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>Der Tag, der alles veränderte<

07.08.2011, Sonntag

An diesem Tag war es sehr heiß und stickig draußen, die Hitze schien einen zu erdrücken. Es war der wahrscheinlich wärmste Tag im Sommer seit einer gefühlten Ewigkeit. Sebastian war zu diesem Zeitpunkt fünfundzwanzig Jahre alt und hatte eine Freundin - Valerie. Eine etwas chaotische, achtzehnjährige, bleiche Erscheinung. Ihre Haarfarbe wechselte mit ihren Launen - beinahe wöchentlich. Dennoch war sie ein sehr nettes und aufgeschlossenes Mädchen. Ihr Körper war übersät mit Piercings und Tattoos, was nicht gerade den Wünschen von Sebastians Eltern entsprach. Sie machten sich Sorgen, dass dieser Stil auch auf ihre Kinder abfärben könnte, ganz besonders auf Kim, die jedes Mal aufs Neue Valeries Körperkunst bewunderte. Kim war damals sechzehn Jahre alt, mit achtzehn nahm sie sich vor, sich auch tätowieren zu lassen. Dass sie eigentlich eine Heidenangst davor hatte, versuchte sie zu überspielen, was ihr nicht wirklich gelang. Sie verstand sich blendend mit Sebastians Freundin, obwohl sie etwas schockiert war, als sie erfuhr, dass Valerie erst achtzehn war.

Der Tag fing ganz gut an: Ihre Eltern machten im Garten eine Grillparty und hatten einige Freunde eingeladen. Kims Schulfreunde kamen ebenfalls zu Besuch, darunter auch Henry, in den sie heimlich ein bisschen verliebt war. Sie hoffte, dass er an diesem Tag versuchte, ihr näherzukommen. Das Wetter passte, sie hatte sich ihren kürzesten Rock angezogen, dazu ein bauchfreies Top. Ewig hatte sie vorm Spiegel gestanden und überlegt, ob sie Henry auch gefallen würde.

Währenddessen trudelten im Garten der Familie Rietz immer mehr Besucher ein. Sebastian hatte außer Valerie keinen eingeladen. Es waren sowieso schon so viele Leute da. Obwohl er sich gefreut hätte, wenn sein bester Freund Ralf gekommen wäre, aber der hatte an dem Tag Dienst. Auch er war Polizist. Die Arbeit machte Sebastian Spaß, vor allem, wenn er mit seinem besten Freund gemeinsam Dienst hatte.

Dass er mit fünfundzwanzig Jahren noch immer bei seinen Eltern wohnte, störte ihn selbst nicht. Natürlich würde er bald ausziehen, aber er wollte sich damit keinen Stress machen. Es fehlte ihm ja an nichts in seinem Elternhaus. Außerdem wollte er mit seiner Partnerin zusammenwohnen. Ohne Zweifel liebte er Valerie, er war verrückt nach ihr, aber er war sich nicht sicher, ob er ihre überdrehte Art jeden Tag aushalten würde. Womöglich würden sie des Öfteren streiten und dann würde die Beziehung vielleicht in die Brüche gehen. Das wollte Sebastian vermeiden und deshalb zog er es vor, noch für einige Zeit bei seinen Eltern zu bleiben, obwohl eine gemeinsame Zukunft mit Valerie natürlich schon im Gespräch war. Der Idealfall wäre für ihn, wenn er eines Tages zusammen mit ihr nach Loipersdorf ziehen könnte, wenn ihre Beziehung an Tiefe gewänne.

Die Party war in vollem Gange - man unterhielt sich miteinander, der ein oder andere stahl Sebastians Vater hier und da eine Wurst vom Grill, es wurde getrunken und gelacht.

Kim saß auf einem Gartenstuhl etwas abseits und unterhielt sich blendend mit Henry, der neben ihr Platz genommen hatte. Sebastian bemerkte es im Augenwinkel. Ob dieser Typ der Richtige für seine Schwester war? Schwer zu sagen. Keine Frage, er würde sich für Kim freuen, wenn es mit diesem Henry funktionieren würde. Aber er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte, denn er würde es niemals zulassen, dass irgend so ein Typ sie verletzte. Während Henry etwas zu ihr sagte, strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, worauf Kim verlegen lächelte. Dann wandte er sich ab und ging in Richtung Haus.

„Oder was meinst du?“ Valerie tippte Sebastian auf die Schulter. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie mit ihm geredet hatte, so sehr war er in seine Beobachtungen vertieft gewesen. „Oh, tut mir leid, Schatz. Kann das noch warten? Ich möchte Kim gern ein bisschen über diesen Henry ausfragen.“

„Sie steht total auf den Typen! Den ganzen Tag über schon Henry hier, Henry da.“

„Was? Wieso weißt du sowas?“

„Na ja, wir Mädels reden eben über solche Sachen.“

„Aber ich als ihr Bruder…“

„Jajaja, jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, Süßer. Es ist ihr wahrscheinlich unangenehm, mit einem Mann darüber zu reden.“

„Ich hoffe nur, dass der Kerl in Ordnung ist. Hm… Ich schau mal kurz zu ihr rüber.“

„Dann halte ich dich nicht länger auf. Ich werde mich mal zu den Freundinnen deiner Mum begeben.“

Sie verdrehte die Augen, als sie hinzufügte: „Und damit meine ich diejenigen, die so geschmückt sind wie Weihnachtsbäume. Ich will mich ja schließlich nicht unbeliebt machen, indem ich mich nur mit dir unterhalte.“

Als sich Sebastian gerade umdrehen wollte, zog Valerie ihn zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Keine Angst, von unseren versauten Sexspielchen habe ich deiner Schwester nichts erzählt. Sie plappert zwar viel von Henry, aber eine Lady genießt und schweigt.“ Sie zwinkerte ihm zu und ging zu den sogenannten Weihnachtsbäumen.

Als Sebastian zu Kim rübersah, saß sie noch immer alleine da und spielte nun mit ihrem Handy herum. Kein Henry in Sicht, also nichts wie los.

„Na, wie läuft’s?“ Er steuerte auf den freien Stuhl zu und setzte sich neben seine Schwester.

Kim sah sich etwas nervös um. „Was? Wie läuft was?“

„Ich sage nur: Henry.“

„Oh.“ Sie wurde rot und lächelte verlegen. „Keine Ahnung, wie’s läuft. Schätze gut.“

„Das wünsche ich dir. Wo ist er denn?“

„Er musste mal kurz telefonieren. Irgendwas mit seinem Vater besprechen. Was weiß ich.“

„Und du magst ihn.“

„Natürlich. Darum habe ich ihn eingeladen. Er ist wirklich nett.“

Sebastian musste sich ein Grinsen verkneifen. Nett ist also das neue Geil. „Ich verstehe. Nun, ist er denn der einzig nette Junge, den du kennst, oder warum hast du sonst keine männlichen Freunde eingeladen?“

„Keine Ahnung. Er gefällt mir eben.“

„Ja, so etwas in der Art hat mir Valerie auch gesagt.“

„Sie hat es dir erzählt?“

„Jetzt tu doch nicht so! Das sieht doch jeder Blinde! Also, willst du mir nicht ein bisschen etwas über ihn erzählen?“

Kim sah sich um, um sich zu vergewissern, dass ihr Angebeteter nicht in ihrer Nähe war. „Nun ja, was willst du denn wissen?“

„Ach, nur das Übliche… Hast du ein gutes Gefühl bei der Sache? Fühlst du dich wohl bei ihm oder muss ich mir Sorgen machen? Du weißt, ich kann ihn hinter Gitter bringen.“

Beide fingen an zu lachen. „Oh nein, das ist nicht nötig, glaube ich“, sagte Kim. „Er ist wirklich außerordentlich… nett.“

„Das hoffe ich. Also ist es dir ernst mit ihm?“

„Wir lernen uns gerade erst kennen… Aber ja… denke schon.“

Sebastian nickte verständnisvoll. Kim nahm seine Hände in ihre, das hatte sie schon lange nicht mehr gemacht. Überhaupt hatte sie sich in den letzten Jahren sehr zurückgezogen. Vielleicht war diese Berührung von ihr ja der erste Schritt, der sie wieder zur Familie machte. Sebastian wünschte es sich von ganzem Herzen. Er spürte ihre warmen Hände und wusste sofort, dass alles wieder gut werden würde.

„Aber hey, Bruderherz! Du musst dir wirklich keine Sorgen machen!“

Dieses Gespräch drehte sich zwar oberflächlich gesehen um Henry, aber Sebastian wusste, was Kim damit noch ausdrücken wollte: Nämlich, dass er sich um ihre Familie keine Sorgen machen musste. Alles würde wieder so werden wie früher…

Negatio

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