Читать книгу Negatio - Julia Fürbaß - Страница 11

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„Scher dich zum Teufel und lass dich ja nicht mehr blicken!“

Das waren die letzten Worte seiner Mutter, bevor sie sich von ihm abwandte.

Sebastian wusste nicht, wie ihm geschah. Vor ein paar Minuten hatte er sich im Garten noch mit seiner Schwester unterhalten, und nun stand er im Flur, in den seine Mutter ihn gezerrt hatte und hielt sich mit einer Hand seine linke Wange, die eben die allererste Ohrfeige ihres Lebens bekommen hatte. Von seiner Mutter. Mit fünfundzwanzig Jahren. Tränen rannen ihm über das glühende Gesicht. Es war nicht der physische Schmerz, der so wehtat, es war der plötzlich aufkommende Hass seiner Mutter ihm gegenüber. Noch nie hatte er sie so wütend erlebt. Was hatte er denn falsch gemacht?

Der Tag war doch gut verlaufen, er hatte sich nett mit den Gästen unterhalten, alle hatten sich amüsiert und niemand machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich in irgendeiner Art und Weise unhöflich benahm. Nachdem er sich mit Kim unterhalten hatte, bemerkte er, dass ihm übel wurde. Viel Alkohol hatte er zwar nicht getrunken, aber in der Kombination mit der Hitze wurde es ihm anscheinend zum Verhängnis. Als er seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle hatte, zerrte ihn seine Mutter ins Haus. Ihre Fingernägel krallten sich in seine Haut, aber wahrscheinlich kam es ihm nur so grob vor, weil er geschwächt war. Dann begann sie mit ihm zu schreien. Hatte sie das jemals vorher gemacht? Sebastian kam sich auf einmal vor, als wäre er unter Wasser, er bekam alles nur so halb mit. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, geriet er weiter an die Oberfläche und allmählich verstand er die Worte seiner Mutter wieder. Sie beschimpfte ihn und er bekam mit, dass er sich für alles Mögliche entschuldigte.

Die darauffolgende Ohrfeige kam plötzlich und härter, als man es von einer Frau erwarten würde. Im selben Moment kam Sebastian ganz an die Oberfläche zurück und sah seine Mutter wieder mit klaren Augen. So als wäre er mit dem Schlag aus einem Albtraum aufgewacht. Dass er sich zum Teufel scheren sollte war das Erste, das er klar hören konnte und das ihm die Tränen in die Augen trieb.

Sebastian blickte nach rechts, wo sein Vater stand, der genauso unglücklich aussah und fragte ihn: „Was… was… was ist denn los?“

Sein Vater drohte zu explodieren und ballte die Fäuste, als er antwortete: „Wenn du noch einmal so eine blöde Frage stellst, kann ich für nichts garantieren. Aber dann stehst du bestimmt nicht mehr auf!“

Wenn ihm doch nur jemand sagen würde, was um Himmels Willen er verbrochen hatte! Womit hatte er es verdient, so dermaßen von seinen Eltern gehasst zu werden? „Mama… Papa… bitte… ich…“

„Heul ja nicht rum, Jungchen! Heul jetzt ja nicht rum!“, fuhr ihn sein Vater an. Sebastians Knie begannen unkontrolliert zu zittern und er musste sich auf den Boden knien und sich mit den Händen darauf abstützen. Er befürchtete, sein Vater würde ihm, aus welchem Grund auch immer, ins Gesicht treten, aber er rührte sich nicht vom Fleck. Sebastian traute sich nicht, noch eine Frage zu stellen, also sagte er das, was in seinen Augen jetzt das einzig Richtige war: „Bitte, verzeiht mir. Es tut mir so leid… Von ganzem Herzen… wirklich. Das könnt ihr mir glauben. Ich liebe euch.“ Er hoffte, seine Eltern damit wieder zur Vernunft bringen zu können, obwohl er wusste, dass er nichts verbrochen hatte. Sein Kreislauf hatte ihn im Stich gelassen, wie lange konnte das gedauert haben? Fünf Minuten? Was hätte er in dieser Zeit anstellen können? Was ging hier vor? Er sah flehend zu seinem Vater auf. Dieser blickte ihn an, als wäre er ein Haufen Scheiße, der schnellstens entsorgt werden musste. Das schien er auch vorzuhaben, denn er ignorierte die Entschuldigungen seines Sohnes und sagte: „Ich will kein Wort mehr aus deinem Mund hören. Eine Stunde hast du Zeit, um deine wichtigsten Sachen zu packen. Schmeiß sie in dein Auto und hau ab, ist mir egal, ob du auf der Straße schläfst. Dein restliches Zeug kann Ralf oder sonst irgendwer ein anderes Mal holen. Hauptsache, du tauchst hier nicht mehr auf.“

„Ihr… Ihr schmeißt mich raus?“

„Richtig erkannt, Sherlock. Sieh zu, dass du das Haus unbemerkt verlässt. Und gib dir keine Mühe, dich bei irgendwem zu verabschieden.“ Sein Blick wanderte an Sebastian vorbei. Erst jetzt bemerkte er, dass Valerie links hinter ihm stand. Gott sei Dank! Seine Verbündete! Er versuchte, sie anzulächeln, aber auch ihr Blick war voller Hass. „Ich will dich nie wiedersehen“, krächzte sie mit Tränen in den Augen und verließ das Haus. Sebastian wollte ihr nachlaufen, wurde aber von der strengen Stimme seines Vaters aufgehalten. „Lass es einfach sein. Tu uns allen einen Gefallen und verschwinde aus unserem Leben.“

Er ging zu seiner Frau und legte ihr den Arm um die Schultern, sie hatte den beiden die ganze Zeit über den Rücken zugewandt.

Sebastian wusste nicht, ob flehen und betteln etwas helfen würde, aber was hätte er sonst noch machen sollen? „Mama, Papa… bitte…“ Er zitterte und schluchzte wie ein Kleinkind. Wie konnte man nur so grausam zu seinem eigenen Sohn sein? Hier waren doch seine Familie und sein Zuhause. Seine Eltern zeigten keinerlei Mitleid und verschwanden wortlos in der Küche. Sebastian glaubte, seinen Vater darauf sagen zu hören: „Wir haben keinen Sohn mehr.“

Es war zwecklos, Sebastian ging nach oben und packte das Nötigste zusammen. Er hatte noch nie viel besessen, oder besser gesagt: gebraucht. Das fand Valerie immer so toll an ihm. Er war kein Materialist, er brauchte nur sein Mädchen, seine Valerie… Er hatte ihr so viel zu sagen! Das war doch alles ein Missverständnis… Aber als er vor die Tür trat, war sie verschwunden.

Die Party verlief noch immer halbwegs normal. Wer hatte wohl alles etwas vom Vorfall mitbekommen? Kim war auch nicht zu sehen. Nicht einmal von seiner Schwester konnte er sich verabschieden… Sie war die Letzte, mit der er gesprochen hatte, bevor… Er legte seinen Hausschlüssel auf die Kommode im Flur und fühlte sich mit einem Mal wie der meistgehasste Mensch auf der Welt. Als er zu seinem Auto ging, sah er, wie seine Mutter mit einem gezwungenen Lächeln die Gäste bediente, dabei würdigte sie ihn keines Blickes. Seinen Vater sah er nicht. Er blieb noch für kurze Zeit am Zaun stehen und betrachtete das Haus, in dem er aufgewachsen war. Sein Leben, seine Familie, alles war zerstört. Er stieg ins Auto, ehe ihn jemand der Gäste sehen konnte und machte sich auf den Weg in seine neue Zukunft.

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