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Mister Perfekt

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Auf meinen täglichen Ausflügen durch die verwinkelten Täler machte ich mir Gedanken über einen Partner. Ich war nicht freiwillig alleine, es hatte sich einfach so ergeben. Mir fehlte ein Mann an meine Seite. Und wenn es mir schlecht ging, wurde mir das immer besonders schmerzlich bewusst. Ich steigerte mich hinein und stellte mir schließlich vor, Mister Perfekt käme einfach den Waldweg entlang. Jeder Zufall war möglich, warum nicht dieser und jetzt? Vor allem jetzt, denn meine Geduld war erschöpft, ich lebte schon so lange alleine. Ich wollte ihn! Ich wollte endlich einen Partner!

Manchmal zogen einzelne Wanderer oder kleine Grüppchen in einiger Entfernung am Waldrand vorbei, ich grüßte freundlich. Ein älterer Herr sprach mich schließlich an, nachdem er schon mehrmals vorbeispaziert war. Er staunte, dass ich alleine im Wald lebte – und das machte ihn neugierig. Ich erzählte ihm von meinen Filzexperimenten und dem Problem mit dem Ofen. Er half mir sofort und der Ofen zog danach prima.

Mittlerweile war ein Großteil der Wolle gewaschen und hing zum Trocknen auf Schnüren unter den Bäumen. Ich begann mit dem Nadelfilzen. Ich musste es mir selbst beibringen, nur die Anleitung einer Bastelpackung stand mir zur Verfügung. Der Bastelbär wurde ganz ordentlich und ich schenkte ihn meiner Freundin. Der erste Nassfilzversuch ging allerdings daneben, es entstand ein Gesicht mit Knollennase und schiefen Gesichtszügen. Ich befestigte die Maske an einem Baum. Als Ulla nachfragte, behauptete ich, das sei der Schutzgeist für die Werkstatt. Aber ich sagte das nur so daher und dachte mir nichts dabei. Noch gründlicher scheiterte ich mit dem Versuch einen Tierkörper nass zu filzen. Da gab ich gefrustet auf und griff erneut zur Nadel. Unter meinen Händen entstand eine kleine Frau, während ich weiter in meinen Partnerträumen schwelgte. Für die Puppe brauchte ich einige Tage, es wollte alles nicht so recht gelingen. Ich filzte ihr ein feuerfarbenes Kleid direkt auf den Körper und gab ihr langes blondes Haar. Das Gesicht klappte nicht, besonders schön war sie nicht, ich musste doch die Nase rümpfen. Dennoch, als Erstversuch konnte ich leidlich zufrieden sein. Meiner ersten Filzpuppe gab ich den Namen „Feuerfrau“.


Die Puppe war das Gegenteil von mir, nämlich schlank und blond. „Feuerfrau“ bedeutete, dass diese Frau so attraktiv war, dass sie einen Mann auf sich aufmerksam machen und an sich binden konnte. Viele Jahre vorher hatte ich meine Erfahrungen so ausgewertet, dass mir genau das fehlte und ich deshalb alleine sei: Ich konnte entweder den richtigen Mann nicht anziehen oder ihn nicht binden.

„Du brauchst mich nicht wirklich,“ hatte einer schon fast vorwurfsvoll beim Abschied gesagt, als die erste Verliebtheit sich gelegt hatte und die Beziehung eigentlich hätte beginnen können.

Und meistens gab es dann eine andere oder sie tauchte mit Sicherheit gleich auf, und die brauchte ihn viel mehr. Nun sollte es mir endlich gelingen, nicht nur einen Partner zu finden, nein, der sollte auch noch bleiben! Ohne weiter darüber nachzudenken, was ich da herum fantasierte und ob das auch meinen jetzigen Einsichten entsprach, filzte ich munter weiter, denn die Puppe war noch so locker und lose. „Feuerfrau“ stand auch für das Gegenteil meiner psychischen und körperlichen Trägheit, in der ich mit dem massigen Körper so dahinlebte, während ich früher ausgesprochen gerne tanzen ging oder schwimmen oder spazieren. Aber je schwerer mein Körper geworden war, umso lustloser fühlte ich mich auch, und der Nervenzusammenbruch hatte mich ja dann fast ganz stillgelegt.

Irgendwann tauchte der hilfsbereite ältere Herr wieder am Rande der Lichtung auf, diesmal wurde er von einem zweiten begleitet. Und sie kamen gezielt auf mich zu. Ich freute mich über diese Abwechslung und bot ihnen Stühle an, arbeitete dann aber an der Filzpuppe weiter. In der folgenden Unterhaltung, die freundlich und nett eine ganze Weile so dahinplätscherte, wurde mir dann ganz langsam klar, dass mein Ofenreparateur mich mit dem anderen Mann verkuppeln wollte. Das schmeichelte mir erst einmal und ich ließ die Unterhaltung belustigt weiterlaufen. Ich musterte seinen Begleiter. Dieser Partnerkandidat, ein Ex-Matrose, schien durchaus sympathisch und im Gegensatz zum Älteren war er alleinstehend, auch Frührentner und in etwa gleich alt, aber sonst passte auch nichts zwischen ihm und mir. Nein, der nun wirklich nicht, der lebte doch in einem völlig anderen Bewusstsein! Und in mir dämmerte es: Jetzt war also wirklich ein Mann den Waldweg dahergekommen, auf Brautschau, und auch noch gezielt zu mir. Ja, er wurde sogar von einem Nachbarn gebracht, damit er mich auch ja nicht im Wald verfehlte.

Eigentlich entwickelte sich das ganze Gespräch von Seiten der Männer auch so gezielt abtastend und neugierig, als sei ihr Besuch die Antwort auf eine Annonce in der Zeitung. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Ich hätte annehmen können, dass es Zufall sei, dass die beiden Männer in einer Angelegenheit vorbeikamen, die ich mir vorher puppenmachend erträumt hatte. Aber wie wahrscheinlich war das mitten auf einer Lichtung im Wald und in einiger Distanz zum vorbeiführenden einsamen Waldweg? Und dann verhielten sich die beiden auch in aller Selbstverständlichkeit noch ganz konkret so, als wäre ihr Besuch die Antwort auf meine Anzeige zur Partnersuche. Es war allzu offensichtlich, zumindest sehr wahrscheinlich, dass mein Filzen der Feuerfrau und meine Träumereien sich vermischt hatten und damit die beiden Männer gerufen wurden.

Unerklärlicherweise wurde ich genau bei dieser Erkenntnis von Übelkeit geradezu überwältigt. Ich fühlte mich schmutzig und meine Gedärme drehten sich förmlich um. Über meine Gedanken legte sich ein wirrer Schleier und ich konnte mich nicht darüber freuen, obwohl ich mir das doch genauso ausgemalt hatte. Gleichzeitig verließen mich die Kräfte und es gelang mir nur noch unter größter Anstrengung mich aufrecht zu halten. So bemühte ich mich höflich, die beiden schnellstens loszuwerden, ohne sie zu kränken, aber dennoch mit großer Klarheit, damit sie sich keine weiteren Hoffnungen machen würden. Als die Männer wieder von dem Waldweg verschluckt wurden, ging es mir kaum besser, die Übelkeit blieb und nun machte ich mir selbst zusätzlich noch Vorwürfe und verurteilte mich maßlos überzogen wegen meiner Dummheit, darin war ich besonders gut. Mein innerer Zensor fiel geradezu über mich her. Ekel und Übelkeit, die neben dem Gefühl von braunem Schmutz in Schüben immer wieder in mir hochstiegen, verschlimmerten meinen Zustand weiter. Ich erklärte es mir damit, dass ich wohl einen großen Fehler gemacht hatte. Was hatte ich falsch gemacht? Durfte ich nicht mehr träumen?

Lange lag ich heulend und sehr beschämt in meiner Hängematte, dann rief ich meinen Freund Sanat Kumara um Hilfe und bat ihn um einen Kommentar zu meinen Vermutungen. Seine Strenge trug ein Übriges zu meiner elenden Verfassung bei, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Er blieb wortkarg und kühl und sagte nur mehrmals betont langsam und eindringlich:

„Eh-Yh-Ra, schau, womit du dich verbindest!“

Da gab es etwas sehr Wichtiges, was ich offenbar noch nicht verstanden hatte. Konnte ich denn wirklich die Macht haben, einen Partner herbeizurufen? So ein Quatsch! Oder doch? Und warum wurde mir dabei so unglaublich übel? War ich etwa verantwortlich für das, was ich dachte und konnten meine Gedanken etwas bewirken? Es sah fast so aus. Oder lag es an den Gefühlen? Denn ich hatte mich ja auch ganz schön emotional hinein gesteigert in meine Träumerei. War dann womöglich nicht einfach alles in meinem Leben einem unabwendbaren Schicksal überlassen, das über mich hereinbrach, konnte man Schicksal beeinflussen? Und zwar auf ganz andere Arten, als ich bisher angenommen hatte? Denn schließlich ging ich doch davon aus, dass man eine Kontaktanzeige konkret handelnd und zahlend in einer Zeitung oder im Internet veröffentlichen müsste.

Und zuerst hatte ich mich ja auch einfach ungläubig über den Besuch amüsiert, aber dann reagierte mein Körper mit so viel Übelkeit, woher kam das denn? Wenn ich mein Glück zwingen wollte, war das doch Manipulation, oder? Vielleicht wurde mir deshalb so schlecht? Oder auch nur, weil ich so dumm war und mir nicht das wirklich brauchbar Richtige und Gute für mich wünschen konnte? Aber ich hätte ja auch im Leben nicht gedacht, dass meine Gedanken und Gefühle Einfluss auf mein Schicksal nehmen könnten! Und das konnten sie bisher doch auch nicht, oder? Ich hatte doch einfach nur gefilzt und ging spazieren, da war doch nichts dabei. Und wusste ich überhaupt, was ich brauchte und wie mein Partner sein sollte?

So wie dieser Mann, der ja nun tatsächlich den Waldweg entlang zu meiner Hütte fand, jedenfalls auf gar keinen Fall. Und mir fielen Szenen ein aus meinem Lieblingsbuch „Die Nebel von Avalon“, wo Igraine zauberte, indem sie sich durchs Weben in eine Trance versetzte. Igraine konnte dabei hellsehen und ihren Liebsten sogar vor einem Komplott warnen. War das Filzen nicht genau so eine monotone Tätigkeit und konnte ich das nun auch? Gab es so etwas wirklich und konnte ausgerechnet ich das?

Ich versuchte mich erst einmal zu beruhigen, ging spazieren und ordnete meine Gedanken und Gefühle. Ich wollte verstehen! Wieder zurück in der Hütte nahm ich mein Schreibzeug und bat Sanat Kumara erneut um einen Kommentar zu meinen Vermutungen.

Und er bestätigte mir, ich hätte tatsächlich diesen Mann gerufen, und die Erfahrung selbst sei das Ergebnis einer Mischung aus Trieben, Ängsten, Manipulationen und Bedürfnissen. Und diese Erfahrung würde genau meine Gedanken und Gefühle während des Filzens widerspiegeln. Ich blieb vor allem an dem Wort Manipulation hängen. Ich musste zugeben, dass ich früher schon ab und zu gerne mit den Gefühlen der Männer gespielt hatte und es genoss, dass diese mich begehrten. Vor allem an Fasching. Das war schließlich einfach nur harmloses Flirten! Ich hatte ein wenig Macht über sie besessen, zumindest jenseits ihres Verstandes über die Triebe, und jede Menge Spaß damit.

Nun fiel mir ein, was ich über andere Kulturen gelesen hatte: Gab es einen realistischen Hintergrund für Liebeszauber? Bislang hatte ich das als Irrtum von Naturreligionen abgetan und ziemlich überheblich belächelt, denn ich war immer ein rationaler Verstandesmensch gewesen. Ging das vielleicht wirklich? Und was noch wichtiger war: Konnte ich das, ausgerechnet ich? Und durfte ich das? Wollte ich das? Denn ich hatte mir auf meinem Weg geschworen, meine Macht nicht – nie mehr – zu missbrauchen. Zumindest hatte ich mich so entschieden, nachdem ich mich in den letzten Jahren wieder an mehrere Situationen in diesem und in anderen Leben erinnern konnte, wo ich heftig manipuliert und meine Macht ganz schön zu meinen Gunsten und auf Kosten anderer genutzt hatte und dann erkennen musste, dass genau diese Handlungen die Ursache waren für bestimmte extrem gravierenden Probleme in meinem jetzigen Leben. Letztendlich hatte ich mir damit immer nur selbst geschadet! Immer! Und das wollte ich nie wieder. Keine Manipulation mehr, keinen Machtmissbrauch.

Die Feuerfrau war eine Flirtfrau, das erkannte ich nun. OK. So wollte ich nicht sein. Ich musste mir meine Attraktivität nicht mehr beweisen. Und dann hatte meine Art zu leben, meine Ess-Sucht und der Zahn der Zeit ein Übriges getan. Um diese Art von Manipulation musste ich mir keine Gedanken mehr machen. Das hatte sich erledigt, ein Blick in den Spiegel genügte.

War mein Aussehen dann eine Strafe Gottes für die viele Flirterei? Quatsch, Gott war Liebe. Denn wenn ich tief durchatmete, ganz bei mir selbst war und meinen Blick durch das sonnige Tal schweifen ließ, fühlte ich mich gleich eins mit ihm, und spürte genau, dass Gott mich liebte, ja ich hatte manchmal sogar das Gefühl, dass er besser für mich sorgte, als ich das selber konnte.

„...wenn du dich nur nicht immer einmischen würdest,“ setzte mein zweites, mein neues Ich plötzlich diesen Gedanken fort, und dieses Ich meldete sich eigentlich nur selten.

Waren es immer nur meine eigenen Wünsche, Vorstellungen und Bedingungen ans Leben gewesen, die Komplikationen hervorriefen oder meine Wahrnehmung so trübten, dass ich das nicht schon früher bemerkt hatte? Oder weil ich nicht schon früher aufs Filzen gekommen war? Hinderte ich mich selbst am Glücklichsein? Wäre dieser Partner dann schon längst da, und ich hatte das mit meiner eigenen Gedanken-Verknoterei nur verhindert? Ich war einigermaßen durcheinander.

Oder war es einfach mein Schicksal, alleine zu bleiben, und ich sollte mich endlich damit abfinden, das gab es bei älteren Damen ja oft. Denn schon alleine die unterschiedliche statistische Lebenserwartung von Männern und Frauen sorgte doch dafür, dass mit jedem Lebensjahr der gleichaltrige Frauenüberschuss größer wurde, außerdem verteilten sich viele Männer dann auch noch um auf jüngere Frauen.

Sollte ich Gott vertrauen und mir nichts mehr selber wünschen? Aber gerade hatte ich doch erfahren, dass ich mit irgendetwas, was beim Filzen passierte, tatsächlich Einfluss auf mein Leben nehmen konnte, und zwar ziemlich irre, so wie ich es nicht für möglich gehalten hatte! Es faszinierte mich ja auch irgendwie, dass da tatsächlich ein Mann den einsamen Waldweg heraufgekommen war in Art einer Kontaktanzeige! Die beiden Ichs in meinem Kopf schauten sich fragend an und ich nahm diesen Zustand mittlerweile mit Gelassenheit hin.

Hurra, die Lichtfilzlinge kommen

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