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Herders (1744–1803) Weltankömmling

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Mit seinem Gedicht „Die Wiege“ erweist sich – neben Rousseau (1712–1778) – auch der Aufklärer Herder als früher Kritiker des jahrtausendealten und heute noch in manchen Kulturen verbreiteten Brauchs, Kinder in den ersten Lebensmonaten bis zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit stramm in Stoff einzuwickeln. Herder antizipiert Kritikpunkte, die später von einem Hauptkritiker des Wickelns, deMause, vorgebracht wurden und er registriert die damit einhergehende ungeheure akkumulierte Elternschuld.

Zu Recht deutet Herder die Gestalt des Wickelkindes als Ausdruck dafür, wie unwillkommen Kinder in einer Welt waren oder sind, in die sie zufällig oder als Manifestationen elterlichen Kinderwunsches geraten sind. Kaum angekommen, werde der Neuankömmling sogleich in Stoffbahnen gebunden, sodass sein Weg auf Erden einem Gang von Sarg zu Sarg gleiche. Herder plädiert für die Befreiung des Weltneuankömmlings aus seiner Zwangsjacke. Mit Rousseau vermittelt Herder: Der Mensch wird frei geboren, aber überall liegt er stramm gewickelt und gewindelt. Man solle ihn ent-wickeln, damit er das – vermeintlich (Diktat der Geburt) – frei begonnene Leben dergestalt führen kann, dass es seinen Erzeuger späterhin nicht reut, das Kind ins Dasein gerufen zu haben (siehe die letzten Gedichtzeilen):

„Die Wiege

Wer ist der kleine Sklave, der in Banden / Aus diesem frühen Sarge Klagen weint? – / Mein Bruder? Brüder, o, so löset seine Banden, / Macht seinen Seufzern Platz! die hemmt kein Feind. / Der Wurm kann sich im Tode krümmen, winden, / Das Lamm fleht seinen Mörder an; / Und einen, Euren Säugling laßt Ihr binden, / Kaum daß er seufzen kann!

O Weltankömmling, Deinen zarten Händen / Prägt dieses Band elende Knechtschaft ein; / Um Deinen Gang von Sarg zu Sarg zu enden, / Mußt Du der Sklaven ew'ger Sklave sein. / Dies Trauerlied war's, das im Weben / Die Parze{68} Deinem Schicksal sang, / Da sie Dein Band zum Leben / Als Kette um Dich schlang. / […]

Dann pocht Dein Herz, daß, die auf Erden wohnen, / Zu Staub geboren sind, zu Finsterniß. / Vielleicht erdrückte Dir Gedankenmillionen / Der erste Griff, der Dich zum Lichte riß; / Der erste Zug aus Mutterbrüsten / Gab Dir vielleicht ein Maaß von Pein, / Von tausend schwarzen Lüsten / Und Gift und Lastern ein;

Nein, Säugling, Tränk in Deine Säfte, / Ruh in Dein Herz und Seele ins Gehirn. / Stets laben Dich mit Milch der Tugend Kräfte; / Stets lache so, wie jetzo, Deine Stirn; / Nie sprech' Dein Vater aus Erbarmen / Dir zu: »O Sohn, hätt' ich Dich nicht gezeugt!«“ (Herder, Gedichte, S. 432ff)

Todesurteil, lebenslanges, Walser, Martin

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