Читать книгу Marion und Humbold - Julia Gruber - Страница 9
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ОглавлениеDas war gestern. Jetzt liegt Marion bei Ines auf der Couch, mit der Katze am Bauch und einer Tasse Tee in der Hand. Die Kündigung ist eingereicht und ihre Zukunft ungewiss, aber voller Möglichkeiten. Sie räkelt sich und dann ist sie wohl ein bisschen eingenickt.
Bis es irgendwo kratzte. Das ist der Eisverkäufer. Er versucht, eine Kugel Vanille-Eis aus dem fast leeren Behälter zusammen zu stellen. Komisch, der Mann hört nicht auf mit seinem Schaben. Ab einem gewissen Punkt wird es unrealistisch. Dann lässt sich so ein Traum an der sonnenwarmen Adria beim besten Willen nicht mehr aufrechterhalten. Marion verlässt widerstrebend die Strandpromenade und kommt in den heimischen Winter zurück.
Die Geräusche kommen von der Eingangstüre. Jetzt wird sie neugierig und springt vom Sofa. Haselnuss-Eis würde ihr auch schmecken. Überlegt sie im Gehen und öffnet schwungvoll die Türe. Doch enttäuschend: da ist kein Mann mit weißer Schürze, Häubchen und italienischem Akzent. Nicht einmal einer ohne Schürze. Da ist gar niemand.
Dafür liegt etwas auf der Türschwelle und zwar Gemüse. Bunte Rüben in allen möglichen Farben: gelb, orange, lila und weiß. Ja, heutzutage werden die alten Sorten wieder gerne angepflanzt. Das mögen die Städter, das sieht nach fröhlichem Landleben aus. Doch egal welche Farbe – es ist kein Haselnuss-Eis dabei und daher ein Reinfall für Marion. Sie wirft die Türe wieder zu und marschiert zum Sofa zurück. Seite an Seite mit der Katze. Die ist auch empört über die trüben Aussichten vor der Türe, vor allem über das anhaltend miese Wetter.
Eine Sache macht Marion stutzig: Was treiben die Rüben vor ihrer Haustüre? Passiert schließlich nicht alle Tage. Sie rafft sich auf und öffnet die Türe einen winzigen Spalt. Jetzt müssen wir festhalten, dass diese Rüben nicht einfach so auf der Türschwelle herum lungern. Sie wurden sorgsam in Herzform gebunden. Dass Marion das nicht gleich aufgefallen ist! Hier sieht man, was passiert, wenn eine so auf Haselnuß-Eis fixiert ist: Es leidet das Wahrnehmungsvermögen für praktisch alle anderen Dinge.
Ein wahrer Künstler muss dieses Gebilde geformt haben, so viel steht fest. Doch Marion denkt gerade nicht ans Künstlerische. Sie ist einer der wenigen Menschen mit Rüben-Trauma, aber davon später. Gerade will Marion die Türe wieder schließen, da fällt ihr Blick auf einen Zettel. Ein Papierchen in der Busenfalte des Herzens. Ob ein Herz überhaupt eine Busenfalte besitzt, darüber würde Marion gerne ausführlich mit Ines debattieren. Aber weil es draußen vor der Türe so kalt ist, streckt sie schnell ihre Hand aus.
Hier will jemand gelesen werden. „Ewig verbunden!“ Steht auf dem Zettel in Humbolds Handschrift. Das Papier stammt vom großen Notizblock auf seinem Arbeitstisch. Schon wieder Humbold! Aber komisch: Warum bastelt er als Träger für seine Botschaft ein Herz aus Rüben? Weil er stur ist wie ein Esel und ewig seiner Karotten-Frau nachläuft? Oder knüpft er an das unglückselige Eselkostüm bei der Weihnachtsfeier an?
Marion hat keine Ahnung. Eines ist ihr jedoch klar: Humbold wird nicht so schnell von ihr ablassen. Auch nach der Kündigung nicht. Da muss sie sich schon mehr einfallen lassen. Einen Ortswechsel beispielsweise.
Was uns gleich zur nächsten Frage führt: Woher wusste Humbold, dass Marion im Haus von Ines zu finden ist? Nun, mit den beiden ist es so eine Sache… Als Kind hat Marion schlimme Dinge erlebt, die sie alleine nicht tragen konnte. Deshalb tauchte Ines auf. Zu zweit ist vieles leichter zu stemmen.
Leider haben Freunde die Tendenz, sich früher oder später aus dem Staub zu machen. Sei es wegen Konkurrenz, diverser Liebschaften oder gleich Todesfällen. Das passiert oft in den unpassendsten Momenten. Doch nicht bei Ines, sie bleibt ihr treu. Denn sie lebt in Marions Kopf.
Ines war es auch, die damals die Sache mit der Erbschaft übernommen hat. Nach der Rückkehr aus Deutschland bekam Marion den elterlichen Hof überschrieben. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren betrat sie die Stube ihrer Kindheit, und die Erinnerungen an damals haben sie schier umgehauen. Sie wollte das alles nicht, und Ines hat ihr angeboten, das Erbe zu übernehmen.
Seither lebt Marion als Gast am Krawitzerhof und genießt die Großzügigkeit ihrer Freundin. Jederzeit darf sie sich in der Küche bei den Lebensmitteln bedienen. Sie kann sich ein Schaumbad in der alten Emailwanne einlassen oder im Liegestuhl vor dem Haus faulenzen. Sogar das Bett von Ines steht ihr offen. So viel Freigiebigkeit, das ist heutzutage nicht selbstverständlich! Dafür trägt sie der Freundin den Müll hinaus, zahlt alle Rechnungen und kauft ab und zu etwas ein. Und was früher in dem Haus passierte - das ist nicht mehr ihre Angelegenheit.