Читать книгу ZUGVOGEL - K. Uiberall-James - Страница 15

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Exterritoriales Gebiet

Die kleine Sozialwohnung im vierten Stock eines Hochhauses platzt aus allen Nähten. In Maliks und Toucous winzigem Wohnzimmer drängen sich etwa ein Dutzend Landsleute auf einer durchgesessenen Couch um den niedrigen Tisch, auf dem Literflaschen Cola und Fanta und Gläser stehen. Ibrahim schüttet aus einem großen Plastikbeutel einen Teil der mitgebrachten frischen Erdnüsse in eine Schale.

Der Fernseher, auf TV5monde eingestellt, läuft in voller Lautstärke; es schaut jedoch keiner hin. Stattdessen wird laut und lebhaft geredet, ausgelassen gelacht und gestikuliert.

Malik hatte einigen Landsleuten Bescheid gesagt und fast jeder hat sich freimachen können, um die Frischlinge zu begrüßen, und um die eigene Sehnsucht nach Zuhause im Gespräch etwas zu lindern. Er selbst hat zu dem Zweck seine Schicht mit einem Kollegen getauscht. Am Tag vorher haben er und sein Mitbewohner Toucou im Afroshop alles für ein großes Willkommensessen eingekauft und für ihre Verhältnisse viel zu viel Geld ausgegeben.

Die verblichenen Vorhänge im Wohnzimmer sind zugezogen. Alles Unangenehme, grelles Licht, Hitze oder Kälte, Staub und Straßenlärm bleiben so ausgesperrt. Das Tageslicht dringt nur schwach durch die bunten Stoffbahnen und taucht den Raum in ein diffuses Dämmerlicht. Es hüllt die Anwesenden ein und schützt sie wie in einem Kokon.

Draußen quält sich verbissen eine herbstliche Sonne durch den Hochnebel, wischt eilig den Himmel klar - denn ihr bleibt nicht viel Zeit - und vertreibt mit ihrer zunehmenden Wärme jeden Gedanken an Raureif oder Bodenfrost vom Morgen. Da die Vorhänge in Maliks Wohnzimmer nicht ganz schließen, weil schon vor Ewigkeiten einige Häkchen aus der Schiene gerutscht waren, kann sie sich unbeirrt Einlass ins Innere des Kokons verschaffen und jedem, der in die Reichweite ihres gebündelten Strahls gerät, frech in die Augen stechen, ihn blinzeln oder sich geblendet abwenden lassen.

Amadou hat Hunger; mit ein paar Erdnüssen in der Hand lehnt er sich gegen den Türrahmen der winzigen Küche - hineingehen kann er nicht, weil sie bereits überbelegt ist - um zu sehen, wie weit die Essensvorbereitungen gediehen sind. Was er sieht, lässt sein Herz aufgehen. Auf der Küchenarbeitsplatte häufen sich Okra, Tomaten, Möhren, Zwiebeln und Jams, und jede Menge Hühnerschenkel tauen in einer großen Schüssel auf; Petersilie und Maggi-Brühwürfel runden das bunte Bild ab. Im großen Topf auf dem alten Elektroherd brodelt schon das Öl und der entstehende Dampf lässt das kleine Küchenfenster trotz Kippstellung beschlagen. Aus dem Kassettenrekorder in der Fensternische ertönt so lautstark ein afrikanischer Pop-Song, dass der an ihn angelehnte Fünfkilo-Sack Duftreis in die Horizontale rutscht. Die dort anwesenden Freunde von Malik bewegen sich in ihrem coolen Outfit zu der Musik und zerkleinern dabei gut gelaunt das bereits geputzte Gemüse; ihre weiten Jeans rutschen dabei fast von der Hüfte. Sie amüsieren sich über Amadous bewundernden Blick, und legen, mit dem Küchenmesser in der Hand, noch ein paar anstößige Bewegungen nach. Amadou fühlt sich provoziert, eine kleine Kostprobe seines Könnens zu geben. Lässig gibt er ein paar sensationelle, schlangenähnliche Ganzkörperbewegungen zum Besten, ohne sich auch nur von der Stelle zu bewegen. „Johh, hey, du hast es drauf.“ Amadou strahlt, „wenn ihr das sagt …“

Währenddessen breitet Malik Zeitungspapier auf dem kleinen Tisch vor der Couch aus. Ibrahim und Sekou erzählen von zu Hause und die in Hamburg und Umgebung lebenden Afrikaner erteilen erste Ratschläge.

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