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Wanda von Sacher-Masoch (1845–1933)

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Ungezählte Mütter werden deutlich vor Augen gehabt haben, dass sie dem zu gebärenden Kind nicht so sehr das Leben auf lichter Welt schenken, als es vielmehr in den Halbschatten eines mit ungewissen Mitteln zu fristenden Daseins stellen. Zu einem entsprechenden veritablen Elternschuldbekenntnis rang sich Wanda von Sacher-Masoch in ihrer Lebensbeichte durch:

„Ich habe schon gesagt, daß ich wieder schwanger war. Diese dritte Hoffnung hatte nichts freudiges für mich, ich fühlte sie wie ein Unrecht. Durfte ich in meiner Lage Kinder zur Welt bringen, die höchstwahrscheinlich dazu bestimmt waren, Opfer unsrer unglücklichen Verhältnisse zu werden? Sollte sich meine Jugend, so voll Not und Elend und Scham und Bedrückung, die die Armut im Gefolge hat, bei meinen Kindern wiederholen? Angst und Schmerz drückten mich nieder, und ich weinte reuevolle, bittere Tränen darüber, daß ich ihnen das Dasein gegeben habe. Mein Leben konnte ich dem Manne opfern, aber durfte ich die Kinder in denselben Abgrund werfen, der mich verschlingen wird?“ (Sacher-Masoch, Meine Lebensbeichte, S. 96)

Sacher-Masochs Antinatalismus ist beileibe keine Eintagsfliege. In ihrer Lebensbeichte hält sie einen Dialog fest, in dem eine gewisse Kathrin Strebinger ihrem Mann sagt:

»Es gibt Kinder, die nicht gefragt werden, von welchen Eltern sie zur Welt kommen wollen ... und es gibt Dummköpfe, die sie dann für alle Gemeinheiten der Eltern verantwortlich machen wollen. Wundert mich, dass du dich zu diesen schlägst. Glaubst du, dass, wenn wir uns unsere Eltern aussuchen könnten, wir nicht sehr oft eine andere Wahl getroffen hätten? Ich gewiss.« (Sacher-Masoch, Meine Lebensbeichte, S. 181)

Leopold von Sacher-Masoch antwortet hierauf – und im sich entspinnenden Dialog, in dem Kathrin Strebinger konstatiert, das Aussterben der Menschheit bei allgemeiner Kinderlosigkeit sei gleichgültig, ergreift Wanda antinatalistisch Partei:

„»Wenn du selbst erst Kinder haben wirst, wirst du sie samt ihrer Fehler lieben.«

»Ach, bist du dumm! Wer spricht denn davon, ob man sie liebt oder nicht liebt, wenn sie einmal da sind.{65} Haben soll man keine, darum handelt sich's. In meinen Augen ist es ein Verbrechen, Kinder in die Welt zu setzen, wenn man ihnen nicht die Grundbedingungen für ihr künftiges Wohl, Gesundheit, klaren Verstand und materielle Mittel mitgeben kann. Et encore ...« [Elternpflicht als Daseinsversöhnungspflicht]

»Nach solchen Grundsätzen würde die menschliche Rasse bald aussterben.«

»Et puis après! ...«

Ich{66} war froh, daß das Thema angeregt worden war, und sagte jetzt:

»Kathrin hat recht. Unter neunzig von hundert Fällen ist es leichtsinnig und gewissenlos, Kinder zu haben.«

»Aber Wanda, wie kannst du das sagen!« rief mein Mann. »Du, die als Mutter so glücklich ist.«

»Wenn ich glücklich bin, so will das nicht heißen, daß es die Kinder auch sein werden. Und was ist das für ein Glück, diese ewige bleischwere Angst um ihre Zukunft! Nach dem, wie sich das Leben mir geoffenbart hat, durfte ich keine Kinder haben. Es schnürt sich mir das Herz zusammen, wenn ich denke, welchen dummen und grausamen Zufällen sie ausgesetzt sein werden. Ich fühle mich so schuldig gegen sie, daß ich Tag und Nacht nur daran denke, wie ich es machen soll, um sie jetzt so glücklich als möglich zu machen, um sie wenigstens in etwas für das Unrecht zu entschädigen, das ich ihnen getan, indem ich ihnen das Leben gegeben.«

Mein Mann sah mich groß an.

»Ja, ja, sieh mich nur an. Es war unverantwortlich leichtsinnig von uns, Kinder zu haben.« –

Kathrin war gegangen. Es war spät in der Nacht, und wir saßen jetzt allein, die schlafenden Kinder um uns.

Eine Weile schwieg Leopold, dann sagte er:

»Um Gotteswillen, wie kannst du nur so traurige und trostlose Gedanken haben? Ich sehe die Zukunft unserer Kinder durchaus nicht so trübe wie du.«

»Weil du den Blick immer nur auf einen Punkt richtest: die ›Venus im Pelz{67}‹, und kein Auge für das wirkliche Leben hast! In welcher Lage sind wir? Heute wissen wir nicht, ob wir morgen Brot haben werden. So sind Jahre hingegangen, und so werden sie weiter hingehen. Die Zukunft voll schöner Hoffnungen, und die Gegenwart voll bitterer Not. Hatten wir ein Recht, die Kinder dem auszusetzen?«

Ich zitterte vor Erregung und schwer verhaltenem Groll.“ (Sacher-Masoch, Meine Lebensbeichte, S. 181f)

Von höchster Bedeutung ist diese Passage gleich in mehrfacher Hinsicht: Erstens belegt sie die Überwindung jener Emotions-Hermetik, die zahllose Eltern daran hindert, über eigenem momentanem Glück die Glücksfragilität und Leidsolidität ihrer Kinder zu vergessen; zweitens – damit verbunden – die Offenheit für einen biographisch informierten Antinatalismus; drittens die Antizipation des inhärent antinatalistischen Konzepts der Gesundheit wie es von der WHO definiert wurde (Indirekte Antinatalismen).

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