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ОглавлениеERSTE SCHRITTE: LERN DEN TEXT, DANN KLAPPT DIE ROLLE
Sticks and stones may make your Vosne; but grapes will never hurt you.
JUSTIN G. LEONE
Der Baum, der sich nicht lumpen lässt: Ein Weinvokabular aufbauen
Vielleicht ging es Mister Miyagi ja nicht nur um billige Hilfe im Garten, als er den armen Karate Kid den ganzen Tag seine Bonsais schneiden ließ. Vielleicht wollte er etwas Bestimmtes. Ich lasse meine Schüler genau dasselbe machen, nur mit ihren Geschmacksknospen anstatt der Gartenschere. Deine ersten Schritte auf dem Weg zum Somm-Sensei musst du nämlich machen, lange bevor du deinen ersten Blindverkostungs-K.o. landen kannst. Zu Beginn soll das simple Bild eines Baums dein Verständnis von Wein mit dem notwendigen Leben erfüllen. Er besteht aus vier einfachen Teilen:
Die Baumkrone: Die Früchte deiner Arbeit
Fangen wir oben an. Lass uns im weiteren Sinn davon ausgehen, dass dies der allumfassende, Leben tragende Teil des Baums ist, von dem alle guten Dinge und alle Früchte stammen. Ob die tatsächliche Frucht, um die es jeweils geht, in Wirklichkeit von einer Rebe, einem Strauch oder einer anderen Pflanze kommt, lassen wir mal beiseite und bleiben abstrakt, damit die Metapher funktioniert. Es geht damit los, den Fruchtcharakter (oder dessen Fehlen) zu bestimmen: Das ist der erste Kontakt, der erste Eindruck – und aus einer Vielzahl von Gründen vielleicht der aussagekräftigste. Ist die Frucht reichhaltig, süß, vielleicht sogar bombastisch, kommt sie höchstwahrscheinlich nicht aus einem besonders kalten Klima. Ein Beispiel für die Foodies unter euch: eine Caprese, also Tomaten mit Mozzarella, im Februar in München zu bestellen hat genauso viel Sinn (nämlich keinen) wie Pasta mit weißen Trüffeln im September. Die Tomaten werden grün, unreif, sauer sein. Kein Vergleich mit den fruchtig-süßen, runden Aromen, die Tomaten im September haben. Man schmeckt die „Jahreszeit“ der Frucht auf Anhieb. In gleicher Weise kann man – auch wenn es aufgrund der breiten Palette von Interpretation, Herkunft, gewähltem Klon und Philosophie des Erzeugers unmöglich ist, jede Rebsorte in die richtige Schublade einzusortieren – TYPISCHE Aromen und Geschmäcke erkennen, die in jeder Traube zu finden sind, und dies als Standard für die persönlichen Erwartungen nehmen. Einem Geschmack einen Namen zu geben hat aber nur Sinn, wenn der Geschmack bekannt ist, und das, Freunde, erfordert Übung. Es geht nicht darum, die Früchte einfach nur zu essen, du musst sie AKTIV essen. Achte darauf, was da in deinem Mund ist und analysiere es bis ins letzte Detail. Was für ein TYP von Beere oder Apfel ist es? Welche Jahreszeit ist gerade, und hat sie einen Einfluss auf den Geschmack? Welche Variationen könnte es geben? Wo habe ich das schon einmal geschmeckt?
Keine gute Idee dürfte es allerdings sein, Obststände zu belagern und an allen möglichen Früchten herumzuschnuppern. Glaub mir, ich hab mir schon jede Menge böser Blicke eingefangen, weil ich auf dem Markt ein paar Melonen zu viel begrapschte. Und da war ich noch nicht mal am Obststand angekommen. Egal, wenn es dir ernst damit ist, die Unterschiede zwischen Granny Smith, Fuji, Macintosh, Golden Delicious und eingemachten Äpfeln kennenzulernen, dann nimm dir eine Woche Zeit, um jede einzelne Sorte zu essen. Konzentriere dich dabei darauf, ihre Süße, ihre Säurestruktur, ihren Tanningehalt und ihre „Grünheit“ im Vergleich zur Reife wahrzunehmen und finde heraus, wie das jeweils in das Spektrum von kühlem, gemäßigtem oder warmem Klima passt. Und dann mach das mit jeder Frucht, jedem Gemüse, jeder Wurzel, jeder Beere, jedem Blatt, jedem Kraut und jedem Gewürz, das du nur in die Finger kriegst. Du wirst dich wundern, um wie viel besser du plötzlich auch kochen kannst. Stell dir nur vor, was für exotische und fesselnde kulinarische Experimente du mit einer solcher Könnerschaft im Aromenuniversum veranstalten kannst! Allez, Maître!
Aromarad:
Echt jetzt?
Du findest es millionenfach im Internet. Aromaräder sind unterteilt in große, allgemeine Gruppen, die sich dann bis hin zu sehr speziellen, detaillierten Begriffen weiter untergliedern, um einzelne Unterkategorien von Früchten, Gemüse, erdigen Tönen und sogar Weinfehlern zu beschreiben. Bei allen diesen Rädern, Diagrammen, Tafeln und so weiter geht es darum, deinen Wortschatz zu verfeinern; darum, jeden Eindruck, den dir deine Synapsen ins Gehirn feuern, so genau einzugrenzen, dass du nicht nur eindeutig „Apfel“ wahrnimmst, sondern die genaue Apfelsorte. Nicht einfach Blumen, sondern welche genau? Nicht nur rote Beeren, sondern Erd- oder Himbeeren, und sind die eher hellrot und säuerlich oder dunkel, reif und süß? Aber ehrlich gesagt, Aromaräder sind auch old school wie nur sonst was. Such dir ein paar aus, wenn es dir Spaß macht; ich dagegen halte lieber die verdammte Frucht selbst in der Hand – spüre, schmecke, genieße und erinnere mich.
Wenn du für deine Studien einkaufen gehst, dann nimm nur, was du vorher in die Hand genommen und woran du gerochen hast. Du erfährst instinktiv, wie essbar und hoffentlich lecker diese Frucht oder dieses Gemüse ist, indem du seine Festigkeit spürst und riechst, ob es „grüne“, also unreife Noten hat, oder ob es umgekehrt saftig, rassig, süß und vollreif ist. Trauben beginnen, wie das meiste Obst und Gemüse, ihr Leben als Knospe und werden dann zur Blüte. Es leuchtet ein, dass eine Frucht schon einen verdammt hohen Reifegrad erreichen muss, um ihre Herkunft aus den Wurzeln vergessen zu machen. Zwischen der bitteren, adstringierenden „grünen“ Phase und der süßen, marmeladigen Überreife gibt es unendlich viele Zwischentöne. Auf Wein bezogen, sagt dieser Aspekt des Schmeckens viel über eine der wichtigsten und WESENTLICHSTEN Wahrheiten beim Wein aus: seinen Ursprung.
Größer könnte der klimatische Unterschied nicht sein: die kühle Champagne und das heiße Barossa Valley.
Ursprung also: Von dort kommt der Wein her. Das Klima lügt nicht und ist im Wein immer präsent. Ein Chardonnay aus einer arschkalten Region wie der Champagne, wo man in den meisten Jahrgängen nur mit Mühe auf einigermaßen vernünftige Reifegrade kommt, lässt sich unmöglich mit einem Chardonnay aus dem heißen, trockenen Barossa Valley in Australien vergleichen. Mit dem Anstieg der Temperatur reift die Traube in immer schnellerem Tempo, während der Zuckergehalt (sprich: der potenzielle Alkohol!) steigt und die Säure weniger wird. Fast als ob die Säure aus dem Wein „herausgebacken“ wird. (Schmeckt der Chardonnay mehr nach Omas Apfelkuchen als nach einer bitteren Quitte, bist du wahrscheinlich gerade in einer warmen Region.) In kalten Klimata dagegen sehnt man sich nach mehr Zucker, um Körper und Viskosität zu bekommen: buchstäblich das Fleisch auf den Knochen des Weins. Ganz zu schweigen von einer großzügigen Portion Frucht, um gegen den Säuregehalt anzukommen, besser gesagt, ihn auszugleichen. Logischerweise geraten die Weine in kalten Gegenden und/oder Jahrgängen eher schlanker, spannungsreicher und besitzen eine unverkennbare frische Säure. Und sie riechen und schmecken auch buchstäblich „grüner“ als reifere Exemplare.
Um das Konzept ganz auf den Punkt zu bringen, eignet sich nichts besser als unsere alte Freundin, die Banane! Das typische Farbspektrum der Reife von Bananen ist wie folgt, von ganz und gar unreif bis zu: „Upps! Ein bisschen zu lange rumgelegen.“
Grün
Grün mit leichtem Gelbton
Grün an den Enden, aber hauptsächlich gelb
Ganz gelb, nur noch am Stiel grün
Kräftiges Gelb
Gelb mit braunen Stellen
Braun mit gelben Stellen
Dunkelbraun
Und wenn man das Bild allgemein ausweitet auf Weiß- und Rotweine, sieht das Spektrum etwa so aus:
Für Weißweine | Für Rotweine |
LimetteZitroneGrapefruitOrangePassionsfruchtAnanasGrüne MeloneMangoQuitteGranny-Smith-ApfelGelber ApfelRoter Golden-Delicious-ApfelPink-Lady-ApfelApfelmusGebackener Apfelkuchen | CranberrySauerkirscheHimbeereBlaubeereBrombeerePflaumeFrisches DattelkompottTrockenfeigenFeigenkonfitüre |