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Deffand, Marquise du (1697–1780, erblindet im Jahr 1753)

Im Zeitalter der Aufklärung lebende französische Salonière und eifrige Verfasserin von Briefen, die in ihrem Schriftwechsel unter anderem mit Voltaire und HoraceWalpole einen universalen Antinatalismus und eine tiefempfundene Seinsunwilligkeit zum Ausdruck bringt, wie sie auch die jüngere Mme de Sévigné äußerte. Ein Brief vom 4. Januar 1774 weist sie überdies – wie später Cioran – als eine der großen Schlaflosen der Literaturgeschichte aus: „Durch meine Schlaflosigkeit bin ich derart erschöpft, dass meine Seele todtraurig ist (so dass der Tod bald kommen wird, wenn sie nicht aufhört).“{45} Bereits 1753 erblindet, fasst du Deffand in ihrem Briefwechsel wiederholt den Gedanken, am besten wäre es gewesen, niemals geboren zu sein. Führen wir uns nachstehend du Deffands universalen Antinatalismus und ihren Niegewesenseinswunsch über die Zeitspanne etlicher Jahre vor Augen.

Universaler Antinatalismus (Brief Deffands an Voltaire von 1759)

In einem Brief an Voltaire offenbart sich du Deffand als Vertreterin eines universalen Antinatalismus, dessen Anliegen nicht bloß das Leid der Menschen, sondern aller empfindenden Wesen ist. Sie inkludiert selbst noch das Leid der Austern und Engel und skizziert damit eine große Kette der leidenden Wesen, die niemals hätten geschaffen oder gezeugt werden dürfen: „Vom Engel bis zur Auster scheinen mir alle Arten von Lebewesen gleichermaßen unglücklich; das Übel besteht darin, geboren zu sein. Dabei handelt es sich jedoch um ein Unglück, dessen Beseitigung schlimmer ist als das Problem.“{46}

Mit ihrer Rede vom Übel, geboren zu sein, antizipiert sie Ciorans Buchtitel „Vom Nachteil geboren zu sein“ verfasste. Da sie die gesamte Kette leidender Wesen von der Höhenregion der Engel bis hinab zu den Austern anprangert, enthält ihre Äußerung zugleich eine Gottesanklage, der es besser unterlassen hätte, alle diese Wesen zu schaffen. du Deffands Protest ist ein Anti-Kreationismus, zum Antinatalismus ist sie nicht vorgedrungen.

Brief an Voltaire vom 10. September 1764

Hatte Deffand sich oben in ihrem Schreiben an Voltaire als universale Antinatalistin präsentiert, so ist im nachstehenden Brief persönliches Leid der Vater des Niegewesenseinswunsches: „Schon seit sechs Wochen und zwei Monaten sehe ich völlig schwarz, nehme an nichts Anteil, bin wunsch- und gefühllos und beklage den Umstand, geboren zu sein...“{47}

Brief an Horace Walpole vom 23. Mai 1767

„Sie meinen, dass ich neunzig Jahre alt werden möchte? Mein Gott, welch fluchwürdige Hoffnung! Wissen sie denn gar nicht, dass ich das Leben verabscheue, dass ich mich damit tröste, derart viel erlebt zu haben und dass ich untröstlich bin, geboren zu sein? Ich passe einfach nicht in diese Welt und weiß nicht, ob es eine andere gibt.“{48}

Gutgemeinten Wünschen für ein langes Leben schleudert du Deffand ihre Lebensverachtung entgegen: sie sei nicht für diese Welt geschaffen. Bei alledem wisse sie nicht – hierin unterscheidet sie sich von Mme de Sévigné –, ob es eine andere Welt gibt. Sie komme nicht über den Umstand hinweg, geboren worden zu sein.

Brief an Horace Walpole vom 11. Januar 1771

„Wenn ich an all die mir bekannten Menschen denke, eingeschlossen diejenigen, die ich täglich sehe und die man meine Freunde nennt, so ist unter ihnen keine Frau und kein Mann, die mir auch nur einen Anflug echter Gefühle entgegenbringen würde – ebenso wenig wie ich für sie Gefühle hege; […] Habe ich nicht Recht, zu sagen, dass es ein Unglück ist, geboren zu sein?“{49}

Mit diesem Zitat komplettiert sich das neganthropische Weltbild der du Deffand. Hatte sie im Brief an Voltaire von 1759 das Leiden jeglicher Kreatur von der Auster bis zum Engel beleuchtet und hiermit das Besserniegeboren- und Niegeschaffensein nahegelegt, um in den Briefen von 1764 und 1767 auf die Unerträglichkeit ihres persönlichen Existierens anzuspielen, so erwähnt sie in ihrem Schreiben von 1771 die Unerträglichkeit des Daseins in menschlicher Gesellschaft. Keiner ihrer sogenannten Freunde bringe ihr auch nur einen Anflug von Gefühlen entgegen.

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