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IM PARADIES

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Regelmäßigstes Ziel in der warmen Jahreszeit war unser Steinbruch, etwa fünfundzwanzig Kinder-Gehminuten vom Haus entfernt – eine wirklich traumhafte, natürliche, wunderschöne Idylle. Ich kenne keinen anderen Ort meiner Kindheit, der mir so im Hirn festgeschrieben blieb wie dieser kristallklare, dunkelblaue See, gesäumt von einem Grün, wie man es nur im Paradies noch schöner hätte finden können. Na ja, so in etwa.

Man muss sich das so vorstellen: Von innen betrachtet sah es dort aus wie in einem kleinen, erloschenen Vulkan, mit etwa zwanzig Meter hohen, schräg aufsteigenden Granitfelsen und zum Teil mit sattem Grün, Bäumen und Sträuchern bewachsenen Wänden, an denen man als sportlicher Junge relativ gefahrlos hochklettern konnte. In Richtung Süden war dieser vulkanähnliche Kegel aufgeschnitten. An dieser Stelle konnte man in den Steinbruch hineinlaufen oder hineinfahren. Hier war das Wasser auch sehr flach und fiel Richtung Mitte weiter steil ab. Um den See herum, er hatte etwa vierzig bis fünfzig Meter Durchmesser, konnte man im Kreis laufen.

Bis nach der Mittagszeit waren wir zwei fast immer alleine vor Ort. Oft sind wir dort schon so zwischen neun und halb zehn Uhr eingetroffen. Später, nachmittags, kamen dann die Älteren, die sich ein Blockhaus auf einem Vorsprung am Wasser gebaut hatten. Sie grillten dort, machten Lagerfeuer, tranken und badeten im doch recht kühlen Wasser. Mit uns hatten sie aber nichts am Hut. Sie duldeten uns, wir hielten uns von ihrer Hütte fern, gegenseitig einvernehmlich.

Aus den umliegenden Haselnussbüschen, Weiden und anderen Hölzern schnitten wir uns Ruten für Pfeil und Bogen und bastelten daraus unsere Katapulte oder Pfeifen (die zum Krachmachen, nicht die zum Rauchen, Letztere nutzen wir erst später).

Das Wasser war so sauber, dass man es wahrscheinlich hätte trinken können. Aus dem glasklaren Nass angelten wir Flussbarsche mit unserer auf eine Holzgerte gebundenen Handangel, die man für neunzig Pfennige im Sportgeschäft kaufen konnte. Mit etwas Glück und Geschick holten wir selbst Krebse raus. Um die Viecher zu erwischen, mussten wir die Angel ganz behutsam hochziehen, dann hatten sie den Brotklumpen noch fest zwischen den Scheren. Beide Tierarten überleben bekanntermaßen nur in absolut sauberen Gewässern, besonders Flussbarsche haben hohe Ansprüche an die Wasserqualität. Also waren diese Lebewesen Indikatoren, es musste gut sein.

Rings um den See gab es alles, was man so zum Leben brauchte: Walderdbeeren, Brombeeren, Himbeeren, rote, weiße und schwarze Johannisbeeren, Sauerampfer, Taubnessel (die süßen Enden der kleinen Blüten saugten wir aus), Weizenäpfel, Nelkenäpfel (eine köstliche Delikatesse! – findet man so gut wie gar nicht mehr, diese saftigen, knackigen kleinen Äpfel mit dem wunderbaren Geschmack), Vogelkirschen, Sauerkirschen, Süßkirschen, Pflaumen, Rüben- und Möhrenfelder … Auch mein Opa hatte hier noch eine weitere große Wiese gepachtet und auf der anderen Seite des Steinbruchs ein Kartoffel- und Rübenfeld. Alles Mögliche probierten wir auf Essbarkeit. Wie die Survival-Künstler. Es war einfach richtig grandios, traumhaft und ruhig.

Die Natur stand bei uns hoch im Kurs. Bei den damaligen Kommunalpolitikern weniger. Die suchten stets nach Möglichkeiten, allen Schutt und Unrat ablagern zu können. Jedes Loch, das sich anbot, wurde mit allem, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen dürfte, verfüllt. Irgendwann gab es wohl keine Option mehr in der näheren Umgebung. Da besann man sich auf unseren Steinbruch.

Pures Entsetzen! Unser Paradies wurde eine Mülldeponie, eine Schutthalde! Die Idylle wurde sinnlos und unwiederbringlich zerstört, die wunderbare Natur starb. Wir waren sehr betrübt. Denn wir konnten es schon damals nicht verstehen, warum man so etwas tun konnte. Aber das war Alltag, Alltag im Osten! Nur im Osten? Vermutlich nicht.

Meine Epoche Ost

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