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Dann nahte die Weihnachtsfeier. Zur allgemeinen Belustigung sollte das Betriebspersonal ein Krippenspiel aufführen. Humbold musste unbedingt mit auf der Bühne sein, das verlangte die weibliche Belegschaft. Er sollte den schönen Weisen aus dem Morgenland geben und die Damen stritten sich darum, welche von ihnen die schwarze Paste in seinem Gesicht verteilen durfte. Für Marion hatten sie die Rolle des Esels hinter der Krippe ausgewählt. Kleine Vergeltungsaktion, weil neidisch auf das gemeinsame Arbeitszimmer.

Prinzipiell galt es als Ehre, für die Aufführung ausgewählt zu werden. Marion konnte also schlecht ablehnen und beschloss, ihren Esel zu stehen. Doch jeder, der schon einmal eine Weihnachtsfeier in so einem Eselkostüm verbracht hat weiß, wie heiß es da drinnen auf Dauer wird. Unter dem Polyester-Fell lief ihr der Schweiß in Strömen hinunter.

Kein Bedauern der Kolleginnen, das war nämlich genau ihr Plan. Erstens sah Marion nach kürzester Zeit völlig devastiert aus. Und zweitens: Wer solcherart schwitzt, wird viel trinken müssen. Ergibt unvermeidlichen Blasendruck. Als es bei Marion soweit war, versammelten sich die Kolleginnen vor der Damen-Toilette und versperrten ihr kichernd den Zugang. Sorry, es heißt der Esel und nicht etwa die!

Was blieb Marion schon großartig übrig in ihrer Not? Also schnell hinein zu den Herren. Dass dort gerade Humbold stand und sich erleichterte, machte die Sache nicht einfacher. Er, wie gesagt, ein ganzer Mann. Nur hätte er sich Marion gerne in einem passenderen Ambiente präsentiert. Mit Kerzenschein und klassischer Musik zum Beispiel - aber sicher nicht vor der beige gekachelten Urinal-Wand im Landgasthof „Zum Schwarzen Raben“.

Bedenke auch, dass Marion bereits seit über einem Jahr wieder im Lande war. Und keiner seiner zahlreichen Annäherungsversuche ist bislang erfolgreich gewesen. Ein frustrierendes Ergebnis. Dass diese Beziehungsdinge immer so schwierig sein mussten… Lieber Humbold, ist man versucht zu sagen, so schlimm kann es für dich nicht gewesen sein. Wenn man dem Gemunkel im Büro trauen darf, hast du dir die Warterei versüßt. Anwärterinnen aus der weiblichen Belegschaft ohne Ende, und nicht zu vergessen deine Verlobte.

Doch zurück zu den Geschehnissen vor der Toilette im „Schwarzen Raben“. Dort amüsierte sich eine Traube weihnachtlich angeheiterter Kolleginnen. Plötzlich seltsame Geräusche aus dem Inneren. Die Damen riefen nach dem Betriebsleiter. Er sollte für Recht und Ordnung sorgen, wozu hatte man sonst einen Chef.

Unter Gejohle schoben sie Herrn Bosch durch die Türe in die Sanitäranlage. Dort bot sich dem Armen eine delikate Situation: Marion im Eselkostüm, an die Hinterwand gedrückt und wild um sich schlagend. Davor Humbold, verzweifelt an ihrem Reißverschluss fingernd. Dieser offensichtlich verklemmt, also der Reißverschluss. Wahrscheinlich ein Billig-Import aus China. Wenn der Zipp schon nach einer einzigen Krippenaufführung den Geist aufgibt, kann das nur Ramsch sein. Andererseits auch ganz praktisch: das Eselkostüm als Ganz-Körper-Kondom.

Herr Bosch zögerte. Wünschte sich spontan nach Hause in seinen Lieblingsfauteuil vor dem Kachelofen. Die Füße ein bisschen hoch lagern, den Abend leise ausklingen lassen. Aber das spielte es jetzt nicht, da war nichts zu machen. Herr Bosch fasste sich ein Herz und setzte ein paar Schritte in Richtung Raummitte.

Das Klappern der Ledersohlen hallte von den gefliesten Wänden wider und Humbold fuhr herum. Ließ seine Arme sinken. Erkannte im Bruchteil einer Sekunde die Optik, in die er sich hinein manövriert hatte. Noch dazu vor seinem Schwiegervater in spe. Ein Gedanke stand ihm glasklar vor Augen: rascher Abgang. Ein Mann muss wissen, wann seine Zeit gekommen ist.

Inzwischen nützte Marion die Gelegenheit und verschwand in einer der Kabinen. Den Geräuschen nach zu urteilen schaffte sie es, sich mit Brachialgewalt aus den Zwängen ihres Reißverschlusses zu befreien. Es folgte ein erleichterndes Plätschern… Blieb noch Herr Bosch übrig, alleine mitten in der WC-Anlage.

Im Hintergrund tropfte ein Wasserhahn, dazu die gedämpften Polkaklänge aus dem Veranstaltungssaal. Wie ein einsamer Ozeandampfer kam sich der Betriebsleiter jetzt vor, wie ein winziger Punkt auf dem endlosen Horizont. Von fern das Tuten der anderen Schiffe. Dazwischen Dunkelheit, Fremdheit und Schweigen. Ein Nichtverstandenwerden, ein Nichtverstehen…

Regungslos verharrte Herr Bosch in der Raummitte. Längst war Marion aus ihrer Kabine gehuscht und an ihm vorbei durch die Türe verschwunden. Nichts denken, nichts tun… Das kann manchmal so erleichternd sein. Schließlich entschloss er sich doch für das Naheliegende. Wenn er denn schon einmal hier war.

Marion und Humbold

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