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Ein neues Familienmitglied

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Während meines Besuches bei Sonja hatte ich an einer viel kleineren Figur zu arbeiten begonnen, denn ich war mit der Anfangsgröße vorsichtiger geworden. „Das wird ein Zwerg,“ dachte ich. Die ganze Heimreise hindurch arbeitete ich in jeder Pause weiter, ich konnte nicht aufhören, unablässig war diese kleine Figur in meinem Kopf und wollte gefilzt werden. Es hatte fast schon Suchtcharakter. Nachmittags machte ich auf der Durchfahrt noch bei meiner Schwester Station, meine Nichte und ihre Familie waren zufällig auch gerade zu Besuch, ein schönes Familientreffen. Ich freute mich, denn wir sahen uns nicht oft. Eigentlich konnte ich außer dem angefangenen Zwerg nichts vorzeigen und meine Angehörigen bedauerten es, denn sie waren neugierig auf meine neuen Filzpuppen, immerhin war ich vier Wochen beschäftigt gewesen und da sollte doch auch was zu sehen sein. Nach dem Kurzbesuch bei der Schwester fuhr ich ohne Halt weiter nach Berlin, denn nun freute ich mich darauf, endlich meine Tochter wiederzusehen und mir meine neue Filzwerkstatt einzurichten. Es war doch alles auch sehr anstrengend gewesen, ich ließ mich nun gerne wieder in das bequeme Netz der Zivilisation fallen.

Meine Tochter empfing mich und wollte natürlich gleich die neuen Puppen sehen. Auch ihr konnte ich nur den angefangenen Zwerg zeigen, dessen Konturen mittlerweile deutlich hervortraten. Sie war sogleich begeistert und wollte ihn unbedingt haben. Und darüber staunte ich schon etwas weniger. Zwar freute ich mich an der Begeisterung meiner Tochter, hing aber gleichzeitig meinen Gedanken nach, denn eigentlich konnte ich es immer noch nicht fassen, dass meine neuen Puppen so viel mehr Anklang fanden als die Alten. Selbstverständlich sollte meine Tochter den Zwerg haben. Wir nannten ihn Theo. Ich hatte auch noch viel Arbeit an der kleinen Figur. Diesmal wurde der Körper richtig fest. Theo bekam eine blaue Jacke und eine schwarze Hose. Der Filzpuppe gab ich nun noch ein typisches Zwergengesicht. Nur die Augen gelangen mir nicht so richtig, die blieben irgendwie seltsam.

An einem der nächsten Tage kam meine Tochter von einem Stadtbummel mit einem grasgrünen Hut zurück. Das sah ihr so gar nicht ähnlich und ich wunderte mich sehr, aber sie beteuerte, der Hut habe nur drei Euro gekostet und sie musste ihn einfach haben. Und sie sah damit so witzig aus, dass ich dachte, ihr Filzzwerg sollte auch so einen grünen Hut bekommen. Gleich machte ich mich daran und der kleine Kerl sah mit dem grünen Hut ganz perfekt aus. Theo war damit auch erst einmal fertig und ich betrachtete mein Werk stolz von allen Seiten. Ich war das erste Mal wirklich zufrieden.

Einige Zeit später rief meine Nichte Jennifer an, von der ich bereits wusste, dass sie ab und zu hellsehen konnte, denn als ich ihr im Jahr zuvor eine Einweihung schenkte, fragte Jennifer danach unvermittelt:

„Und wer waren die vier Männer, die um uns herumstanden?“

Ich hatte niemanden gesehen und konnte nur vermuten, dass es sich um Engel oder aufgestiegene Meister gehandelt habe. Und meiner Nichte war ich das letzte Mal bei meiner Schwester begegnet. Unvermittelt fragte Jennifer nun:

„Hattest du eigentlich den Kobold mitgebracht bei deinem Besuch?“

Ich war erstaunt, an Kobolde hatte ich seit dem Ausflug mit Barbara nicht mehr gedacht, die waren doch mit dem Tor im Park bei der Fontäne geblieben. Und ich hatte Jennifer auch noch nichts von diesen neuen Erlebnissen erzählen können, denn bei der Schwester wollte ich davon nicht anfangen. Wie kam sie jetzt auf einen Kobold?

„Hast du dich nicht gewundert, dass diese CD verschwunden war?“ fragte sie mich nun, „und danach der wichtige Zettel und dann klebte der Boden von Limo, obwohl jeder von uns beteuerte, dass er nichts umgeschüttet habe?“

„Ja und?“ fragte ich, „keine Ahnung, was da war.“

„Ich sah ihn auf der Lampe schaukeln!“

„Wen, den Kobold?“ Ich ließ mich vorsichtig darauf ein. „Wie sah er denn aus?“

Und als Jennifer ihn beschrieb, stand mir erst einmal der Mund weit offen.

„Etwa 60 cm groß, schwarze Hose, blaue Jacke und grüner Hut.“ Als ich meine Schwester besuchte, war mein kleiner Filzzwerg doch noch nackt gewesen! Aber um den handelte es sich doch offensichtlich, eine andere Erklärung fiel mir dazu nicht ein.

Was lief da? Hatte ich einen Kobold mitgeschleppt? Ja natürlich, jetzt fiel mir der Korb wieder ein, den Barbara auf keinen Fall wieder mit in die Wohnung nehmen wollte. Und hatte der Kobold dann irgendwie dafür gesorgt, dass ich ihn als Puppe machte? War es Theo, der mich unterwegs so angetrieben hatte, dass ich an kaum etwas anderes denken konnte als ans Filzen? Offensichtlich. Es musste wohl so sein. Also war es kein Zwerg, sondern ein Kobold. Und ich hatte eine Filzpuppe genadelt, die genau so aussah wie ein unsichtbarer Kobold. Waren das dann gar nicht immer meine Gedanken, solche Impulse wie, „dem Zwerg solltest du auch so einen grünen Hut machen“ sondern die mir eingegebenen Ideen des Koboldes? Dann hatte der Kobold meine Tochter auch bestimmt erst zu dem Hut verleitet! Und wieso gab es gerade diesen grasgrünen Hut für nur 3 Euro zu kaufen und meine Tochter fand den auch noch beim Stadtbummel im großen Berlin? Denn mehr Geld hätte sie nie dafür ausgegeben.

Schließlich blieb ich aber wieder an dem Gedankenphänomen hängen: Wie sollte ich denn dann unterscheiden, was ich selbst dachte? Und ich erkannte die Tragweite dieser Feststellung: Was, wenn ich meistens gedacht wurde, statt selbst zu denken? Wie erkannte ich das? Hej, ich hatte zwar einen Burn-Out und seitdem ein paar Handycaps, aber ich war immer noch intelligent! Oder? Dass sich da ein ungebetener Gast einfach in meine eigenen Gedanken einschmuggeln konnte, das war neu und fühlte sich ziemlich gefährlich an. Wenn ich dagegen bewusst mit Sanat Kumara plauderte, wusste ich ja auch, der war da, und der kam auch nur, wenn ich ihn ausdrücklich darum bat. Es gab da wohl auch Besucher, die diese Zurückhaltung und Diskretion vermissen ließen, die einfach in ein Haus (meinen Kopf) einstiegen, wenn auch nur irgendwo ein Fenster offenstand.

In der Meditation am Abend befragte ich meinen Freund von der Venus und der bestätigte mir, dass es ein Kobold sei. Und er informierte mich weiter darüber, dass der kleine Kerl mit der Puppe nun ein Tor gefunden habe, um wieder nach Hause zurückzukehren, und gleichzeitig einen Anker, damit er sich in dieser ihm fremden Welt nicht verirrte oder verlief.

Ich musste unvermittelt an Pumuckel denken. Mit einer Filzfigur hätte er sich also nicht verlaufen können – einfach an die Figur denken und schon wäre er zurück? Dann gab es Kobolde nicht nur in Kinderbüchern und Filmen? Es musste doch mehr unter diesem Himmel geben, als ich bisher in meiner beschaulichen Selbstzufriedenheit angenommen hatte. Ich überhörte dabei irgendwie, dass auch das erste Mal in Zusammenhang mit meinen Puppen von einem Tor die Rede war. Tore waren doch große Löcher in der Wand und wellig, nicht dicht und fest wie meine Filzfiguren, oder? So vergaß ich diesen Teil von Sanat Kumaras Bemerkung, denn ich verstand ihn einfach nicht.

Zu unserer Familie gehörte nun also auch ein Kobold namens Theo, und weil ich mit Kobolden noch keine Erfahrung hatte, machte ich ihm vorsichtshalber eine klare Ansage, wie er sich zu benehmen habe. Da kam der Lehrer wieder in mir durch. Aber eigentlich wollte ich doch keine Verantwortung mehr und es war mir schon recht, wenn meine Puppen nicht bei mir blieben. Doch ich freute mich auch über jede Puppe und vor allem: Es war mir nicht mehr langweilig. Ich brauchte kein Kino, kein Fernsehen und keine Bücher mehr, denn nun kamen wöchentlich neue Filzlinge hinzu. Und als die Schulferien zu Ende gingen, fuhr meine Tochter wieder ohne Filz-Kobold zurück ins Internat. Theo hatte sie in ihrem Zimmer oben auf die Leiter zum Hochbett gelassen und ich vergaß den Kobold übers Filzen der nächsten Puppen ganz.

Hurra, die Lichtfilzlinge kommen

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