Читать книгу Antinatalismus - Karim Akerma - Страница 244

Schöpfungsschuld als larvierte Elternschuld

Оглавление

Was Gottvater (Gotteskindschaft) seinen Geschöpfen antat, indem er sie schuf, würde kein Mensch seinen Kindern antun. Dies vermittelt Franz Bergg (1866–1913) mit seinem Gedicht „Ungläubig“. Nach dem Ausgeschiedensein Gottes aus den seelisch-geistigen Haushalten zahlloser Eltern lastet allerdings die Schuld, bei klarem Verstande leidenwerdende Geschöpfte hervorgebracht zu haben, gänzlich auf ihnen als Kleindemiurgen. Berggs Gedicht markiert einen der zahlreichen Übergänge vom Theodizeeverlangen zur Anthropodizeepflicht und, mit dem Ausbleiben von Theodizee und Anthropodizee, einen Übergang von der Gottesschuld zur Elternschuld:

„Ungläubig

Der du allwissend bist, / Du weißt, wie ich zu jeder Frist / Nach rechts, nach links mich entscheide; / Du weißt, noch eh sie geboren, / Ob die Milliarden erkoren / Zum ewigen Glück, zum ewigen Leide. / Doch schufest du Eva, du schufest mich, / Du schufest die Milliarden alle, / Zum Elend, weil zum Sündenfalle – / O das zu denken ist fürchterlich.

Hätt' ich, der Mensch, als mir zur Lust / Ein Kind geboren ward, gewußt, / Es werde geboren zur Sündenschand', / Es sei erkoren zum Höllenbrand, / Wenn auch durch seine Schuld, / Doch auch durch meine Schuld, / Wie sehr es mich in blutender Brust / Geschaudert, / Nicht hätt' ich gezaudert, / Erdrosselt hätt' ich's mit eigner Hand.

Du aber stößt uns in diese Welt, / Du weißt beim Kern, wie die Krone fällt, / Verdammst uns zu Qualen ohn' Ende / Und wäschst dir in Unschuld die Hände. / Wie unsre Seufzer dampfen, wie unser Jammer schreit / In Ewigkeit, in Ewigkeit, / Du lächelst in deiner heitern Seligkeit. / So tust du Milliarden, so tust du mir!“ (Bergg, Ein Proletarierleben, S. 231ff)

In diesem Gedicht läuft vieles zusammen: Bergg führt den Gott vor, der die Menschen schuf, wiewohl er ihre Taten und Untaten im Voraus kannte, den Gott, der sie ins Elend im diesseitigen und jenseitigen Leben stürzt. Ein Mensch, so Bergg drastisch in seinem Gedicht, wäre nicht so erbarmungslos wie dieser Gott, sondern hätte sein Geschöpf, kaum dass es zur Welt gekommen, aus Erbarmen erdrosselt, um ihm die Hölle zu ersparen.

Berggs Hölle wird die jenseitige sein, was bedeutet, dass an Gottes Gnadenwillkür Glaubende am besten keine Kinder zeugen, da jede Zeugung ein Spiel mit dem Jenseitsschicksal einer Person ist. Mit seinem Gedicht eröffnet Bergg aber zugleich auch die Perspektive einer Dante-Transformation, wonach höllenmäßig das unsteuerbare diesseitige Leben sein kann, dem niemand die eigenen Kinder aussetzen würde. Dem gescheiterten Versuch, einen Gott zu rechtfertigen (Theodizee), der seine Geschöpfe wissend zur Hölle schickt, entspricht der gescheiterte Versuch (Anthropodizee), Menschen zu rechtfertigen, die ihre Kinder wissend unwissbaren Schicksalen und dem sicheren Sterben ausliefern.

Antinatalismus

Подняться наверх