Читать книгу ZUGVOGEL - K. Uiberall-James - Страница 21
ОглавлениеWichtige Begegnung
Am nächsten Morgen wird Sekou vor Kälte wach. Er springt von der Schlafcouch hoch und reißt die Vorhänge zurück. „Die Sonne scheint!“, ruft er laut in Richtung Amadou, „aber wieso ist es dann so kalt?“
Amadou reibt sich die Augen und kommt, sich schützend die Arme um den Oberkörper legend, ans Fenster. Der Himmel strahlt so blau wie es nur geht und das Laub, gestern noch nass und grau, leuchtet nun tatsächlich in allen Rot- Braun- und Goldtönen.
„Du gehst zum Bäcker, ich räume auf und bereite das Frühstück vor“, bestimmt Sekou resolut; „danach könnten wir ein wenig im Park spazieren gehen. Was hältst du davon?“ Amadou nickt zustimmend und macht sich fertig.
Auf der Straße atmet er tief ein. Die Luft ist zwar kalt, aber sie kommt ihm angenehm frisch vor. Die junge Verkäuferin beim Bäcker erkennt ihn wieder und bedient ihn sehr freundlich. Sie weiß schon, was Amadou kaufen möchte; sonst muss er halt auf die Ware zeigen. Wieder draußen, kommt es Amadou so vor, als ob die Leute auf der Straße etwas weniger griesgrämig aussehen. Er wird auf eine quirlige Gruppe von Kleinkindern aufmerksam, die einen Mordsspaß daran haben, mit ihren regenbogenfarbigen Gummistiefeln durch das trockene Laub zu rascheln und es mit den Händen hochzuwerfen. Amadou schaut ihnen einen Moment lang fasziniert zu und bekommt Lust, es den Kindern gleichzutun. Spontan verlässt er den Gehsteig und schubst die Blätter im Rinnstein wie sie mit den Füßen hoch. Die Kleinen freuen sich über den Mitstreiter. Sie umringen ihn ausgelassen, fassen ihn bei den Händen, kreischen und lachen und werfen sich gegenseitig ganze Fuder von Laub auf den Kopf.
Bei dem Tumult rutscht Amadou beinahe die Brötchentüte weg; aber eine junge Frau mit wild abstehenden, goldblonden Locken und einem ellenlangen, bunt geringelten Schal fängt sie im letzten Moment für ihn auf. Sie scheint die Aufsichtsperson der Kinder zu sein. Lächelnd reicht sie ihm seine Tüte und sagt ein paar freundliche klingende Worte, die er zu seinem Leidwesen nicht versteht. Ratlos blickt er in ihre großen, wunderschönen Augen, die sie unschuldig wie ein Kind fragend aufreißt; sie sind von einem intensiven Blau, das ihn an die indigogefärbten Gewänder der Wüstennomaden erinnert.
Alle Geräusche um ihn herum scheinen zu verstummen; für den Bruchteil einer Sekunde gibt es nur die Stille im Auge eines Hurrikans zwischen der jungen Frau und ihm. Genauso plötzlich, wie er gekommen war, ist dieser Moment wieder vorbei und Amadou nimmt Zuflucht zu seiner stärksten Waffe; er entblößt seine ebenmäßigen weißen Zähne und strahlt sie an. Er zeigt auf sich und nennt seinen Namen. Sie reicht ihm eine kleine schmale Hand und antwortet: „Ich heiße Emily.“ Sie zeigt auf ihre Armbanduhr und fährt mit dem Zeigefinger einmal in die Runde; dann deutet sie auf die Stelle, wo sie gerade stehen. Amadou nickt freudig, er hat kapiert.
An der Ecke trennen sie sich. Die Kinder winken Amadou hinterher aber der dreht sich nicht um; er geht mit weit ausholenden, selbstsicheren Schritten zu seinem vorläufigen Zuhause. Sekou wartet sicher schon auf ihn.
Beim Frühstück ist Amadou richtig aufgedreht. „Gleich zwei Frauen haben mit mir geflirtet“, erzählt er Sekou aufgeregt.
„Ja und? Wozu soll das gut sein? Und wie habt ihr euch überhaupt verständigt? Gib mir mal ein Brötchen herüber.“ Er schaut seinen aufgekratzten Freund von der Seite an und meint: „Ach so, alles klar; du hast sie mit deinen perlweißen Zähnen bezirzt, stimmt’s?“ Amadou grinst bestätigend.
„Na, Hauptsache, du vergisst nicht, warum wir hier sind“, brummt er abschließend.
Da Sekou alle Arbeiten in der Wohnung bereits vor Amadous Rückkehr erledigt hat, machen sie sich nach dem Frühstück gleich auf den Weg zum nahe gelegenen Park. Warm eingepackt setzen sie sich auf eine Bank, die windgeschützt in der Sonne steht, und beobachten die Menschen, die an ihnen vorübergehen.
„In diesem Land scheint es viel Alte und Kinder zu geben“, sinniert Amadou.
„Quatsch, die Jungen sitzen in ihren Büros und arbeiten. Sieh mal, jetzt haben sie wohl Mittagspause.“ Sekou deutet mit einer Kopfbewegung zum anderen Ende des Parks, wo jetzt einige jüngere Leute herumschlendern. Als ein gebrechliches Pärchen mit enttäuschtem Blick vor ihrer Bank anhält, steht Sekou sofort auf und zieht Amadou mit.
„Die sehen so aus, als ob sie jeden Tag hierher kommen“, flüstert er Amadou zu und macht eine einladende Geste zu den alten Leutchen. Hoch erfreut nehmen sie umständlich Platz und bedanken sich überschwänglich.
„Wir sitzen hier jeden Morgen, wenn das Wetter es zulässt“, sagt der alte Herr, „meine Frau kann nämlich nicht mehr so gut laufen.“
Sekou und Amadou nicken freundlich zu Allem, was er sagt und gehen dann in Richtung Spielplatz weiter. Dort ist Hochbetrieb. Gestern noch war der Platz verwaist und farblos, heute ist er nicht wieder zu erkennen, so bunt und laut. Sie bleiben stehen, und schauen sich das lebhafte Treiben an. Sie sehen Mütter, die mit ihren Kindern herumzanken, andere passen übertrieben sorgfältig auf ihre Sprösslinge auf, wieder andere unterhalten sich mit einer Zigarette in der Hand miteinander und überlassen die Kleinen sich selbst.
„Ich hab genug“, sagt Sekou und zieht frierend die Schultern hoch, „lass uns zurückgehen.“
Schon auf dem Heimweg bezieht sich der Himmel und es wird empfindlich kalt.
Zu Hause machen sie es sich vor dem Fernseher gemütlich und bleiben beim Herumzappen bei einer Kindersendung hängen. Dort wird so deutlich und langsam gesprochen, dass Amadou und Sekou versuchen, etwas zu verstehen und mit viel Gelächter auch ein paar Worte nachzusprechen. Es geht ihnen gut; die Außenwelt ist wieder ausgesperrt, die Heizkörper geben ihre wohlige Wärme ab und in der Küche wird auf ganz kleiner Flamme das restliche Essen von gestern aufgewärmt; denn jeden Moment können die Anderen eintreffen.
Und da sind sie schon; Malik und Toucou mit einem total erschöpften Ibrahim im Schlepptau.
„Er hat den Job“, sagt Malik gut gelaunt zu Sekou und Amadou, und mitfühlend zu Ibrahim gewandt: „war vielleicht etwas viel für den ersten Tag, aber nach ein paar Tagen hast du dich daran gewöhnt.“ Der nickt etwas gequält und fragt seine Freunde:
„Und was habt ihr gemacht?“
„Amadou hat eingekauft und später sind wir im Park spazieren gegangen. Das Wetter war so schön, und“, er gibt seiner Stimme einen total beiläufigen Ton, „das hätte ich fast vergessen, Amadou hat sich verknallt.“
Die Wirkung auf seine Worte hätte nicht stärker sein können. Selbst Amadou schaut Sekou entgeistert an. „Spinnst du? Davon hab ich nichts gesagt.“ Alle Blicke sind auf ihn gerichtet.
„Also, was hast du ihm dann gesagt?“, versucht Malik klarzustellen.
„Nur, dass zwei Frauen mit mir geflirtet haben.“
„Gleich zwei? Du gehst aber ran.“
„Wie sehen sie aus? Kennen wir sie?“
Amadou hält sich mit wehleidig verzogenem Gesicht beide Ohren zu.
„Nun sag schon“, neckt Ibrahim, „wir wollen alles wissen. Wirst du eine von ihnen treffen?“
„Vielleicht.“
„Sag uns wenigstens, wie sie aussieht.“
Amadou muss nachdenken. „Sie sieht eben wie eine Deutsche aus.“
„Ach komm“, lacht Toucou, „etwas mehr musst du schon gesehen haben.“
„Sie hat ganz blaue Augen“, antwortet Amadou mit abwesendem Blick.
„Und was sonst? Ist sie alt oder jung?“
„Keine Ahnung“, antwortet Amadou nun doch etwas verärgert.
Malik hat genug von dem Theater. „Lasst ihn zufrieden. Er weiß es doch nicht besser. Als Toucou und ich das erste Mal nach Europa kamen, sahen für uns auch alle Frauen gleich aus. Außerdem will ich jetzt endlich essen.“
Erleichtert geht Amadou in die Küche und zehn Minuten später sitzen sie einträchtig vor der dampfenden Schüssel und langen kräftig zu.