Читать книгу Hurra, die Lichtfilzlinge kommen - Julianne Becker - Страница 9

Das neue Talent

Оглавление

Kopfzerbrechen bereitete mir dann auch noch die Puppe selbst, denn sie war ja nun mal entstanden und saß auf der Bank, ich konnte die Filzerei nicht wieder ungeschehen machen. Sorgenvoll betrachtete ich sie. Ohne zu wissen, was da noch alles dahintersteckte, konnte ich sie nicht einmal einfach wegwerfen. Was würde dann passieren? Würde damit jede Chance auf einen Partner ebenso im Müll landen? So filzte ich vorsichtshalber an ihr weiter, mit mehr Sorgfalt, wo ich mit meinen Gedanken war und bemühte mich dabei innerlich um Frieden und Freude.

Bei meinen Spaziergängen dachte ich weiter darüber nach, nun aber vor allem um das richtige Wünschen. Einerseits gab es da Literatur, die mir nahelegte, in die eigene Kraft zu gehen und selbst „richtig“ zu manifestieren, was bedeutete, mir noch mehr Gutes zu erträumen, während ich mich gleichzeitig dankbar fühlen sollte, und es danach wieder vollkommen zu vergessen. So jedenfalls hatte ich es verstanden. Von Filzen hatte da übrigens keiner geredet, das musste ich wohl selber herausfinden. Andererseits kannte ich Bücher, die dazu ermunterten, sich in Demut hinzugeben und alles Gott allein zu überlassen.

Zumindest ich hatte nicht richtig manifestiert, sondern so, dass mir dabei übel wurde. Ich lebte seit über zwanzig Jahren alleine und eine Partnerschaft hätte mir so viel bedeutet! Wie oft hatte ich die Hoffnung wieder begraben müssen! Durfte ich mir diesen Partner nun wünschen oder nicht? Konnte ich überhaupt wissen, was ich brauchte? Wie viele Männer hatte ich kennen gelernt, mich in sie verliebt – um am Ende doch die Hoffnung auf eine Partnerschaft wieder begraben zu müssen.

Ich ging mein ganzes angelesenes esoterisches Wissen durch und ebenso meine kompletten Erfahrungen aus einschlägigen Seminaren und fand in der Erinnerung eine Übung mit der violetten Flamme der Transformation und Wandlung. Mit der konnte man Räume reinigen oder karmische Reste aus der eigenen Aura entfernen, man musste sich dabei nur in einem Ritual eine lodernde violette Flamme vorstellen. Und die Aura war das Feld, das jeden Menschen umgab.

Mich brachte das auf die Idee, die Filzpuppe auf die gleiche Weise mit der violetten Flamme zu klären und zu reinigen und so stellte ich mir vor, dass ein violettes Feuer eine Zeit lang durch die Puppe loderte. Es war wie das Spielen in der Kindheit, ich machte das in der inneren Vorstellung. Danach fand ich endlich wieder Ruhe in meinem Innern, und das Reinigen und Klären meiner neuen Puppen behielt ich von da an bei und vollzog immer ein kleines Ritual am Ende, nur dass ich irgendwann die Farben änderte, aber das kam erst viel später. Ich machte das vorsichtshalber, denn wer wusste schon so genau, wo er die ganzen vielen Stunden monotoner Filzarbeit mit seinen Gedanken war.

Als nächstes experimentierte ich mit dem Filzen von größeren Flächen. Ich kniete dazu über meine Woll-Plastikrollen gebeugt im sonnenbeschienenen Gras und rollte sie hingebungsvoll mit meinen Armen hin und her. Ich roch nach Schaf – war ich nicht auch selber eines? War das nicht die perfekte Zusammenfassung aller Erlebnisse hier in der Hütte? Was kümmerte es mich, ob ich einen Partner fand, es ging mir doch auch ohne gut. Man konnte sein Glück nun mal nicht zwingen. Mit diesem Gedanken kam meine gute Laune zurück. Aber ich hatte da auch ein neues Talent in mir entdeckt. Natürlich weigerte ich mich es Zaubern zu nennen, denn Zauberer waren in meinen Augen besondere, magische und sehr abgehobene und unerreichbare Übermenschen und die gab es außerdem nur in Mythen und Märchen. Mein neu entdecktes Talent des Puppenfilzens aber musste etwas ganz Gewöhnliches sein, denn wenn ich das konnte, dann konnte das jeder. Davon war ich überzeugt, denn ich wusste genau, dass ich niemand besonderes war.

Vielleicht hatte es damit zu tun, dass ich bei der Feuerfrau mit der Nadel gefilzt hatte und es war vielleicht nur eine Frage des Wissens wie, etwa so wie dieses räumliche Sehen lernen auf den 3-D-Bildern, die nur aus Mustern bestanden. Da hatte ich mit ein wenig Übung auch gelernt, den Fokus der Augen so zu verändern, dass die Muster plötzlich ein sinnvolles dreidimensionales Bild ergaben. Und so beschloss ich, die Sache gründlich zu erforschen und viel vorsichtiger damit zu sein, wie ich mit meinen Gedanken und Gefühlen umging, statt einfach nach Lust und Laune so vor mich hin zu filzen. Dieses Filzen machte vermutlich die Gedanken und Gefühle irgendwie wirksamer.

In mir war der Forscher erwacht und lief auf Hochtouren, nun, ich hatte ja auch sonst nichts zu tun. Und dann fühlte ich mich auch verantwortlich für das entdeckte Talent, etwa so, wie ein Boxer für den Einsatz seiner Fäuste. Nun, ich wollte jedenfalls die positive Wirkung maximal nutzen lernen und dabei auf keinen Fall manipulieren, sprich: Niemals negativ wirken. So war ich eben, ich wollte immer alles richtig machen. Also wollte ich dann eigentlich ja doch zaubern lernen, auch wenn ich mich weigerte, es so zu nennen, und schließlich war ein Versuch ja noch gar nichts. Ich behielt es im Auge.

Am Ende meiner Zeit im Tal hatte ich die stinkende Wolle satt und beschloss, in meiner Wohnung nur noch unter sauberen Bedingungen weiter zu machen. Ich verpackte die gewaschene und getrocknete Wolle, verstaute auch die kleine Werkstatt und die Feuerfrau, nur die Maske aus Wolle gab ich der Natur bewusst zurück. Ich forderte die Vögel auf, sich für den Nestbau zu bedienen und bedankte mich bei allen Elementen und der ganzen Natur und natürlich auch bei Ulla. Ich war glücklich hier gewesen. Nun trat ich die Heimreise an, aber mit einem kleinen Umweg, um ein paar liebe Menschen zu besuchen.

Später hatte ich dann noch weitere Einsichten: Das mit dem Flirten sah ich viel gelassener. Es war doch einfach nur menschlich, und wie sonst sollte sich ein Kontakt herstellen lassen! Es ging doch nur darum, dass ich mich nicht extra als Appetithäppchen zurecht machte (und mit entsprechenden Gedanken und Gefühlen meine Angeln auswarf), sondern ganz natürlich blieb und mir selbst in jedem Augenblick treu, dann war es keine Manipulation, dann war es das Leben selbst, ein Austesten der gemeinsamen Anknüpfungspunkte zwischen Menschen.

Und erst ganz am Ende meines Weges erkannte ich mit großer Betroffenheit, wie sehr ich mir vor allem mit Flirten und Nettsein selbst geschadet hatte und dass meine Übelkeit eine ganz andere Ursache hatte, aber wir wollen nicht vorgreifen. Fest stand jedoch schon damals für mich: Mit dem Zusammenbruch war in mir jegliches Feuer erloschen. Ich hing einfach nur rum. Ich besaß volle Gedankenkraft, wenn auch ziemlich löchrig und durcheinander (Luft), schwamm manchmal sogar mit der Flut meiner Gefühle weg (Wasser) und aß, was das Zeug hielt (Erde). Mit diesem Rückzug ins Tal, dem täglichen Feuermachen und dem Filzen der Feuerfrau hatte ich in mir selbst wieder mein Lebensfeuer entfacht, den Spaß am Leben, und dieser hat mich seitdem nie mehr verlassen.

Hurra, die Lichtfilzlinge kommen

Подняться наверх