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ZURÜCK ZU DEN WURZELN

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Die Quelle meiner Vorfahren (sozusagen die genetischen Wurzeln meines Ursprungs) lag außerhalb der Grenzen Nachkriegsdeutschlands. Germanen gab es fast überall auf der Welt, ohne tiefgründiger in das „Warum“ einzutauchen. Sie tummelten sich mal mehr, mal weniger friedlich seit Jahrhunderten in den verschiedensten Regionen. Abgesehen von den Potentaten, die in kriegerischer Absicht auftraten, wie während der Zeit, als ein geisteskranker (An-)Führer oberösterreichischer Herkunft die Deutschen in der ganzen Welt über tausend Jahre dauernd ansiedeln wollte.

Die, auf die ich mich hier beziehe, waren ein friedliches Völkchen. Jede der unter diesem Volksstamm lebenden Grüppchen entwickelte ihre individuellen Besonderheiten, Eigenarten und Dialekte.

Eine dieser, eine ganz besondere Fraktion, war mit Sicherheit die, die sich vor zig Jahrzehnten oder Jahrhunderten – wer weiß das schon genau – in den (nach 1945 wieder neugegründeten) ungarischen Landen niederließen. Davon galten als besonders speziell diejenigen, die in dem nördlich vom Balaton liegenden Gebiet um Veszprém und Zirc (sprich: „Wesbrehm“ und „Sierz“) herum siedelten. Hier ist auch der Ursprung meiner Vorfahren zu finden.

Ein überwiegender Teil derer stammte aus Rossbrunn (auf Ungarisch: Lókút), einem Dorf mit „Weltgeltung“. Muss wohl so gewesen sein, heute kann man per Google Street View dort durchfahren. Die Mehrzahl der Einwohner waren Deutsche. Die Umgangs- und Amtssprache im Ort war Deutsch. Ungarisch lernte man als Fremdsprache in der Dorfschule.

Einige wenige Nachfahren jener findet man noch heute dort. Einer davon hat es später in den USA sogar zum Millionär geschafft, angeblich gar nicht so weit entfernt von meinem Stammbaum. Es waren also nicht gerade die dümmsten.

Rossbrunn bestand aus einem Oberdorf und einem Unterdorf (aus diesem Tatbestand, den zwei Ortsteilen, entstand ein eigenes Lied, dessen Inhalt hier aufzuführen das Niveau dieses Textes zu weit absenken würde). Malerisch umgeben von Feldern und Wald, Wiesen und Wald und Feldern und einem Tümpel und Wald und Wald und – was weiß ich.

Dort gab es alles, was man (seinerzeit) zum Leben brauchte: einen Kindergarten, eine Schule, eine katholische Kirche, direkt gegenüber lag eines der drei Wirtshäuser inklusive Frisör, einen Friedhof hinter dem Gotteshaus, zwei Geschäfte, eine Schmiede, eine Tischlerei, ein paar weitere Handwerker und eine dorfeigene Feuerwehr. Und ringsherum erstreckten sich die Ländereien der Klein- und Großbauern.

Versorgt wurde sich größtenteils autark. Es gab alles Mögliche an Getier, was man so benötigte. Schnaps stellten die meisten selber her. Man lebte für damalige Verhältnisse so weit ganz gut und ungestört in Rossbrunn.

Und: Man feierte, was man feiern konnte. Heiratete jemand, war das gesamte Dorf eingeladen. Die Hochzeitsfeier verlief über volle drei Tage, von Freitag bis Sonntag. Heiratete gerade mal keiner, gab es genügend kirchliche Feiertage und weitere wichtige Anlässe.

Natürlich gingen die beiden Weltkriege nicht spurlos an Rossbrunn vorbei. Die dortigen Machthaber selber waren stets eifrig dabei, an der Seite der Deutschen mitzumarschieren. Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, dessen Ausgang bekannt ist, durften sich diejenigen, die unter dem ungarischen Hitlerfreund Horthy direkt oder indirekt den ganzen Scheiß mitgemacht hatten, und diejenigen, die der Abstammung nach Deutsche waren, aus ihrer geliebten Heimat für immer verabschieden. Eine Racheaktion des von den Sowjet-Russen besetzten und überwachten neuen Ungarns, nun nicht mehr zur zerbrochenen österreichisch-ungarischen Monarchie gehörend.

Januar 1948. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden alle Deutschstämmigen, die bis dato noch nicht selbst aus Angst vor den Russen oder vor Vergeltungsmaßnahmen geflüchtet waren, aufgefordert, Haus und Hof unverzüglich zu verlassen. Zu der Räumungsaktion rückten die russisch kontrollierten ungarischen Nachkriegskommunisten an. Alles wurde besetzt und beschlagnahmt. Mit dem, was sie am Leib hatten und auf einen Pferdewagen verfrachten konnten, wurden sie nach Zirc gebracht, dort in einen Güterzug verfrachtet und nach Deutschland verschickt.

Die Häuser, Gehöfte und Ländereien wurden entschädigungslos enteignet und unter den Neu-Ungarn verteilt. Das Gehöft meiner Großeltern mütterlicherseits ist aufgrund der nun folgenden rein-ungarischen „Pflege“ später völlig zerfallen.

Nur ein paar wenige Einwohner ohne Vermögen, die mit einer Ungarin oder einem Ungarn verheiratet waren oder deren ungarischen Namen angenommen hatten, durften bleiben. Die besser situierten Deutschstämmigen verloren urplötzlich alles.

Einige andere hatten sich bereits rechtzeitig vor dem Einmarsch der Rotarmisten aus dem Staub gemacht und sind direkt in den amerikanisch besetzten Teil Deutschlands abgewandert. Das waren letztendlich – in einer die Tatsachen verdrehenden und die Geschichte verfälschenden Weise – diejenigen, die nach 1989 von den Ungarn als die wahren „Vertriebenen“ gleichsam angehimmelt wurden. Diese waren im (später reichen) Westen Deutschlands gelandet und wohl was ganz Besonderes.

Erste Station eines der Sonderzüge in dem in vier Besatzungszonen unterteilten Deutschland war ein Auffanglager in Pirna an der Elbe im schönen Elbsandsteingebirge. „Ostzone“, zu den Russen – wieder! Oh Gott! Ein anderer Teil hatte mehr Glück, kam gleich direkt nach Passau.

Von diesen beiden Ausgangspunkten trennten sich die Bande der Vertriebenen: Die eine Gruppe wurde in Bayern sesshaft, wo schon die vorher freiwillig Ausgereisten lebten, der meinige war in Sachsen angelandet, letztendlich in der Oberlausitz.

Nach kurzen, aber wirkungsvollen Reibereien mit den alteingesessenen sächsischen „Platzhirschen“ verschafften sich die Neuankömmlinge schnell Respekt und Achtung. Dabei flogen auch schon mal die Fäuste. Eine Ohrfeige aus der Hand eines meiner Onkel konnte da durchaus einen gebrochenen Unterkiefer zur Folge haben. So viel dazu. Wie gesagt: Es waren zum Teil recht wirkungsvolle Auseinandersetzungen.

Seit dieser Zeit leben sie nun in großer Zahl, Familie, Verwandte und Bekannte, friedlich zusammen mit den Sachsen, mit den ebenfalls nach Kriegsende ausgesiedelten Schlesiern und mit denen, die noch so alle vertrieben wurden und in der landschaftlich idyllischen Oberlausitz dann eine neue Heimat fanden.

Die Mehrzahl der Ungarndeutschen hatte es binnen weniger Jahre erneut zu einem eigenen Haus gebracht und arrangierte sich nun mit dem gegebenen Umstand, dass sie nie mehr in ihre alte Heimat zurückkehren würden. War ja alles weg, wohin also? Wohl oder übel – sie blieben da.

Meine Epoche Ost

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