Читать книгу Marion und Humbold - Julia Gruber - Страница 6

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Ein ganzer Mann ist aus Humbold geworden, das muss Marion zugeben. Mit Schultern und allem. Wenn er den Raum betritt, werden die Gespräche der Kolleginnen plötzlich sehr wichtig. Dazu die richtige Pose: Beine, Dekolleté, Augenaufschlag,… Marion ist ja nicht blind.

Dabei hat sie sich anfangs so gefreut, Humbold wiederzusehen! Ihr kleiner Bruder. Der liebe Junge aus dem Heim, der ihr beim schweren Abschied von Viktor zur Seite gestanden ist. Sie waren einmal so vertraut miteinander… Alles vor ihrer Versetzung nach Schleswig-Holstein. Vier lange Jahre in der Fremde haben sie eben verändert - warum will Humbold das nicht wahrhaben?

Als Marion nach Österreich zurückkehrte, hatte sie niemanden. Keine Verwandten mehr und die wenigen Freundschaften verloren. Auch die Landschaft ihrer Kindheit, nach der sie sich in der Ferne so verzehrt hatte, erschien ihr seltsam fremd. Es war der Gesang des schwarzen Flusses, der ihr damals Trost spendete.

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Du sagst,es braucht noch mehr Ist es nicht genug?Sich selbst verlassenweniger als nichtsMehr als allesDu ruhst in dirohne dich zu beziehenFasst dich mit der Krone an die Wurzelschluckt deine eigene GeschichteSiehst allesdoch kennst es nichtHörst allesdoch weißt nichts vom Lauf der DingeGrenzt dich abdoch grenzt nichts aus* Marion beschloss damals, pragmatisch vorzugehen: zuerst Geld verdienen. Es lag auf der Hand, Frau Gravensteiner um Hilfe zu bitten. Chefin des Kinderheims in Mopping, in dem Marion ihre Jugend verbracht hatte. Gleichzeitig beste Freundin von Frau Bosch, deren Mann die Firma Theuscher & Söhne leitete. Und die war wiederum der größte Arbeitgeber der Gegend und Zulieferer internationaler Automobilfirmen.

Sie bekam eine Stelle in der Buchhaltung, nachdem sie dem Personalverantwortlichen ihre Rechenkünste demonstriert hatte. Gleich am ersten Arbeitstag in der neuen Firma lief ihr Humbold über den Weg. Du auch hier? Was für eine Überraschung! Sie tauschten Neuigkeiten aus, erinnerten sich an vergangene Zeiten. Lachten über dieses und jenes aus der gemeinsamen Heimzeit. Plötzlich seine Hand auf ihrem Oberarm. Früher hatten sie sich oft angefasst, das war gar kein Problem gewesen. Doch jetzt war es anders. Seine Berührung ging ihr bis an die Knochen. Wie ein Schiffbrüchiger an seinem Holzbalken schien er sich an ihr festzuhalten.

In den kommenden Wochen tänzelte Humbold ständig um sie herum. Nahm ihr mit seinen Komplimenten die Luft zum Atmen. Ganz offensichtlich sah er in ihr etwas, was sie nicht erfüllen konnte. Marion fragte Ines um Rat: grau-beige Kleider anziehen, Frisur mit der Nagelschere nacharbeiten, ganz viel Knoblauch essen.

Bloß ließ sich Humbold von diesen Hausmitteln nicht abschrecken. Im Gegenteil, er verstärkte seine Bemühungen. Stand im Aufzug unnötig nahe, Schulter an Schulter. Bis Marion nur mehr die Treppe benutzte. Kam in der Kantine immer an ihrem Tisch, auch wenn andere frei waren. Warf bedeutungsschwangere Blicke. Marion fühlte sich schon wie ein eingesperrtes Tier. Gerade jetzt konnte sie keine zusätzlichen Belastungen gebrauchen. Weil sie sich nach Arbeitsschluss einen lang gehegten Wunsch erfüllte: ein Mathematik-Fernstudium.

Einige Monate später kam überraschend die Beförderung. Herr Bosch begleitete Marion zu ihrem neuen Arbeitsplatz im ersten Stock. Hier keine Großraumbüros, sondern richtige Zweier-Zimmer mit Blick über die Produktionsanlage. Der Betriebsleiter gratulierte seiner Mitarbeiterin zu den hervorragenden Leistungen für die Firma. Sie wäre wahrlich eine Zahlenjongleurin.

Ein bisschen rot wurde Marion schon dabei. Was für ein Tag, was für ein Triumph! Bis ihr neuer Zimmerkollege zur Türe herein kam, und mit ihm die Ernüchterung. Humbold, breitbeinig und mit seinem typischen Grinsen. Ließ sich in den Stuhl ihr gegenüber fallen. Und Marion verstand die Welt nicht mehr: Humbold arbeitete doch in der Materialbeschaffung und sie in der Buchhaltung. Wozu ein gemeinsamer Raum? Das passte überhaupt nicht zusammen.

Die ersten Wochen im neuen Zimmer gestalteten sich wider Erwarten angenehm. Jeder verrichtete seine Arbeit, kurze Besprechungen über berufliche Themen kein Problem. Marion entspannte sich zusehends. Hatte selbst keine Lust mehr auf diese beige-grauen Kleider. Und lachen konnte sie auch. Wenn Humbold das bloß nicht falsch verstand!

Marion und Humbold

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