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Von der Dramatik vor der Haustüre hat Marion wiederum nichts mitbekommen. Sie sitzt mit Ines auf dem Sofa und hält Kriegsrat. Eins ist den beiden klar: Humbold ist ein sturer Esel. Und es wird nicht immer einen rettenden Blumentopf in Reichweite geben. Ein Ortswechsel wäre also angebracht. Außerdem träumt Marion seit langem davon, in einer großen Stadt zu studieren. Auf einer richtigen Uni, mit Fachbibliothek und allem Drum und Dran. Aber wo und wie? Vom vielen Grübeln schwirrt ihr der Kopf. Dann hört sie ihn wieder singen, den schwarzen Fluss.

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Mittendrin im Wirklichkeitsrausch formt sich dein Schicksal die Reihe deiner Ichswerdend und gewordenwie ein Mantel um dichWo findet sich dein gut-gutes Leben?auf den vorhersehbaren Wegen oder querfeldein?Verwirf deine Plänebekräftige deine Absichtlass dein Sehnen bildlos sein und schiebe dich vorwärts ins UnkennbareSo gebärst du dich aus dir selbst herausals Lokführer und Weichenstellerin ohne Ziel und ZeitplanDer Weg zeigt sich rhythmisch und erstaunlicher liebt das Närrische, die Irrwege des Schönendie zarten Gespinste zwischen den GeschöpfenWahrheit ist wohl in jeder Raumrichtung zu findenwenn du ihr weit genug folgst*Beim „Verwirf deine Pläne“ hält es Marion nicht mehr aus. Da kommt etwas aus ihr heraus, eine Stimme so dunkel und leidenschaftlich wie die Gesänge des Styx. In der Öffentlichkeit hält sie das hübsch geheim. Weil Singen ist Privatsache. Viel zu intim und deshalb gefährlich. Aber hier im Haus der Freundin darf sie. Hier ist sie geschützt vor unliebsamen Zuhörern.

Marion richtet sich auf, schließt die Augen und leiht dem Geraune des dunklen Flusses ihre Stimme. Feine Klanggespinste steigen zur Decke. Sinken dann sanft in den Ecken des Raumes nieder. Die Klänge schwellen an. Oszillieren zwischen Sofa und Küchentüre. Durchdringen die Polsterbezüge. Schwingen mit dem Pendel von Großvaters Uhr. Malen Landschaften auf die Zimmerwände.

Es ist dunkel geworden und Marion fällt auf, dass sie Hunger hat. Ein Inspektionsgang durch das Haus offenbart eklatante Versorgungsprobleme. Sie hätte gestern nach dem Amtsarzt doch noch etwas einkaufen sollen. Gähnende Leere im Kühlschrank, nur ein paar verschrumpelte Kartoffeln in der Speisekammer.

Unter der Woche lässt sich Marion am liebsten von der Betriebsküche verpflegen. Sie mag das gemeinschaftliche Essen in großen Speisesälen. Wenn die Luft erfüllt ist von Gemurmel und Besteck-Geklappere. Selbst der typische Geruch von großen Abspeisungen nach Kohl, billigem Fett und Kartoffelpüree bedeutet Heimat für sie. Schenkt ihr Geborgenheit.

So ist es im Heim gewesen: Mahlzeiten ohne Angst. Ohne dem schleichenden Unbehagen, dass er etwas von ihr will. Auf der gedrechselten Eckbank in der Küche hat der Vater immer gesessen, und auf die Mutter gewartet. Obwohl diese schon längst nicht mehr da war. Aber das konnte er von Jahr zu Jahr weniger begreifen.

Marion und Humbold

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