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Die Aura des Kaisertums

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Das enge Band, das der Frankenkönig Pippin mit dem Papsttum knüpfte, um die Dynastie der Karolinger gegen das alte Königsgeschlecht der Merowinger an die Macht zu bringen, schloss sich unter seinem Sohn und Nachfolger Karl dem Großen noch fester. Der Frankenherrscher zerschlug das Reich der Langobarden, das Rom wiederholt bedroht hatte, und erwarb dafür die langfristige politische Unterstützung des Papsttums. Karl konnte nicht nur die Nachfolgefrage mit Hilfe der Päpste regeln, indem er seine Söhne in Rom zu Königen salben ließ, er konnte auch seine eigene Position mit ihrer Hilfe festigen und nochmals sakral überhöhen: Am Weihnachtstag des Jahres 800 empfing er im Petersdom aus den Händen Papst Leos III. die Kaiserkrone. Damit erneuerte er diese traditionsreiche Würde für das westliche Abendland, ungeachtet der Tatsache, dass es in Byzanz ein oströmisches Kaisertum gab. Die Kaiserkrone begründete nicht nur einen universalen Herrschaftsanspruch nach dem Vorbild des längst untergegangenen römischen Weltreiches und damit eine hegemoniale Stellung gegenüber allen anderen Königen in Europa, sie hob ihren Träger gleichzeitig und noch stärker als bei der Königssalbung in eine geheiligte Sphäre, praktisch in unmittelbare Nähe zu Gott. Der königliche Kandidat wurde über dem Petrus-Grab, sozusagen am Ort der höchsten Autorität der Christenheit gekrönt und gesalbt, sodass er sich wahrhaft als von »Gott gegeben«, als »Stellvertreter Christi auf Erden« fühlen durfte. Das berechtige ihn, nach dem Vorbild der spätantiken Kaiser in innerkirchliche Angelegenheiten einzugreifen sowie Herrschaftsrechte in Rom und Italien auszuüben. Mit der Kaiserkrone hatten allerdings auch die Päpste einen Joker in der Hand, der ihren politischen »Marktwert« um ein Vielfaches erhöhte. Denn die Kaiserkrone konnte niemand anderes vergeben als der Nachfolger Petri. Jeder Kandidat, der sich um diese herausragende Würde bewarb, musste zu ihm über die Alpen nach Rom ziehen und erst einmal Verhandlungen führen. Denn eines war gewiss: Die Päpste waren nicht gewillt, jeden Prätendenten zu krönen. Sie hatten ihre eigenen Ziele in der Politik und wollten diese durch den künftigen Kaiser gewahrt sehen.

Mit der Erneuerung der Kaiserwürde hatte Karl Akzente für die Zukunft gesetzt. Seit den Tagen des großen Karolingers zog es die Herrscher aus dem fernen Norden fast schon magisch in Richtung Süden. Dabei brachte ihnen der Kaisertitel keine nennenswerten machtpolitischen Vorteile ein. Die reale Machtbasis des Königtums lag auch weiterhin im Reich nördlich der Alpenkette, basierend auf den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Eigengüter einer Dynastie sowie der Treue und Gefolgschaft der großen Vasallen. Doch Rom mit seiner schimmernden Kaiserkrone war fortan aus dem politischen Programm des fränkischen Königtums nicht mehr zu streichen. Nach einer Phase des Niedergangs im Zuge des Zerfalls des Karolingerreiches brachte der Sachse Otto I., der Große, neuen Schwung in die Italienpolitik. Er heiratete nicht nur Adelheid, die schöne Witwe des italienischen Königs Lothar, sondern eilte auch dem von vielen italienischen Magnaten und außenpolitischen Gegnern bedrängten Papst Johannes XII. zu Hilfe, der ihn dafür am 2. Februar 962 in der Peterskirche nach einem ausgeklügelten Zeremoniell zum Kaiser krönte. Die sakrale Überhöhung und die universale Ausrichtung der Kaiserwürde kamen im Mainzer Krönungsordo bestens zum Ausdruck. Durch Einkleidung, Salbung und Krönung stieg der künftige Kaiser neben dem Papst zum »Stellvertreter Christi« und damit zum zweiten »Haupt der Christenheit« auf. Wie das neue Amt den Herrscher aus Sachsen veränderte, zeigt sein Siegelbild: Wurde er als König noch in seiner Eigenschaft als siegreicher Feldherr mit Schild und Lanze gezeigt, präsentierte er sich nach der Kaiserkrönung frontal im vollen Schmuck seiner neuen Würde mit Krone, Szepter und Weltkugel. Erstmals im Mittelalter taucht damit eine Darstellung des Globus als Sinnbild für die Weltherrschaft auf. Dem Ottonen gefiel es in Italien so gut, dass er eine ganze Weile – insgesamt nahezu zehn Jahre – dort blieb. Sein Verhältnis zum Papsttum regelte er in einem großen Vertragswerk, dem Ottonianum, in dem er weite Gebietsabtretungen in Italien an den Heiligen Stuhl versprach, dafür aber seinen Zugriff auf die Papstwahl sowie seinen Einfluss in Rom verstärkte. In der Prunkurkunde aus purpurrotem Pergament, einen Meter lang und vierzig Zentimeter breit, verpflichtete der Herrscher in goldenen Lettern die Römer zu einer Papstwahl in Anwesenheit seiner eigenen Gesandten, denen der zu wählende Kandidat einen Sicherheits- und Reinigungseid zu leisten hatte. Damit konnte kein Papst mehr ohne kaiserliche Zustimmung in sein Amt gelangen. Otto nahm seine Herrschaftsrechte in Italien überaus ernst und zögerte nicht, Lehnsdienste, Abgaben und kirchliche Dienste einzufordern und auch die Gerichtsbarkeit auszuüben. Auf diesen Erfolgen bauten seine Nachfolger auf. Unter Otto II. und Otto III. erreichte die Rom-Euphorie einen bis dahin ungekannten Höhepunkt. Stolz führten sie den Titel »Romanorum imperator augustus« ein, was so viel wie »erhabener Kaiser der Römer« hieß, und deuteten damit an, dass die Herrschaft über Rom, die enge Zusammenarbeit mit dem Papsttum und die uneingeschränkte Macht über Italien zu den wesentlichen Merkmalen ihrer Kaiseridee zählten. Der jugendliche und hochgebildete Otto III. verfolgte nach dem frühen Tod seines Vaters Otto II. sogar ein Programm, das mit der Formulierung »Renovatio imperii Romanorum« – »Wiederherstellung des römischen Kaisertums« – umschrieben wurde und als Umschrift auf Bleibullen erschien. In immer stärkerem Maße rückten damit Rom und das Papsttum ins Zentrum der Reichspolitik, sodass sich bei den »vernachlässigten« Sachsen und Franken, die dem Herrscher »Fantasterei« nachsagten, schon latenter Widerstand regte. In der Absicht, die Zügel in Rom und Italien noch fester zu ziehen, erbaute Otto III. einen prächtigen Palast auf dem Palatin und führte römisch-byzantinische Amtstitel in seiner Umgebung ein. Er selbst pflegte den byzantinischen Brauch, allein und auf erhöhtem Tisch zu speisen. Widerstände gegen seine Politik unterband er mit nie da gewesener Grausamkeit. Aufstände in Rom bestrafte er mit solch beispielloser Brutalität, dass selbst seine Zeitgenossen aufschreckten. Der rebellische Stadtpräfekt Crescentius zum Beispiel wurde enthauptet, sein Leichnam von den Mauern der Engelsburg gestoßen und schließlich im Kreise von zwölf ebenfalls hingerichteten Gefährten an den Füßen aufgehängt. Der Gegenpapst Johannes XVI., immerhin ein enger Vertrauter von Ottos Mutter Theophanu, musste schwerste Folterungen erdulden und wurde rücklings auf einem Esel sitzend durch die Straßen Roms gejagt. Welche Absichten und hochgesteckten Pläne der jugendliche Herrscher mit diesen Machtdemonstrationen auch immer verbinden mochte – er konnte sie nicht realisieren, weil er schon mit knapp 22 Jahren nahe Rom einem Fieber erlag.

Heinrich in Canossa gedemütigt!

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