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„MAGUELA“ UND BEIM FRISÖR
ОглавлениеViel Neumodisches gab es für die Ankömmlinge in Sachsen zu erkunden. Wenn man vom Dorf in eine kleine Stadt kommt, hat das ein anderes Flair. Es gab im direkten Vergleich zu Rossbrunn erheblich mehr: zwei Kirchen, zwei Schulen, zwei Marktplätze mit zahlreichen Geschäften, mehrere Bäckereien und diverse Fleischer, wenigstens sechs größere Betriebe, eine Reihe an Gasthäusern und Bierstuben, Frisöre, die Polizeistation und, und, und … Sogar einen Entblößer, allerdings erst etwas später, zu meiner Kinderzeit.
Und da gab es auch ein paar Termini, die nur die Ungarndeutschen erfinden konnten oder in ihrer neuen Heimat ihrem Wissensstand entsprechend deuteten:
Sör nennt man in Ungarn bekanntlich das Bier. Da prangte doch auf dem Markt an einem Haus das Schild „Frisör“. Was kombinierte daraus einer der cleveren älteren Landsleute: Sör heißt Bier und die Silbe „Fri“ kann ja nur „frisch“ bedeuten. Sein Fazit: Hier gibt es „frisches Bier“. Er holte seinen Bierkrug von zu Hause und marschierte damit schnurstracks zum – Frisör.
Die Großmutter meines Cousins stritt sich im Lebensmittelladen bis aufs Messer mit einer Verkäuferin um „Maguela“. „Maguela“ kaufe sie immer hier und die Geschäftsfrau antwortete, dass es in dem Laden noch nie „Maguela“ gegeben hätte.
„Dees giabt’s jo neet“, wetterte die Oma, sie bestand auf dem Zeug, sie hatte es hier gekauft und wollte es haben!
Was um Himmels willen sollte das denn sein, „Maguela“?
Sie versuchte es der Verkäuferin in ihrem Slang zu erklären: „A schwoaza Schnops“ – ein schwarzer Schnaps.
„Gibt’s nicht“, war die hilflose Antwort.
Beide waren kurz vorm Verzweifeln. Das Muttchen wurde langsam böse, da sie annahm, man wolle ihr ihren Lieblingsfusel absichtlich vorenthalten. Sie wedelte schon mit ihrem Gehstock herum. Bis die Inhaberin selbst in den Verkaufsraum kam und sofort wusste, was die alte Dame immer kaufte: einen Likör, nicht „Maguela“, sondern „Mocca Edel“.
Für solche und viele weitere Amüsements sorgten die neuen Mitbewohner schon ab und an. Wenn wir als Kinder und Heranwachsende – bei welcher Gelegenheit auch immer – solchen Erzählungen lauschen durften, tat einem gelegentlich schon das Gesicht weh wegen des vielen Lachens.
Erst viel später sah man in Ungarn ein, welch fataler, großer Fehler mit der Vertreibung begangen worden war. Nach dem Zerfall des Ostblockes. Zu spät. Viele der Betroffenen waren verstorben.
Mein Großvater erhielt eine „großzügige“ Entschädigung für Haus, Hof, Stallungen, Pferde, Vieh und einige Hektar Land: satte zweitausend DM. Er wusste vor Schreck gar nicht, wohin mit soooo viel Geld.
Ein anderer Ungar hat – mit Zeitverzögerung – Ende der achtziger Jahre viel gut gemacht: Gyula Horn, der damalige Ministerpräsident, hatte es erkannt, als er am 27. Juni 1989 Seite an Seite mit seinem österreichischen Amtskollegen Alois Mock der pervertierten Sozialismuskreatur den Hals durchschnitt: besser gesagt, den Stacheldraht an der Grenze zwischen diesen beiden Nachbarländern.
Das war ein „Dolchstoß“ in Erich Honeckers Herz, trotz alledem hatte dieser selbst im August 1989 noch solche Geistesblitze geäußert wie: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Selbst bei seinem „Abschiedssingsang“ am 7. Oktober 1989 träumte er von seiner hundertjährigen Mauer, als ihm Gorbatschow das geschichtliche Bein in den Weg stellte.
Aber gut, dazu später mehr. Erst mal zurück ins Jahr 1962.