und die Einführung der Schulpflicht sollte auch die Formierung nationaler Identitäten befördern. Es wurde als Aufgabe von öffentlichen Bildungseinrichtungen angesehen, die Bevölkerung durch Bildungsteilhabe in den Nationalstaat zu integrieren und auf diese Weise Kontrolle über sie auszuüben. Ein spannendes bildungsgeographisches Forschungsthema besteht in der Auseinandersetzung mit den Verbindungen zwischen Bildung und Politik (Kap. 4.3) – nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in früheren Epochen, wie z.B. in Deutschland während der Kaiserzeit, der Weimarer Republik oder im Dritten Reich.
Bildungsversorgung und wirtschaftliche Disparitäten
Mit dem Ausbau der staatlichen Bildungsinfrastruktur wurden nicht nur politische, sondern auch ökonomische Ziele verfolgt. Eine zunehmende Qualifizierung der Bevölkerung durch Bildungserwerb wurde als geeignetes Mittel gesehen, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates oder einer Region zu steigern. Der Zusammenhang zwischen Bildung und wirtschaftlicher Entwicklung war Gegenstand einiger Untersuchungen. So wurden die wirtschaftlichen Vorteile Nordwestfrankreichs im Vergleich mit anderen Landesteilen (z.B. hinsichtlich der Höhe des Einkommens und der Anzahl von Patenten pro Einwohner) auf eine bessere Bildungsversorgung dieser Region zurückgeführt (MEUSBURGER 1998, S. 193).
Erziehungs-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden einige weitere Arbeiten mit Bezug zur räumlichen Bildungsforschung. Dabei ging es in erster Linie um die Bedeutung von Schulstandorten und den Erwerb von Bildungsabschlüssen im Zusammenhang mit erziehungs-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragen (MEUSBURGER 1998, 198f.).