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Der Kampf um die Deutungshoheit

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Schon die zeitgenössische Chronistik zeigte sich uneins über die Bewertung des »Gipfeltreffens im Schnee«, bei dem nicht nur die Witterung, sondern auch die Atmosphäre unter allen Beteiligten ziemlich frostig gewesen sein soll. Während kirchliche Autoren gern die desolate Situation des Königs betonten, der mitten im härtesten Winter seit Menschengedenken über die verschneiten Alpenpässe gezwungen wurde, stellte die Lebensbeschreibung Heinrichs IV. seinen Zug nach Canossa als cleveren Schachzug dar: Der König habe den Papst mit seiner überraschenden Buße quasi gezwungen, ihn vom Bann loszusprechen, und erfolgreich eine Allianz der Fürstenopposition im Reich mit dem Oberhirten verhindert. Diese stark voneinander abweichenden Sichtweisen setzten sich unter den Historikern der folgenden Jahrhunderte kontinuierlich fort. Je nachdem, auf wessen Seite der jeweilige Interpret stand, ob auf päpstlicher oder weltlich-kaiserlicher, betonte er entweder die Demütigung des Königs im Schnee oder eben sein kluges Taktieren als gewiefter »Berufspolitiker«. Das 19. Jahrhundert unterstrich in besonderem Maße die Niederlage, die das Königtum vor Canossa erlitten habe – sie galt konservativen Autoren gar als nationale Schande und als Beweis für ein frech auftrumpfendes Papsttum. Das geflügelte Wort vom »Canossa-Gang« als Metapher für eine schlimme Erniedrigung machte die Runde.

Die Einteilung des Geschehens in Sieg und Niederlage ist allerdings nicht sehr hilfreich, denn sie übersieht, dass in den kalten Räumen von Canossa im Grunde nichts entschieden wurde. Politisch endete das Treffen in einem Patt, in dem sich keiner der beiden Kontrahenten als Sieger oder Besiegter fühlen durfte. Vielmehr erscheint die Szene eingebettet in die vielfältigen Umbrüche, die das 11. Jahrhundert bestimmten, Umbrüche, die lange vor Canossa begannen und lange nach Canossa noch nicht zum Abschluss gekommen waren. Sie markierten einen gesellschaftlichen, politischen und mentalen Wandel, der allmählich dazu führte, dass sich geistliche und weltliche Macht voneinander trennten und eigenen Entwicklungslinien folgten.

Heinrich in Canossa gedemütigt!

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