Читать книгу Heinrich in Canossa gedemütigt! - Karin Schneider-Ferber - Страница 19
Das Reich und seine Herrscher
ОглавлениеAn den Ufern des Rheins erhob sich im 11. Jahrhundert eine gigantische Baustelle – Zug um Zug wuchs der Dom zu Speyer in die Höhe, der bis dahin ungekannte Dimensionen erreichte: 134 Meter lang, im Mittelschiff 33 Meter hoch und 14 Meter breit. Mächtige Kreuzgratgewölbe machten die dreischiffige Pfeilerbasilika zum ersten vollständig gewölbten Großbau Mitteleuropas. Das monumentale Gotteshaus, das mit seiner riesigen Hallenkrypta, der reichen Baudekoration und der Vielzahl seiner Türme zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der Frühromanik zählt, kündete vom Stolz und Machtanspruch seiner Erbauer. Die Salier errichteten sich mit ihm eine Grablege, die gleichzeitig zum geistigen Bezugspunkt ihrer Familie und zum Ausdruck ihres Herrschaftswillens wurde. Alle salischen Kaiser von Konrad II. bis Heinrich V. fanden hier ihre letzte Ruhestätte – selbst Vertreter der Staufer und Habsburger suchten später für die Zeit nach ihrem Tod die Nähe dieser berühmten Familie. Keine Dynastie hatte je zuvor ihren Traum von imperialer Größe so konsequent in Stein gefügt wie die Salier, die von 1024 bis 1125 die Geschicke des Reiches lenkten. Mit dem Speyrer Dom, der inmitten ihres Hausgutes lag, setzten sie sich ein Denkmal, das den Vergleich mit den Monumenten der Antike nicht zu scheuen brauchte. Und dieser Vergleich war auch gewollt: Denn so festgefügt wie die Fundamente, so kühn wie die Gewölbe im Innern des Baus, so selbstbewusst und unabhängig gedachten die salischen Herrscher auch das Reich zu regieren. Gleichzeitig versicherten sie sich mit der Gottesmutter Maria, der das Haus geweiht war, einer mächtigen himmlischen Fürsprecherin, unter deren Schutz das salische Geschlecht erblühen und gedeihen sollte. Dass es ganz anders kam, konnte der Stifter Konrad II. nicht wissen.
Den Hang zum eigenmächtigen Regiment hatten die Salier von ihren Vorgängern, den Karolingern und Ottonen geerbt, die ihrerseits schon früh ihr Faible für Rom und die antiken Imperatoren entdeckten. Einmal den Weltkreis zu beherrschen wie die alten Römer – das war der Wunschtraum aller Stammesführer jener jungen Völkerschaften, die sich nach dem Untergang des Weltreiches an dessen nördlicher Peripherie gebildet hatten. Die Aura Roms als Sitz der Cäsaren strahlte nahezu ungebrochen auf die Herrscher aus dem fernen Norden aus, obwohl sich längst eine dicke Schicht von Patina auf die nur noch dünn besiedelte Metropole gelegt hatte und von einstiger Größe und Macht nur noch wenige Spuren übrig waren. Doch das ehemals gefeierte Zentrum der Welt bot weitaus mehr als nur eine faszinierende Geschichte mit universalem Machtanspruch: Mit dem Grab des Apostels Petrus verfügte die Stadt über einen für das Christentum bedeutenden Integrationspunkt, galt doch Petrus, der Fischer aus Galiläa, nach dem Zeugnis der Bibel als derjenige, der von Jesus persönlich die Leitung der Kirche und die Löse- und Bindegewalt in ihr übertragen bekommen hatte. Auf diesem festen Fundament ruhte die Autorität der Bischöfe von Rom, die als Nachfolger des Apostelfürsten zunehmend eine Vorrangstellung innerhalb der wachsenden Christenheit beanspruchten. In keiner anderen Stadt mischten sich die Auren von Macht und Heiligkeit so sehr zu einer wirkkräftigen Einheit wie in Rom. Das rückte die Stadt schon früh in den Fokus der internationalen Politik. Die Machthaber der nördlich der Alpen gelegenen Reiche, die aus der Konkursmasse der Völkerwanderungszeit hervorgegangen waren, streckten schon früh ihre Fühler in Richtung Rom aus, um von der universalen Bedeutung der Metropole wie von der sakralen Ausstrahlung ihrer Oberhirten zu profitieren.