Читать книгу Heinrich in Canossa gedemütigt! - Karin Schneider-Ferber - Страница 13
Das Ringen der Kirche um Glaubwürdigkeit
ОглавлениеWenn der ehrwürdige Kardinal Humbert von Silva Candida daran dachte, wie so mancher hohe Kleriker in sein Amt geraten war, dann trieb es ihm einfach nur die Zornesröte ins Gesicht. Konnte es sein, dass sich der Adel so schamlos in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischte und Pfarrer, Äbte, Bischöfe nach eigenem Gutdünken einsetzte? Nun war es aber genug! Zwischen 1057 und 1059 setzte sich der einstige Benediktinermönch an den Tisch und schrieb sich in einer grundlegenden Schrift, den »Drei Büchern gegen die Simonisten«, seinen Zorn von der Seele: Es könne und dürfe nicht sein, dass Laien über geistliche Ämter verfügten. Auch der König sei nichts anderes als ein Laie und damit in keiner Weise berechtigt, Bischöfe in ihre Diözesen zu berufen. Kein Mensch erhalte von einem anderem eine Wohltat umsonst, und wenn schon kein Geld bei der Ämterbesetzung flösse, dann träten eben andere Abhängigkeiten ein wie die Verpflichtung zu Hofdienst und Schmeichelei – Teufelszeug für den streng reformorientierten Kardinalbischof, der am päpstlichen Hof in Rom die Rolle eines »Chefideologen« übernahm. Jeder Eingriff in die kanonische Wahl durch Klerus und Volk der Ortsdiözese erfüllte für ihn den Tatbestand der Simonie, des Ämterkaufs, der schon seit den Tagen Papst Gregors des Großen (590–604) verboten war. Am meisten ärgerte sich Humbert aber über die Tatsache, dass die Könige ihre Kandidaten mit den geistlichen Symbolen Ring und Stab in ihr Bischofsamt einsetzten. Welch grobe Anmaßung kam doch darin zum Ausdruck! Als ob ein weltlicher Herrscher die bischöfliche Hirtengewalt vergeben könnte!
Mit seiner harschen Kritik an der gängigen Praxis der Laieninvestitur traf Humbert von Silva Candida ganz den Geist seiner Zeit, auch wenn die Schärfe seiner Polemik noch überraschte. Doch dass sich die Welt mit ihren irdischen Belangen so stark im Hause Gottes breitmachte, das erregte schon seit längerem den Unmut frommer Zeitgenossen. Die Verfügungsgewalt des Adels über kirchliche Einrichtungen blickte auf eine lange Tradition zurück, denn sie wurzelte im frühmittelalterlichen Eigenkirchenwesen. Ein Stifter, der auf seinem Grund und Boden eine Kirche oder ein Kloster errichtet hatte, nahm ganz selbstverständlich für sich in Anspruch, bei der Stellenbesetzung dieser Institutionen ein Wörtchen mitzureden. Das war nicht nur im Reich, sondern auch in Frankreich, England und Italien üblich, wo Adel und Königtum ebenfalls bestimmenden Einfluss auf die kirchliche Personalpolitik hatten. Die hochrangigen Laien wählten ihr klerikales Führungspersonal natürlich nach ganz anderen Gesichtspunkten aus als nur nach der geistlichen Eignung. Da mussten Familienangehörige versorgt, treue Parteigänger entschädigt, politische Loyalitäten bedacht werden. Nicht immer kam daher der beste Anwärter zum Zuge, sondern eher der politisch Genehme, sodass die Personalauswahl in der jeweiligen Pfarrei, Diözese oder Abtei zuweilen sogar auf heftige Ablehnung stieß. Der Einfluss der Welt schadete Mutter Kirche offensichtlich mehr, als er ihr nutzte, und so sehnten sich mehr und mehr aufrechte Gläubige danach, die Kirche auf ihre ursprüngliche Freiheit, Schlichtheit und Frömmigkeit zurückzuführen.
Die Suche nach spiritueller Erneuerung und einem am Vorbild der Urkirche ausgerichteten apostolischen Leben ergriff bereits im 10. Jahrhundert weite Kreise und wirkte sich zunächst einmal auf die Klöster aus. Das burgundische Kloster Cluny, gegründet um 910, machte den Anfang: Es verpflichtete seine Mönche zu einem streng asketischen Leben, zu unablässiger Gebetsleistung und zur völligen Konzentration auf Gott. Die Forderung nach einer strengen Beachtung der Benediktinerregel verband sich dabei mit dem Bestreben, Einflüsse von außen abzuwehren und die freie Abtwahl zu garantieren. Der Stifter Herzog Wilhelm von Aquitanien verzichtete daher nicht nur freiwillig auf seine eigenen Rechte an dem Kloster, sondern bestimmte zugleich, dass die Mönchsgemeinschaft aus der Disziplinargewalt des Ortsbischofs gelöst und direkt dem Heiligen Stuhl in Rom unterstellt wurde. Die Abtei war nun »exemt«, also vor jeder weltlichen und bischöflichen Einflussnahme geschützt. Dieses Modell machte bald Schule. Immer mehr Klöster schlossen sich entweder Cluny an oder verfolgten ihre eigenen Reformansätze. Viele Menschen strömten diesen neuen Klöstern in dem Bemühen zu, neue Wege der Christusnachfolge zu beschreiten und dem Himmelreich dadurch ein Stückchen näher zu rücken. Für das Reich wurden das lothringische Kloster Gorze und das Schwarzwaldkloster Hirsau zu Ausgangspunkten der Reform – beides Klöster, die ihrerseits eine Reihe von Tochter- und Filialklöstern gründeten und damit umfassende Klosterfamilien bildeten. Immer stärker wirkten die wie Pilze aus dem Boden schießenden Reformklöster mit ihrer Forderung nach strenger Zucht und Disziplin auf ihre Umgebung. Denn allen gemeinsam war die Besinnung auf die alten benediktinischen Ideale, das Streben nach strenger Askese, die Beachtung der Fastentage und die Hinwendung zu Gebet und Messfeier. »Was soll ich sagen von der strengen Abtötung der Sinne, von der Disziplin im Einhalten der Regel, von der Ehrfurcht vor dem Kloster und vom Stillschweigen?«, schrieb bewundernd der Kirchenreformer Petrus Damiani über die Mönche von Cluny. »Außer im Notfall wagt es niemand, zur Zeit des Studiums, der Arbeit oder der geistlichen Lesung im Kreuzgang umherzugehen oder zu reden.«
Bald schon löste sich die Forderung nach einem moralisch einwandfreien Lebenswandel des Klerus aus dem engen Bereich der Klostermauern und begann sich auf den Weltklerus auszudehnen, der es bis dahin mit der Beachtung des Zölibats nicht sonderlich genau genommen hatte. Viele Landpfarrer lebten schon allein aus wirtschaftlichen Gründen mit einer Frau zusammen, auf deren Mithilfe in Haushalt und Landwirtschaft sie nicht verzichten konnten. Unter dem Eindruck der um sich greifenden Klosterreform gerieten nun auch sie ins Visier sittenstrenger Moralisten. Dafür ließen sich auch gute Gründe aus der Bibel und der frühchristlichen Tradition ableiten, hatte doch das Matthäus-Evangelium einst die Ehelosigkeit »um des Himmelreiches willen« dem ehelichen Zusammenleben als qualitativ höherwertige Lebensform vorgezogen, sodass bereits in der Spätantike Stimmen laut geworden waren, die den Klerus zu einem Leben in Keuschheit und Enthaltsamkeit anhielten. Mit der praktischen Umsetzung dieser Forderung ließ man sich allerdings viel Zeit. Erst zu Beginn des 11. Jahrhunderts ging man daran, die alten Ideale mit Leben zu erfüllen: 1022 bekräftigte ein Konzil in Pavia das Zölibatsgebot für den gesamten Klerus, 1031 bestätigte man es nochmals auf einer Synode in Bourges. Die einzige Bindung, die ein Kleriker in seinem Leben einging, sollte die zur Mutter Kirche sein, so die Vorstellung, hatte doch der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief bereits darauf hingewiesen, dass nur der Unverheiratete sich ganz der Sache Gottes annehmen könne. Allerdings ließ das »sündige Treiben« in den Pfarrhäusern nicht so schnell nach, wie von den Kirchenoberen gewünscht – viel Überzeugungsarbeit bei den Betroffenen musste erst noch geleistet werden.