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Der Anfang vom Filzen

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Zu Beginn meiner Karriere als Handarbeitslehrerin hatte ich in zusätzlichen Kursen Wolle färben, spinnen und weben gelernt, nur um das Filzen machte ich immer einen großen Bogen, ich dachte dann gleich an Filzpantoffel oder Hüte und nicht an Puppen. Dabei hatte ich zeitweise eine Macke mit Hüten entwickelt und trug abwechselnd einen von 26 aus meiner Sammlung. Nun erfuhr ich, dass es zwei Grundtechniken gab, das Nassfilzen und das Nadelfilzen, aber mittlerweile explodierten die Ideen der Filz-Kreativ-Szene und es entwickelten sich viele abgeleitete Verfahren, wie ich im Internet herausgefunden hatte. Und eine Dame machte daraus Puppen, die waren einfach grandios! Das wollte ich auch können, so gut wollte ich sein. Sobald es mir wieder auch nur etwas besser ging, suchte ich leider gleich nach dem nächsten Hamsterrad!

Aber mein Körper machte mir diesmal sofort die Grenzen klar, der hatte sich offensichtlich entschieden, dass er sich vor meinem Ehrgeiz schützen musste. Nun, trotz der Handicaps besuchte ich unter höchster Anstrengung, denn man musste stehen, drei Einführungskurse: Eine Fläche nass filzen, Schmuck nass filzen und ein Tuch in Nunofilztechnik. Ich kaufte mir Bücher und eine kleine Erstausstattung und beschloss, als nächstes ganz einzutauchen in die Nassfilz-Sauerei mit meiner eigenen Wolle im Gartenhäuschen einer Freundin auf einer Lichtung mitten im Wald. Ich wollte die Wolle fühlen, erleben und mit allen Sinnen begreifen. Und mein Verrücktsein zeigte sich zuerst vor allem darin, dass ich regelrecht vergaß, dass ich doch überhaupt nicht mehr so wie früher konnte. Und es gab dort nicht einmal Handyempfang!

Ich liebte es einfach an der frischen Luft zu sein, mit Wald, Wiese und Wassergraben in der Nähe und mir selber Feuer zu machen. Ich wollte mich möglichst ganz alleine auf meine neue Puppenmacherei konzentrieren, also so wenig Kontakt zu anderen Menschen wie möglich. Und von Symptomen ließ ich mich sowieso nicht lange Bange machen, ich hatte mir in all den Therapien und Anwendungen klar gemacht, dass mein Körper kein Auto war, das man reparieren musste, sondern ein lebender Organismus, der sich selbst heilen wollte, wenn ich nur in die Selbstregulation so wenig wie möglich eingriff. Ich suchte gerne nach Ursachen und Erklärungsmodellen, um ihn darin zu unterstützen, denn wenn man Licht machte unterm Bett, war das Gespenst ja bekanntlich weg, das lag an meinem Hang zu den Naturwissenschaften. Und bei Kopfweh nahm ich einfach eine Tablette, wie alle anderen auch, denn natürlich bin ich keine Heldin und jede Regel hat bekanntlich Ausnahmen.

Die Kraftplätze meiner Heimat hatten mich immer schon besonders stark angezogen, das waren wunderschöne Plätze, wo ich innerlich ganz leer werden konnte und wo meine Probleme einfach verblassten. Allerdings hatte ich auch herausgefunden, dass der Daueraufenthalt in solchen Umgebungen mich absolut unkreativ und lasch werden ließ, da brachten mich die großen Städte ganz anders in Schwung, sie schienen mir irgendwie die Ideenküchen der Menschheit zu sein. Dort wurde man durch die vielen Impulse innerlich sozusagen gargekocht. Man saß förmlich auf einem heißen Spot. Ich fühlte mich darin bestätigt, als ich feststellte, dass die meisten bekannten Künstler einige Zeit nacheinander in mehreren Weltstädten verbracht hatten und erst später eventuell aufs Land zogen, aber dann hatten sie schon ihren unverkennbar eigenen Stil gefunden.

So kam ich zu der Theorie, dass in den großen Metropolen Energie und damit auch Kreativität für jeden verfügbar geradezu aus dem Boden sprudelte und an den Kraftplätzen wieder eingesogen wurde, weil dort die energetischen Feldlinien wieder in die Erde eintraten, ich stellte mir das so ähnlich vor wie bei den Magnetfeldern der Erde. Wenn mir die kraftvolle Großstadt zu viel wurde, brauchte ich die Natur, um die Überdosis an Quirligkeit wieder abzugeben. Und gingen mir die Ideen aus und mein Leben plätscherte einfach so vor sich hin, musste ich zurück in die Großstadt. Mein ganzes Leben verbrachte ich in diesem Hin und Her, einem Spannungsverhältnis, das mich wachhielt und wachsen ließ, was meine Mutter zu dem nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag inspiriert hatte, doch einfach ganz in einen Zigeunerwagen einzuziehen, dann ginge das doch viel leichter. Ich selbst zumindest brauchte beides, es kam aber auch auf die Lebensphasen an, in denen ich mich gerade befand.

Dieses Tal mit Hütte war ein solcher Kraftplatz. Sicherlich gab es auch komfortablere Orte, aber ich war gerade in diesen Ort auch ziemlich verliebt. Wenn sich der schmale Waldweg zu der Lichtung weitete und auf einer winzigen Anhöhe das kleine Häuschen in Sicht kam, ging mir immer das Herz weit auf und ich konnte ganz tief durchatmen. Was war ich doch für ein Glückspilz! Das Haus stand direkt vor dem Wald und hatte zur Sonne hin eine kleine Terrasse. Die Innenausstattung stammte noch aus der Zeit von Ullas Großvater. Den alten Ofen und die große Sitzecke mochte ich besonders, und ich war glücklich über die außerordentliche Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft meiner Freundin, die mir dieses Experiment erst ermöglichte – und mir alles, was ich brauchte, bei ihren täglichen Besuchen herbeischaffte. Wir beide teilten die Faszination für dieses winzige Wiesental mit Hütte.

Am Anfang zog der Ofen nicht richtig, das Ofenrohr saß nicht mehr fest in der Wand. Provisorisch schaffte ich es trotzdem zu heizen, denn es war ausgerechnet auch noch ein sehr verregneter und kühler Sommer. Ich besorgte mir eine große Plane für die Überdachung meiner Draußen-Filzwerkstatt und große Plastikwannen. Nun konnte es losgehen mit dem Filzen; heißes Wasser, Folien, Wolle, eine Automatte aus Gummi mit Riffeln, Schaumstoffplatte und Filznadeln lagen bereit. Ich holte die Wolle aus dem Kofferraum. Sie kam direkt von den Schafen, man roch es und sie war grob verunreinigt durch Kot und Gräser, ein Geruch, den ich für die nächsten Wochen auch selber annahm. Die Regenschauer machte ich mir zunutze, um in den Planen, die sich über den Seilen ausbeulten, Wasser zu sammeln, und das entleerte ich dann in die großen Kübel, lange bevor ich mit Ulla die alte Quelle wiederfand. Die Wolle musste mehrmals gewaschen und die gröbsten Verunreinigungen mit der Hand entfernt werden. Bei einem Kofferraum von Wolle dauerte das eine ganze Weile. Daneben meditiere ich, war rundherum glücklich und tauchte ganz ein in die Erfahrung. Ich spürte, dass alles um mich herum lebendig war, es wuchs, flirrte und schwirrte, das Bio tob(p)te, wie ich das gerne augenzwinkernd nannte. Gott war eigentlich in allem, dachte ich. Und ich fühlte mich eins mit der ganzen Schöpfung.

Manchmal nahm ich mein Schreibzeug und schrieb Fragen auf an meinen imaginären „alten Freund von der Venus“ (so begrüßte der mich die erste Zeit immer), der Sanat Kumara hieß. Und der antwortete mir in meinen Gedanken, was ich dann niederschrieb. Seit meinem ersten Nervenzusammenbruch begleitete Sanat Kumara mich durchs Leben. Eine Dame, die Seelenverbindungen sah und Lebensberatung machte, stellte mir damals Sanat Kumara als meinen Meister vor. Ich wusste mit der Information erst einmal nicht viel anzufangen, aber das, was mir dieser Meister über die Dame mitteilen ließ, berührte mich zutiefst.

Einige Jahre später lernte ich dann selbst mit ihm zu kommunizieren. Ich ließ mir eine Weile Zeit, ihn kennen zu lernen, und was immer er auf meine Fragen antwortete, ich spürte deutlich, dass er mich wirklich gut kannte und besser verstand, als jeder andere Mensch meiner Umgebung, und das war doch erstaunlich. Mittlerweile war er mir ein liebevoller väterlicher Freund geworden. Nie versuchte er mich in irgendeine Richtung zu drängen, so wie die meisten Ratgebenden aus meinem Freundeskreis oder ich selbst leider noch viel öfter. Nie wollte er verehrt werden, immer sprach er von Ebenbürtigkeit, die ich nur vergessen hätte, wie jeder, der hier geboren wurde. Er blieb achtsam und respektvoll gegenüber meinen Prozessen, ließ mich machen, ohne mich jemals zu bewerten oder zu verurteilen, und antwortete mir immer sehr weise auf meine Fragen. Ich spürte seine tiefe Liebe zu mir und begann diese bald zu erwidern. Nur, wo es in meinem Leben hingehen würde, dazu sagte er nach diesen ersten Hinweisen bei der Dame nie mehr etwas, ganz gleich, wie raffiniert ich versuchte, etwas aus ihm heraus zu locken. Er gab nur Kommentare, Impulse und Antworten auf Fragen. Es ging in unserer Lehrer-Schüler-Beziehung nicht um Zukunft. Er wollte, dass ich selbst bewusst entdeckend lerne, und das war mir auch am allerliebsten. Er war ein guter Lehrer und ich konnte das beurteilen. Zu der Filzpuppenmacherei befragt, ließ er sich nur entlocken, dass ich darauf achten solle, womit ich mich verbinde. Damals verstand ich das als einen wohlmeinenden Hinweis, das Meditieren nicht zu vergessen.

Die Beziehung zu einem nicht real anwesenden Mann war übrigens nicht verrückt, denn ich hatte in den Memoiren des großen Psychoanalytikers C. G. Jung gefunden, dass der sich fast sein ganzes Leben lang mit einem imaginären Freund unterhielt. Und bei C. G. Jung handelte es sich schließlich um eine Autorität in Sachen Psyche. Das war also normal, auch wenn es nur wenige wussten und es vielleicht auch nicht so häufig vorkam.

Wenn das Wetter es zuließ, ging ich spazieren, in dieser Umgebung ging es mir nämlich körperlich rapide besser. Ich spürte förmlich, wie das städtische Leben davon floss und dieser Ort mich mit Kraft auffüllte. Eine kostenlose Kur der Elemente sozusagen, denn ich war auch geprägt von der Zeit meiner Hexenforschungen. Im Denken der älteren Naturreligionen standen die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde sehr im Mittelpunkt, allerdings auch beim heiligen Franz von Assisi, wie ich später erstaunt feststellen sollte.

Hurra, die Lichtfilzlinge kommen

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