Читать книгу ZUGVOGEL - K. Uiberall-James - Страница 12
ОглавлениеAbschied auf afrikanisch
Ein abenteuerlich aussehender Überlandbus hält klappernd und fauchend vor dem Eingang zum Abflugterminal des Airports. Die zerkratzten, halb blinden Fenster und die Narben auf seiner Karosserie zeugen von jahrelangen treuen Diensten auf roten Latérite - Pisten mit so großen Schlaglöchern, dass ein Kleinwagen darin verschwinden könnte. Dem Fahrer dieses Busses ist es schnurz egal, dass alle Passanten die Köpfe missbilligend, allenfalls neugierig nach seinem ‚Dino’ wenden;
er hat ihn gestern, wie jeden Tag, sorgfältig gewaschen und der optische Kontrast zu dem chromblitzenden, klimatisierten Flughafengebäude lässt ihn kalt.
Stolz drückt er auf einen Knopf und mit einem Ruck öffnen sich zischend und scheppernd alle drei Türen des Busses gleichzeitig. Heraus drängt eine bunt gewürfelte Menschenmenge in farbenfroher, traditioneller Kleidung. Frauen und Männer, alte und junge, große und kleine Kinder; sogar eine Kranke ist dabei, die fürsorglich von einem jungen Mann am Ellenbogen gestützt wird.
Neugierig bleiben die Passanten stehen; vielleicht ist im Bus ja eine bekannte Persönlichkeit und die wollen sie auf keinen Fall verpassen; denn sie lieben Zeremonien. Aber zu ihrer Enttäuschung werden keine Rosenblätter wie beim ‚Prinzen von Zamunda‘ auf den Gehweg gestreut, niemand spannt einen Schirm für ein Clanoberhaupt auf; es passiert rein gar nichts; außer dass die automatischen Glastüren des Eingangs zum Terminal, blockiert durch die Schaulustigen, sich permanent mit einem diskreten ‚ssstttt’ öffnen und schließen.
Als alle den Bus verlassen haben, ruft der Fahrer einem der jungen Männer zu: „Geh schon mal mit den anderen vor. Ich werde den Bus parken und komme dann nach.“
Ibrahim nickt, die Passanten zerstreuen sich und die herausgeputzte Gesellschaft aus dem Bus - das halbe Dorf ist gekommen, um die drei Freunde gebührend zu verabschieden - setzt sich in Bewegung. Was für eine Prozession! Die Frauen schnattern fröhlich alle durcheinander, die Kinder wuseln zwischen ihren Beinen herum, und eins von ihnen wird resolut am Ärmchen hochgezogen und auf den Arm genommen, zu seinem eigenen Schutz.
Im Terminal lösen sich Ibrahim, Amadou und Sekou von der Gruppe und stellen sich mit ihren neu erworbenen bunten Nylon-Reisetaschen und diversen Plastiktüten voller Köstlichkeiten der Region in die Schlange vor dem Abfertigungsschalter.
Als sie eingecheckt haben, gesellen sie sich, sichtlich erschöpft von der ganzen Aufregung, mit Pass und Bordkarte in der Hand wieder zu ihren Familien und Freunden. Es ist die Stunde des Abschieds und der guten Wünsche.
„Mach’ dir keine Sorgen um uns“, flüstert Ibrahims Mutter an seiner Seite, „wir kommen schon klar.“ Und etwas lauter, für die anderen zum Mithören, fügt sie hinzu: „Nutzt die Zeit, um viel zu lernen, damit wir, wenn ihr zurückkommt, unsere Freude daran haben.“ Die Umstehenden nicken beifällig und Ibrahim drückt seiner Mutter verstohlen die Hand. Selbst sein Vater wirkt versöhnlich, er hat sich erstaunlicherweise sehr schnell mit der neuen Situation angefreundet.
Sekous Onkel meint bedächtig: „Ihr kommt in ein fremdes Land, wo bestimmt Vieles ganz anders ist als bei uns; vielleicht müsst ihr euch auch manchmal anpassen.“
„Anpassen?“, fällt Sekous Vater dem Schwager höhnisch lachend ins Wort, „Anpassung ist nur eine andere Art des Sterbens.“ Und trotzig fügt er noch hinzu: „ Sie sollen lieber nicht vergessen, wo sie herkommen, und vor allem sollen sie nicht ihre Pflichten vergessen.“
„Ja, bringt uns was Tolles mit, wenn ihr zurückkommt!“ „Einen Fernseher und einen Videorekorder.“ „Nein, besser noch ein Auto.“
Etwas abseits von den Anderen sitzt Amadou still mit seinen Eltern und Miriam in einer Sitzreihe aus kühlem Edelstahl. Er ist etwas blass um die Nase und wirkt angespannt, seine Mutter hält sich erstaunlich gut. Seit Tagen hatte die Euphorie über die bevorstehende Reise jeglichen Gedanken an etwaige Risiken unterdrückt. Ausgerechnet jetzt, im Moment des Aufbruchs, wo er es am wenigsten gebrauchen kann, hat das Hochgefühl ihn verlassen und den Weg zur Realität freigegeben. Ängste und Zweifel bahnen sich gnadenlos ihren Weg und überschwemmen ihn wie eine Killerwelle.
Seine Mutter sieht ihm den Stimmungswechsel an. Tröstend legt sie ihre abgemagerte, knochige Hand auf seine Schulter. Amadou lächelt sie angestrengt von der Seite an, richtet dann aber das Wort an seinen Vater: „Papa, sobald ich eine eigene feste Bleibe habe, werde ich euch eine Telefonnummer geben, unter der ihr mich erreichen könnt. Wenn vorher etwas sein sollte, ruft mich bei Malik an.“
„Ja, mein Junge, ist schon gut. Wir sind ja fürs Erste versorgt. Überstürze nur nichts. Du hast erst mal genug damit zu tun, dich einzuleben und deine neue Umgebung kennenzulernen.“ Dann legt er fürsorglich den Arm um seine Frau und sagt mit fester Stimme: „Ich bin ja auch noch da. Geh in Frieden und bleib gesund. Und jetzt kümmere dich um Miriam.“
Miriam hat sich fest vorgenommen, beim Abschied nicht zu weinen. Aber sie schluckt schwer an den verdrängten Tränen, die ihren Hals schmerzhaft verkrampfen. Ihr Hals ist wie zugeschnürt. Amadou ist mit so viel Gefühl überfordert. Behutsam zieht er sie an sich und flüstert ihr zum Trost tausend kleine Schmeicheleien und Versprechungen ins Ohr. Aber erst, als er auch einige erotischen Anspielungen macht, hat er sie endlich so weit, dass sie ihn unter Tränen anlächelt. Erleichtert springt er auf und ermahnt die Freunde zum Aufbruch. „Es ist Zeit.“
Nachbarn und Freunde treten, nun etwas stiller geworden, den Rückweg zum Bus an. Ihnen folgen mit zögernden Gesten, so als seien ihre Jungen noch nicht reif genug, um sie in die Wildnis zu entlassen, die Familienangehörigen. Vereinzelt ist unterdrücktes Schluchzen zu hören; dann besinnen sich die Frauen auf die nächstliegende Arbeit und sammeln resolut die herumtollenden Kinder ein, die den ungewohnten Spielplatz noch nicht so schnell aufgeben wollen.
‚Sssttt’, macht die Tür automatisch und entlässt nun auch die Nachzügler kalt und unbeteiligt in die warme afrikanische Nacht. Amadou starrt mit leerem Blick auf die sich unaufhörlich bewegende Tür und zieht fröstelnd die Schultern hoch.
„Komm, sie sind weg.“, sagt Sekou verständnisvoll und zieht ihn am Ärmel seines Sweatshirts in Richtung Passkontrolle, wo Ibrahim schon auf sie wartet.