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Positivität an Menschen anwenden

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Wenn wir dieses Prinzip auf Interaktionen mit Menschen anwenden, dann merken wir, dass Menschen sehr oft Dinge tun, die als „schlecht“ gelten könnten (Fehlverhalten). Aber in Wirklichkeit liegt das Problem daran, dass diese Menschen sich schwertun und wahrscheinlich in dieser Situation ohne Verhaltensanpassungen nicht erfolgreich sein werden. Dieser Perspektivwechsel kann viele unserer frustrierendsten Interaktionen mit unseren Mitmenschen komplett verändern – und zwar zum Besseren. Dadurch gewinnen wir eine neue Einsicht und neue Lösungen für einige der grundlegenden Herausforderungen, mit denen die meisten Leute in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind. Diese Sichtweise ist in vielen Alltagssituationen hilfreich, wie zum Beispiel, wenn wir unsere Kinder in der Früh dazu ermutigen möchten, sich fertig zu machen oder wenn sie sich in Gesellschaft höflich verhalten sollen. Es trifft ebenso auf Situationen zu, in denen wir von unseren Partnern erwarten, dass sie vor unseren Arbeitskollegen ohne Vorbereitung das Richtige sagen oder dass sie sofort ein paar Haushaltsaufgaben erledigen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen. In diesen Fällen ist Erfolg vielleicht deshalb nicht möglich, weil sie unvorbereitet sind – d.h. sie verfügen nicht über genügend Hintergrundwissen, um das Richtige zu sagen und das Falsche zu vermeiden – oder weil sie vielleicht zu großen Hunger haben, um gut funktionieren zu können.

Positivität kann auch auf Kinder angewandt werden, wenn es darum geht, ihnen beizubringen, ihre Schmutzwäsche an den richtigen Ort zu legen oder ihnen gute Tischmanieren zu zeigen. Es ist unsere Aufgabe, unseren Kindern diese Dinge beizubringen (sie zu trainieren!), anstatt ihnen einfach zu sagen (befehlen!), was sie machen sollen. Ähnliche Probleme treten zum Beispiel auf, wenn wir möchten, dass unsere Partner das Geschirr abwaschen oder die Schmutzwäsche in den Wäschekorb legen. Oder wenn wir uns von unseren Arbeitskollegen wünschen, dass sie aufhören, zu reden, damit wir arbeiten können oder dass sie aufhören, sich ständig zu beschweren und damit die Stimmung für alle zu verderben. Warum sollten unsere Kinder oder alle anderen Personen in unserem Leben die Dinge machen wollen, die wir von ihnen erwarten und ihnen sagen? Die einfache Antwort ist, dass sie diese Dinge nicht unbedingt tun möchten und vielleicht ohne ein paar kleine Optimierungen auch gar nicht dazu in der Lage wären. Was bedeutet, dass es an uns liegt, ihr Verhalten auf eine fundiertere und klügere Weise zu beeinflussen als die oft ergebnislosen Techniken, die besonders Eltern gerne anwenden, wenn sie Dinge sagen, wie: „Weil ich es sage!“, oder (vor Wut brüllend): „Mach‘ es einfach, verdammt noch mal!“ Oder wir richten unseren bitteren Zorn gegen unsere Partner, weil sie einfach nicht das machen, was wir wollen und wenn wir es es wollen.

Es ist leicht, zu sehen, wie diese neuen Techniken des Hundetrainings auf Kinder angewandt werden können (und angewandt werden), aber sie können tatsächlich bei Menschen jedes Alters effektiv sein. Ich würde sagen, dass die Bewegung noch Wachstumspotenzial hat und eine breitere Masse erreichen könnte – sie könnte in sehr viel mehr Situationen hilfreich sein, als das bisher der Fall ist. Wenn Sie in letzter Zeit eine neue Fähigkeit erlernt haben, – sei es Stricken, einen Gesellschaftstanz, Kalligrafie, Snowboarden oder etwas anderes – wurden Sie so gut behandelt, wie Sie das gerne gehabt hätten? Ist es nicht viel motivierender, wenn Ihre Lehrperson sagt: „Das war super – Sie haben diese Masche korrekt gestrickt, diesen Tanzschritt elegant zur Musik ausgeführt, ein schönes großes R geschrieben, oder einen guten Bogen gemacht“, – als wenn Sie verachtungsvolle Blicke ernten und hören: „FALSCH! Haben Sie nicht aufgepasst, Sie Dummkopf? Stellen Sie sich ins Eck, bis Sie bereit sind, sich anzustrengen, und mein Gott, Sie sind wirklich unkoordiniert!“ Mir ist nicht klar, warum derartig negatives, abstoßendes Verhalten in irgendeinem Bereich unserer Gesellschaft akzeptabel sein sollte. Im Gegensatz dazu hat eine positive Einstellung so viele Vorteile.

Im Herzen der derzeitigen positiven Trainingsbewegung für Hunde steckt das Konzept, dass man den Hund dabei erwischen möchte, wie er etwas richtig macht. Denn so kann man auf das erwünschte Verhalten reagieren, anstatt nur darauf zu achten, was der Hund falsch macht und die eigene Reaktion dann auf dieses Fehlverhalten abzustimmen. Wenn wir auf ein Verhalten reagieren, indem wir dem ausführenden Individuum eine positive Konsequenz bieten, steigern wir die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten in der Zukunft wieder auftreten wird – das ist die eigentliche Definition von „positiver Verstärkung“. Ich werde positive Verstärkung später im Buch noch genauer besprechen (sowohl ihre Wirksamkeit, als auch die genauen Einsatztechniken, um Verhalten zu beeinflussen). Im Augenblick möchte ich nur darauf hinweisen, dass einer der Hauptvorteile dieses Verhaltens- und Trainingsansatzes darin liegt, dass Beziehungen dadurch gestärkt anstatt geschwächt werden.

Der Aufbau guter Beziehungen kann zwar das Ergebnis positiver Trainingsmethoden sein, aber eine bestehende gute Beziehung ist für jede Art von Ausbildungs- und Lernerfahrung von Vorteil. In diesem Prozess findet also eine positive Rückkopplungsschleife statt. Eine gute Beziehung ist für den Trainingsprozess absolut hilfreich und ein Trainingserfolg festigt die Beziehung.

Eine starke Bindung ist die Grundlage jeder Ausbildungs- oder Lernbeziehung. Denken wir nur an die Lehrer, die unser Leben am meisten beeinflusst haben oder an die Menschen, die uns außerhalb des Klassenzimmers am meisten beigebracht haben: Die Beziehung zu ihnen war wesentlich. Die Verbundenheit, die wir mit anderen Menschen spüren, spielt eine ganz wichtige Rolle für unser Fühlen, Denken und Handeln. Menschen, die wir respektieren und bewundern – und von denen wir uns im Gegenzug respektiert und angenommen fühlen – haben das größte Potenzial, unser Lernen und Verhalten zu beeinflussen. Die Beziehung ist die Grundlage für den erfolgreichen Einsatz aller verhaltensbeeinflussenden Handlungen.

Die Bedeutung einer guten Beziehung für jeglichen Erfolg ist auch der Grund, weshalb Teambuilding-Übungen in der Schule und am Arbeitsplatz stattfinden. Faktoren wie Vertrauen, fortwährende Kooperation, Angstfreiheit in der Gegenwart der anderen und Sympathie für die anderen sind nützlich, um Verhalten in so gut wie jedem Zusammenhang zu lehren, zu trainieren und zu beeinflussen.

Das ist der Grund, warum viele Verhaltensexperten für Hunde hart daran arbeiten, die Beziehung zwischen den Menschen und ihren Hunden zu verbessern. Es beginnt damit, Positivität in den Interaktionen mit anderen einzusetzen und es bedeutet auch, Spaß miteinander zu haben. Die Methode ist auch bei Menschen hilfreich. Deshalb betonen viele Unternehmensberater, ein Mitglied des Teams zu sein und die Zusammenarbeit wertzuschätzen. Um starke Beziehungen aufzubauen, ist es ganz wichtig, Spaß miteinander zu haben, einander zu verstehen sowie auf die Vorlieben und Abneigungen der anderen zu achten.

Einige der berühmtesten konkreten Beispiele für Hundeverhalten waren das Resultat von Bindung, nicht von Training. Der Hund in Brasilien, der acht Tage lang vor dem Krankenhaus saß, als sein obdachloser Besitzer nach einem Sturz eingeliefert wurde? Der Hund machte dies aufgrund ihrer gegenseitigen Bindung, nicht, weil er darauf trainiert wurde. Die Hunde, die Straßenkindern folgen und die ganze Nacht bei ihnen bleiben, wobei sie ihre Körperwärme einsetzen, um die Kinder vor dem Erfrieren zu bewahren? Auch dies geschieht nicht, weil die Hunde dazu abgerichtet wurden. Dieses lebenrettende Verhalten ist das Ergebnis einer starken, guten Beziehung. Eine meiner Freundinnen stürzte nach Geschäftsschluss am Arbeitsplatz – sie war ganz allein und konnte nicht mehr aufstehen. Ihr Hund blieb die ganze Nacht an ihrer Seite und bellte in der Früh wie ein Höllenhund, um Passanten dazu zu bewegen, Hilfe zu holen. Dasselbe hier – der Hund war nicht dazu ausgebildet worden, im Fall eines Sturzes bei ihr zu bleiben oder andere zu alarmieren. Die starke Bindung zwischen den beiden führte zu seinem Verhalten.

Zwei meiner Freundinnen, die ebenfalls Hundeprofis sind, hatten das Pech, dass ihr Hund einige alte und unersetzliche Familienfotos zerkaute – diese befanden sich in einem Regal, von dem meine Freundinnen dachten, dass es sich außer Reichweite ihres Hundes befände. Beide meinten, die Sache habe sie zwar geärgert, aber sie würden ihren Hund viel zu sehr lieben, als dass sie dies zu einem ernsthaften Problem werden ließen, auf das man viel Zeit verschwendet. Die starke und liebevolle Bindung zwischen diesem Hund und seinen Menschen führte dazu, dass ein Verhaltensproblem als viel weniger gewichtig bewertet wurde als das vielleicht anderweitig der Fall gewesen wäre. Ich höre das ständig von Klienten. Wenn Hunde sich im Haus erleichtern oder bellen oder etwas zerstören, dann möchten die Menschen natürlich das Verhalten ändern – aber wenn die Beziehung liebevoll genug ist, sind Menschen auch in der Lage, zwischenzeitlich mit unglaublichen Problemen zu leben.

Andere Spezies, gleiches Prinzip

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